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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kossuth

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Kossuth.

nationalen Vereinen und ward unter anderm Mitbegründer des Industrievereins (Védegylet), der bald zahlreiche Mitglieder zählte und großen Einfluß gewann. K. wollte nämlich in Ungarn durch ein absperrendes Schutzzollsystem Handel und Industrie begründen, um dadurch sein Vaterland groß zu machen. Die Verbindung Ludwig Batthyánys mit K. bewirkte, daß letzterer vom Pester Komitat 17. Okt. als Deputierter für den 1847 einzuberufenden Reichstag gewählt wurde, wo er als Sprecher, dann als Führer der Oppositionspartei bald die Versammlung beherrschte und durch die Mäßigung und Würde, welche seine Reden über die Gleichberechtigung der Nationalitäten, für die Emanzipation der Nichtchristen, für die Aufhebung der Bauernlasten, gegen die Privilegien des Adels und der hohen Geistlichkeit etc. auszeichneten, selbst den Beifall der Gegner gewann. Nachdem die Nachricht vom Sturz des Königtums in Frankreich in Preßburg eingetroffen war, hielt K. 3. März 1848 im Ständehaus eine große Rede, welche eine Repräsentation an den König mit der Forderung von Reformen, namentlich eines verantwortlichen Ministeriums, beantragte. Er und Batthyány führten die Deputation mit dieser Adresse nach Wien, wo sie 15. März begeistert empfangen wurde und ihre Forderung zugestanden erhielt. In dem selbständigen ungarischen Ministerium, welches Batthyány 17. März bildete, erhielt K. das Portefeuille der Finanzen, war aber die belebende Seele des Ganzen. Sein erstes Bestreben ging dahin, eine magyarische Großmacht zu schaffen; darüber aber die Rechte der Nichtmagyaren in Ungarn vergessend, reizte er die slawischen Stämme zum Widerstand, und diese erklärten sich nach einigen Schwankungen, welche die schaukelnde Politik des Wiener Kabinetts hervorrief, endlich für das Kaiserhaus. Dies machte K. zum entschiedenen Gegner der Vermittelungspolitik, und obwohl er in der Nationalversammlung für die Bewilligung der Truppensendung nach Italien sprach, traf er alle Anstalten, um die ungarische Revolution gegen Österreich mit Waffengewalt aufrecht zu erhalten. Nach der Auflösung des ungarischen Ministeriums im September 1848 riß K. in einer theatralischen Szene im Reichstag die Diktatur an sich und behielt auch, nachdem sich ein neues Ministerium gebildet, thatsächlich die Zügel der Regierung in seiner Hand. Am 22. Sept. trat er aber an die Spitze des Landesverteidigungsausschusses, wodurch seine Politik zur vollen Geltung gelangte. Mit leidenschaftlicher Energie wirkte er seitdem für die Herstellung der ungarischen Armee, die Bewaffnung des Landsturms, die Eröffnung von Hilfsquellen sowie durch persönliche Reisen und Ansprachen für die Entzündung des revolutionären Geistes im Volk. Während aber Wien von Windischgrätz belagert wurde, versäumte die ungarische Armee den rechten Zeitpunkt zum Entsatz der Hauptstadt, und als endlich K. selbst nach dem Lager eilte, einen entscheidenden Schritt herbeizuführen, war es zu spät und die Schlacht bei Schwechat (30. Okt.) ein verlornes Unternehmen, dessen Verantwortlichkeit auf Kossuths Schultern liegt. Als bei dem Anrücken der österreichischen Armee unter Windischgrätz gegen die ungarische Grenze die Nationalversammlung und die Regierung Anfang Januar 1849 nach Debreczin übersiedelten, trug er durch seinen Mut und seine außerordentliche Thätigkeit wesentlich dazu bei, daß der siegreiche Frühlingsfeldzug von 1849 begonnen werden konnte. Am 14. April bestimmte er den Reichsrat zu dem Beschluß, Ungarn für unabhängig und die habsburgische Dynastie für des Throns entsetzt zu erklären. Zugleich ward er zum verantwortlichen Landesgouverneur ernannt und hielt 5. Juni in das von den Ungarn wiedereroberte Pest einen feierlichen Einzug. Hier entfaltete er eine ungemeine Thätigkeit, um Ungarn die Mittel zum Kampf zu schaffen und eine geregelte Verwaltung zu geben. Nach seinem und Dembinskis Plan sollte sich die ungarische Armee in zwei große Hälften teilen; die eine davon sollte in Österreich, die andre in Galizien einfallen, um vor der russischen Intervention den Kampfplatz und die Revolution über die Grenzen Ungarns hinauszutragen; der Plan scheiterte jedoch an Görgeis Widerspruch, und die anfänglichen Siege der Ungarn verwandelten sich bald in Niederlagen. Aber noch verließ K. der Glaube an die Kraft seiner Nation nicht. Er schrieb einen Kreuzzug gegen die Unterdrücker derselben aus und rief das gesamte Volk zu den Waffen. Gleichwohl ging Pest wieder verloren, und der Diktator mußte mit dem Ministerium hinter die Theiß flüchten. Görgeis Opposition brach in offenen Ungehorsam aus, und Zwietracht, Mißtrauen und Ränke unter den Leitern der Bewegung beschleunigten die Niederlage der ungarischen Sache. Görgei zwang nach der verlornen Schlacht bei Temesvár in einem Kriegsrat zu Arad 11. Aug. K., ihm die Diktatur zu übergeben, und K. überschritt hierauf 17. Aug., nachdem er die Reichskleinodien in einer gemauerten Grube bei Orsova an der ungarisch-rumänischen Grenze verborgen, betäubt und gebrochen die türkische Grenze, um sich nach England zu retten. Seine Hauptfehler waren seine Neigung zu theatralischer Effekthascherei, die Unklarheit seiner Ziele, seine phantastische Begeisterung für die politisch unmögliche Umwandlung Ungarns in ein selbständiges, unabhängiges Reich und das Schwankende seiner Entschlüsse, während ihm ein bedeutendes Redner- und Agitationstalent, eine rastlose Thätigkeit und eine glühende, reine Begeisterung für die Größe seines Vaterlandes bis 1849 nicht abzusprechen sind. Fortan jedoch verfiel er mehr und mehr in die Rolle eines Abenteurers und schließlich in die eines politischen Charlatans. Er ward auf türkischem Gebiet erkannt und erst zu Widdin, dann zu Schumna in Haft gehalten, von März bis August 1851 mit seinen Genossen zu Kutahia in Kleinasien interniert. Gedrängt von Frankreich und Amerika, gab die Pforte endlich K. frei, und 7. Sept. 1851 fuhr er auf der nordamerikanischen Dampffregatte Mississippi von Gemleck ab, während er 22. Sept. zu Pest in effigie hingerichtet wurde. In Gibraltar verließ K. den Mississippi, um erst einen Besuch in England zu machen, und langte 23. Okt. vor Southampton an, wo seine Gegenwart in einer langen Reihe von Festlichkeiten, Banketten und Meetings gefeiert wurde. Von vielen Städten kamen Einladungen an K. zu persönlichem Erscheinen, doch folgte er nur denen nach Birmingham und Manchester. Auch in Nordamerika wurde er mit außerordentlichem Enthusiasmus aufgenommen, und eine beträchtliche Summe kam zusammen, die als Fonds für die künftige Revolutionierung Europas dienen sollte. 1853 nach England zurückgekehrt, stellte sich K. hier mit Ledru-Rollin und Mazzini an die Spitze der roten Demokratie, den Standpunkt des fanatischen Magyaren wahrend; doch bezichtigten ihn selbst seine neuen Anhänger der Doppelzüngigkeit, und die bessern Elemente der ungarischen Emigration hielten sich von ihm fern. Beim Ausbruch des oberitalienischen Kriegs 1859 trat er mit Kaiser Napoleon III. in Unterhandlungen und ging mit andern Häuptern der ungarischen