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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kristall

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Kristall (Allgemeines, Prinzip der kristallographischen Einteilung).

mehl). Die Wesentlichkeit der Kristallgestalt drückt sich teils durch den Umstand aus, daß eine bestimmte Form einer bestimmten chemischen Zusammensetzung entspricht (vgl. Mineralogie, Heteromorphie, Isomorphie, Pseudomorphosen), teils durch den Zusammenhang der äußern Gestalt mit der innern Struktur (vgl. Mineralien, Spaltbarkeit), einen Zusammenhang, der sich bei mangelhafter Entwickelung der äußern Form zur Ergänzung der Beobachtung und Ausdeutung dieser äußern Form benutzen läßt. Die Regelmäßigkeit der Kristalle endlich erlaubt eine mathematische Behandlungsweise der Formen, wie sie Gegenstand einer besondern Wissenschaft, der Kristallographie (Kristallologie), ist. Die Fähigkeit, Kristalle zu bilden, besitzt eine große Mehrheit der anorganischen (natürlichen und künstlich dargestellten) und eine ebenfalls nicht unbedeutende Anzahl der organischen chemischen Verbindungen. Nur ist der Grad dieser Fähigkeit ein sehr verschiedener, so daß gewisse chemische Verbindungen fast nur, andre bloß selten in Kristallen zu beobachten sind. Körper, denen die Fähigkeit, Kristalle zu bilden, überhaupt mangelt, heißen amorph (s. d. und unter "Mineralien"). Kristalle können sich bilden bei jeder Art des Übergangs kristallisierbarer (kristallinischer) Substanzen aus dem flüssigen oder gasförmigen Aggregatzustand in den festen (durch Abkühlung von Dämpfen, Verdunstung oder Abkühlung von Lösungen; s. Kristallisation).

Die Kristallgestalten sind außerordentlich zahlreich; so kennt man an der einzigen Mineralspezies Kalkspat, allerdings einer der formenreichsten, gegen 200 verschiedene Formen, und ebenso kann die einzelne Form mitunter sehr flächenreich sein. Naumann beschreibt einen Flußspatkristall, der von 338 einzelnen Flächen eingeschlossen ist. Trotz dieser Mannigfaltigkeit gelingt es, die Kristalle in verhältnismäßig wenige Abteilungen, sogen. Systeme, zu gruppieren, deren Grundeigenschaften sich am leichtesten charakterisieren lassen, wenn man zunächst nur von den sogen. einfachen Formen ausgeht, d. h. von denjenigen, die von nur einerlei untereinander kongruenten Flächen eingeschlossen werden. Ferner wird für die folgende Betrachtung eine vollkommene Ausbildung und allseitig ebene Begrenzung der Form ohne Verzerrungen vorausgesetzt. Das Prinzip der kristallographischen Einteilung wird aus einem Vergleich der Fig. 1-9 leicht erkannt werden. Die zur ersten Horizontalreihe vereinigten Figuren sind in rein mathematischem Sinne nahe verwandt: lauter vierseitige Doppelpyramiden, nur mit dem Unterschied, daß Fig. 1 aus lauter gleichseitigen, Fig. 2 aus gleichschenkeligen, Fig. 3 aus ungleichseitigen Dreiecken gebildet ist; ebenso stehen in der zweiten Horizontallinie (Fig. 4, 5 u. 6) lauter nahe verwandte Formen: Parallelepipede mit geringen, leicht erkennbaren Unterschieden. Kristallographisch gehören aber vielmehr die in einer Vertikalreihe stehenden Körper zusammen, so das Oktaeder (Fig. 1) mit dem Würfel (Fig. 4), die quadratische Pyramide (Fig. 2) mit der quadratischen Säule (Fig. 5), die rhombische Pyramide (Fig. 3) mit der rhombischen Säule (Fig. 6), wobei bei den beiden Säulen (Fig. 5 u. 6) noch hervorzuheben ist, daß nur die den K. seitlich begrenzenden vier Flächen als zu der einfachen Form gehörig zu betrachten sind, da die obern und untern Flächen zwar untereinander, nicht aber mit den Seitenflächen kongruent sind. Bei dieser Art der Einteilung geht die Kristallographie von den Symmetrieverhältnissen aus, die ihrerseits den einfachsten und deutlichsten Ausdruck durch die Charakteristik bestimmter, innerhalb der Kristallformen gezogen gedachter Linien, der sogen. Achsen, nach Zahl, relativer Größe und gegenseitiger Lage findet. So lassen sich die beiden Figuren der ersten Vertikalreihe trotz äußerer Verschiedenheit auf dasselbe Achsensystem (Fig. 7) beziehen, d. h. auf drei untereinander gleiche und aufeinander senkrechte Achsen. Ähnlich sind die Figuren der zweiten Vertikalreihe auf ein System dreier aufeinander senkrechter Achsen beziehbar, von denen zwei gleich, die dritte ungleich (größer) ist (Fig. 8), die Figuren der dritten Vertikalreihe auf drei ungleiche, aufeinander senkrechte Achsen (Fig. 9). Im ganzen lassen sich nach diesem Prinzip der Beziehbarkeit verschiedener Formen auf einerlei Achsen sechs Systeme unterscheiden, deren charakteristische Merkmale aus folgender Übersicht erkennbar sind:

^[Liste]

Drei Achsen, senkrecht, gleich; Tesserales System.

Drei Achsen, senkrecht, zwei gleich, eine ungleich; Quadratisches System.

Drei Achsen, senkrecht, ungleich; Rhombisches System.

Drei Achsen, von denen eine mit der zweiten einen schiefen Winkel bildet, während sie auf der dritten (ebensowohl wie die zweite und dritte untereinander) senkrecht steht; Monoklines System.

^[Abb.: Fig. 1-3: Oktaeder. Fig. 4-6: Parallelepipede. Fig. 7-9: Achsproportionen.]