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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Lüttich

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Lüttich.

verlegt. Erst Bischof Hubert nahm 720 seinen Sitz in L. Das Hochstift umfaßte die Stadt L., die Grafschaften Looz und Hoorn, das Marquisat Franchimont, die Landschaften Campine und Hasbengau und, getrennt vom Hauptland, die Landschaft Condroz und das Land zwischen Sambre und Maas. 1794 wurde das Bistum von den Franzosen besetzt und im Lüneviller Frieden förmlich an Frankreich abgetreten und zum Departement der Ourthe geschlagen. Durch den Beschluß des Wiener Kongresses aber und durch einen besondern Vertrag vom 23. März 1815 ward es als ein souveränes Fürstentum dem König der Niederderlande ^[richtig: Niederlande] überlassen und bildete seitdem eine Provinz der Vereinigten Niederlande, doch mit veränderten Grenzen, indem einige Teile von L. zu den Provinzen Hennegau, Limburg und Namur gezogen, andre dagegen von Limburg, Luxemburg und Namur zu L. geschlagen wurden. Bei der Revolution von 1830 ergriffen die Bewohner der Stadt und Provinz L. lebhaft die Partei der Belgier, und L. gehört seit der Bildung des Königreichs Belgien diesem an. Vgl. Pollet, Histoire ecclésiastique de l'ancien diocèse de Liége (Lütt. 1860); Hénaux, Histoire du pays de Liége (3. Aufl., das. 1876, 2 Bde.).

Die gleichnamige Hauptstadt der Provinz, zugleich eine der wichtigsten Industriestädte Belgiens, liegt 65 m ü. M., zum Teil an einen von einer Citadelle gekrönten Berg sich anlehnend, zu beiden Seiten der Maas, die hier die Ourthe aufnimmt, an der Eisenbahn Brüssel-Herbesthal (Aachen), mit Marloie (Luxemburg), Namur, Löwen, Limburg, Maastricht und Holland durch Eisenbahnen verbunden. Der Fluß teilt die Stadt in die alte oder obere, am linken Ufer, und die untere Stadt, am rechten Ufer der Maas, und wird von fünf Brücken (darunter die schöne, 152 m lange und 15 m breite Eisenbahnbrücke, Pont du Val-Benoît, und der Pont des Arches, die Hauptbrücke der Stadt, 1863 neuerbaut) überspannt. An die eigentliche Stadt schließt sich ringsum ein Kranz von neun Vorstädten, darunter die von Amercoeur, Ste.-Marguerite, St.-Léonard und St.-Gilles als die größten. Das vormals enge und düstere Innere der Stadt verschönert sich jetzt mehr und mehr, indem neue Straßen, Kais und Promenaden angelegt werden. L. hat zwölf schöne öffentliche Plätze, worunter der St. Lambertsplatz (einst mit der Lambertskirche, welche 1794 die französischen Sansculotten zerstörten), der Marktplatz mit schönem marmornen Springbrunnen, der Universitäts- und der Theaterplatz (letzterer mit dem Standbild des in L. gebornen Komponisten Grétry, von W. Geefs) zu erwähnen sind. Unter den 21 Kirchen sind hervorzuheben: die Jakobskirche im spätgotischen Stil (1016 bis 1538 erbaut, neuerdings glänzend restauriert); die gotische Kathedrale zu St. Paulus (zum Teil aus dem 13. Jahrh., vollendet 1528) mit einer unter W. Geefs' Leitung in Holz geschnittenen Kanzel; die Bartholomäuskirche, eine fünfschiffige Basilika aus dem 12. Jahrh. mit zwei romanischen Türmen und einem merkwürdigen ehernen Taufbecken (von 1112); die Martinskirche, die Geburtsstätte des Fronleichnamsfestes (jetziger Bau von 1542); die alte Heiligekreuzkirche (schon 979 geweiht, neuerdings mit Geschick restauriert) und die 987 gegründete Kirche St.-Denis (aus dem 15. Jahrh.) mit großem, figurenreichem Altar. Das sehenswerteste weltliche Gebäude ist der verschiedenen Regierungs- und Justizbehörden zum Sitz dienende Palast am Lambertsplatz, ehemals Residenz der Fürstbischöfe (1508-1540 im Renaissancestil erbaut), mit schöner Vorderseite, die erst 1737 errichtet ward. Unter den modernen Bauten sind das durch schöne Dimensionen und reiche Ornamentik ausgezeichnete Theater und das Universitätsgebäude zu erwähnen, das in vier mächtigen Flügeln neben den Hörsälen zugleich alle akademischen Institute und Sammlungen umfaßt. Zu den Zierden Lüttichs gehören die prachtvollen Kais mit großen, eleganten Häusern an der Maas, darunter der Square d'Avroy, die Hauptpromenade Lüttichs, mit der Reiterstatue Karls d. Gr. (von Jehotte). Sehenswert ist die Passage Lemonnier, ein großartiger, mit Glas überdeckter Bazar mit Kaufläden (1837-39 erbaut). Die Bevölkerung der Stadt beträgt (Ende 1885) 135,371 Einw., zum größten Teil Wallonen, deren Hauptort L. ist. L. gehörte von jeher zu den gewerbthätigsten Städten Europas und verdankt sein frühes Aufblühen namentlich den unerschöpflichen Steinkohlengruben der Umgegend, welche bereits seit Jahrhunderten in Betrieb sind. Die Hauptindustrie bildet bis jetzt die Gewehrfabrikation; 1886 belief sich die Produktion auf 374,909 Gewehre, 441,049 Revolver und 20,221 Paar Sattelpistolen; außerdem beschäftigen die königliche Waffenfabrik (1840 errichtet) und Geschützgießerei (beide in der Vorstadt St.-Léonard) viele Menschen. Nächst der Waffenindustrie ist namentlich die Wollmanufaktur, Leder- und Blechfabrikation berühmt. Ferner besitzt L. nebst Umgegend Blei- und Kupferschmelzen, eine Zinkhütte nebst Zinkwalzwerk, Alaunwerke, zahlreiche Eisenwerke mit Hochöfen und Eisengießereien, Stahl-, Eisen-, Quincaillerie-, Gold- und Silberwaren-, Uhren-, Amboß-, Sägen-, Feilen-, Nägel-, Nadel-, Spiegel-, Glas-, Leder-, Tuch-, Tabak- und Bleiweißfabriken, Baumwoll- und Kammgarnspinnereien, mechanische Webereien, Färbereien, Leimsiedereien, Papier-, Öl- und Zichorienmühlen, eine Menge Brauereien und Brennereien sowie berühmte Dampf- und andre Maschinenfabriken. In der Nähe liegt auch Seraing (s. d.), die großartige Schöpfung Cockerills. Der Handel ist ebenfalls von großer Bedeutung, besonders in Kolonialwaren, Produkten und Fabrikaten der Stadt und Umgegend, Steinkohlen, Wolle etc. Er wird unterstützt durch die Maasschiffahrt und zahlreiche Eisenbahnen (s. oben). Das Straßenbahnnetz hat (1885) eine Ausdehnung von 25 km und erstreckt sich bis nach Seraing. L. hat eine 1817 von der niederländischen Regierung gegründete Staatsuniversität mit vier Fakultäten, welche (1884-85) 1157 Studenten und über 60 Professoren zählt, eine Bibliothek von ca. 100,000 Bänden, ein anatomisches Theater, chemisches Laboratorium, einen botanischen Garten sowie reiche naturhistorische Sammlungen besitzt, und welcher eine sehr besuchte Bergbauschule, polytechnische Schule (École des arts et manufactures) und in der École normale des humanités eine Bildungsanstalt für Gymnasiallehrer beigeordnet sind. Außerdem besitzt L. ein Athenäum, ein Lehrerinnenseminar, ein bischöfliches Seminar, eine Industrieschule, Zeichen- und Malerakademie, ein Konservatorium der Musik, eine Taubstummen- und eine Blindenanstalt, eine Synagoge, mehrere gelehrte Gesellschaften (die Gesellschaft "Franklin" zur Begründung von Volksbibliotheken), eine Börse (in der alten St. Andreaskirche), Gemäldegalerie und viele Hospitäler. L. ist der Sitz der Provinzial- und Bezirksbehörden, eines Bischofs, eines Domkapitels, eines Appellhofs für die Provinzen L., Limburg und Luxemburg, eines Tribunals, eines Handelsgerichts, eines Militärgouvernements und eines deutschen Konsuls. Die oben erwähnte, vom Fürstbischof Maximilian 1650 erbaute Citadelle auf dem linken Fluß-^[folgende Seite]