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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Meer

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Meer (Tierleben, Meeresleuchten).

Sie sind daher auch hauptsächlich auf die Küsten beschränkt, und auf offener See findet man nur die schwimmenden Algen, die oben erwähnt wurden, die aber auch nur durch Meeresströmungen von ihren ursprünglichen Standorten an den Küsten an günstige Stellen zusammengeführt worden sind. Bei 50 Faden Tiefe wird die Vegetation bereits sehr sparsam (die Phanerogamen gehen nur bis 10 m), und bei etwa 200 Faden erlischt sie wegen Lichtmangels vollständig. Trotz der schwimmenden Sargassowiesen von enormer Ausdehnung erscheint es höchst zweifelhaft, ob die Masse der im M. erzeugten vegetabilischen Substanz derjenigen der Tierwelt, die es belebt, gleichkommt. Im größern Teil des Ozeans steht sie jedenfalls weit hinter ihr zurück.

Für das Tierleben in den größern ozeanischen Tiefen der Weltmeere haben die neuern Tiefseeforschungen nachstehende, von den frühern Annahmen vollständig abweichende Hauptergebnisse geliefert: 1) Tierisches Leben ist in allen Tiefen bis zum Meeresgrund vorhanden. 2) Es ist am reichsten in mäßigen Tiefen und hängt ab von der Anwesenheit des Sauerstoffs, der Kohlensäure und des phosphorsauren Kalks. 3) Die Meeresfauna ist am reichsten in zwei Zonen, die eine an oder nahe der Oberfläche des Meers, die zweite auf oder nahe über dem Meeresgrund; in dem dazwischenliegenden Raum fehlen nahezu alle Tiere. 4) In größern Tiefen sind Spongien (Schwämme) und Echinodermen (Stachelfische) vorherrschend. 5) In Tiefen über 900 m hat die Meeresfauna überall dieselben Grundzüge. Tiefseegenera sind kosmopolitisch, Tiefseespezies sind an entfernten Orten identisch oder vikarierende Formen. 6) Die Tiefseefauna zeigt mit den Faunen der (geologischen) Tertiär- und Sekundärzeit eine größere Ähnlichkeit als die des seichten Wassers. Bis jetzt ist aber erst eine verhältnismäßig kleine Anzahl von Typen, die man für ausgestorben hielt, in den Tiefen der Meere entdeckt worden. 7) Die Hauptcharakterformen der Tiefe und solche, welche den erloschenen Typen am nächsten stehen, scheinen in größter Zahl und hervorragender Größe in den südlichen Ozeanen zu leben. 8) Der allgemeine Charakter der Tiefseefauna gleicht am meisten dem des seichten Wassers der hohen nördlichen und südlichen Breiten, weil die Temperaturverhältnisse die gleichen sind.

Viel mannigfacher und gestaltenreicher als die Flora ist die Fauna des Meers. Sämtliche bekannte Tierformen der Gegenwart und früherer geologischer Perioden kann man in 155 Ordnungen oder 36 Klassen teilen. Von diesen 36 Klassen sind 34 im M. vertreten, indem nur Amphibien und Tausendfüßer fehlen; von den 155 Ordnungen sind 75 auf dem Land, 67 im Süßwasser, aber 107 im M. vertreten, und 52 Ordnungen aus 16 verschiedenen Klassen kommen einzig und allein im M. vor. Das M. besitzt also einen viel größern Reichtum tierischer Hauptformen als das Süßwasser und das Land. Seine Tiefe und seine Ausdehnung, sein Salzgehalt, die Gleichmäßigkeit der Temperatur und der Reichtum an Nahrungsstoff begünstigen die Entwickelung einer so reichen und vielgestaltigen Fauna. Aber auch an Individuenzahl ist die Meeresfauna der ganzen übrigen Lebewelt weit überlegen und tritt unter Umständen höchst überraschend hervor. Die Verbreitung der Seetiere in senkrechter und wagerechter Richtung ist hauptsächlich von dem Salzgehalt, der Temperatur und den Strömungen abhängig. Eine Zunahme des Salzgehalts, wie im Mittelmeer und im Roten M., übt keinen wesentlichen Einfluß auf die Tiere aus; wo aber der Salzgehalt auf 2 und 1 Proz. und noch weiter sinkt, nimmt die Zahl der Seetiere bedeutend ab, und auch die Zahl der Arten vermindert sich mit dem Salzgehalt. Die meisten Tiere aber, welche das salzarme Wasser bewohnen, gehören zu Arten, die auch in benachbartem salzreichern Wasser vorkommen. Der höchste Reichtum des Tierlebens findet sich in der Oberflächenschicht auf tropischen Korallenriffen, wo die Temperatur immer über 20° bleibt und im Wechsel der Tages- und Jahreszeiten nur um wenige Grade schwankt. Nach N. hin nimmt die Artenzahl der Strandregion schnell und um so mehr ab, je stärkerm Temperaturwechsel das Wasser ausgesetzt ist. Auf Austernbänken an der Westküste von Schleswig-Holstein, wo Temperaturunterschiede von 22° vorkommen, leben außer der Auster nur noch wenige Arten, während bei viel niedrigerer, aber gleichmäßiger Temperatur sich eine reiche Fauna entwickelt. Selbst in Tiefen von 5500 m, wo die Temperatur nicht über 2° steigt, wurden noch Tiere gefunden, und man hat beobachtet, daß diese Bewohner der eisigen Tiefe, begünstigt durch die Gleichmäßigkeit aller Verhältnisse, eine viel bedeutendere Größe erreichen als nahe verwandte, in höhern, wenn auch mildern Meeresschichten lebende Arten. Die Zahl der Tiere, welche die schwankenden Temperaturverhältnisse der flachen Meere mittlerer Breiten ertragen, ist viel geringer als diejenige, welche an gleichmäßige oder sehr wenig veränderliche Temperatur gebunden sind. Unter diesen, die der größten, seit unberechenbarer Zeit bestehenden Gleichförmigkeit aller Lebensbedingungen genießen, finden sich Arten und Gattungen über den Boden aller Ozeane verbreitet und Formen, welche schon in frühern geologischen Epochen existierten. Zur Nahrung dienen diesen Tieren der Tiefsee die dunkelfarbigen, reichen Mudmassen, welche aus abgestorbenen Pflanzen entstehen und durch die Strömungen bis in die größten Tiefen hinunter geführt werden, außerdem die Zersetzungsprodukte andrer Tiere. In der Tiefe des Mittelmeers fehlen Tiere, und man erklärt dies aus dem Umstand, daß das Mittelmeer gegen das am Meeresgrund nach dem Äquator strömende Polarwasser, welches sich in höhern Breiten an der Oberfläche des Meers mit Sauerstoff gesättigt hat, abgeschlossen ist. Unter den günstigsten Verhältnissen entwickeln sich in den tropischen Teilen der offenen Ozeane die Korallen, und wo an den Riffen die Brandung sich tosend bricht, kulminiert auch das marine tierische Leben. Hier findet sich auf kleinem Raum die größte Artenzahl, während im N. große Scharen von Tieren, welche nur sehr wenigen Arten angehören, sich üppig entwickeln. An einem einzigen Leuchtschiff vor der Elbmündung fand man bei der Reinigung über 2 Mill. Seepocken Einer Art, und die an Einem Tag in der Kieler Bucht gefangenen 240,000 Heringe enthielten in ihren Magen wenigstens 2400 Mill. einer und derselben kleinen Krebsart. - Auf Seetiere ist das schon erwähnte wunderbare, in stets wechselnder Pracht auftretende und besonders unter den Tropen äußerst glanzvolle Meeresleuchten zurückzuführen. Es sind aber nicht einzelne Arten, welche dies Schauspiel hervorbringen, sondern es beteiligen sich daran so zahlreiche Geschöpfe, daß es nicht möglich ist, sie alle aufzuzählen. Eine hervorragende Rolle spielt hierbei die Noctiluca miliaris und in tropischen Meeren die nahe verwandte Pyrocystis; aber fast jede Gruppe der Meerestiere: Infusorien, Polypen, Aktinien, Quallen, Medusen, Seesterne, Tunikaten (besonders Pyrosoma), Muscheln, Würmer, Rädertierchen, Krustentiere, nimmt daran teil. Auch