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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Napoleon

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Napoleon (N. I.: 1806-1808).

innern Angelegenheiten der Bundesstaaten, führte französische Institutionen ein und unterdrückte alle Regungen des beleidigten Nationalgefühls durch Gewaltthaten wie die Hinrichtung des Buchhändlers Palm in Braunau (27. Aug.).

Unersättlich in seiner Ruhmbegierde und Eroberungssucht, warf er sich nun auf Preußen, das durch seine schwächliche Politik 1805 seine Verachtung und durch seine Schwankungen seinen Haß erweckt hatte, der sich in dem leidenschaftlichen, übermütigen Ton seiner Befehle und Bülletins, in den rohen Schmähungen der Königin Luise kundgab. Der Sieg von Jena (14. Okt. 1806), den N. selbst erfocht, und die schmähliche Haltung der preußischen Heerführer lieferten ihm mit Einem Schlag Preußen in die Hände. Nachdem N. in Potsdam vom Grab Friedrichs II. dessen Degen geraubt hatte, hielt er 27. Okt. seinen Einzug in Berlin, von wo er 21. Nov. das Dekret über die Kontinentalsperre erließ. In Polen, wo ihm die Preußen zu Hilfe kommenden Russen entgegentraten, geriet sein Siegeszug im Winter von 1806 bis 1807 ins Stocken, und bei Preußisch-Eylau (7. u. 8. Febr.) erfocht N. trotz ungeheurer Verluste keinen Sieg. Nach längerer Unthätigkeit in schwieriger Lage brachte er aber 14. Juni bei Friedland den Russen eine entscheidende Niederlage bei, worauf er mit Kaiser Alexander 25. Juni auf der Memel die Zusammenkunft hatte, in welcher er Polen opferte und Alexander mit der Hoffnung auf die Herrschaft über Nord- und Osteuropa schmeichelte, dadurch aber ihn ganz für sich gewann und bewog, Preußen preiszugeben. Den Versuch der Königin Luise, für ihr Land günstigere Bedingungen zu erlangen, wies er in roher Weise zurück. Er konnte sich weder zu großmütiger Behandlung noch zur völligen Vernichtung Preußens entschließen; indem er es zwang, die Hälfte seines Gebiets abzutreten, und drückende Lasten und Demütigungen ihm auferlegte, zog er sich selbst einen unversöhnlichen Feind groß.

N. hatte in Tilsit seinen Plan, eine Weltherrschaft zu begründen, der Verwirklichung näher gebracht; im mittlern und westlichen Kontinent von Europa schaltete er als unbedingter Herr. Aber es lag sowohl im System des Cäsarismus als im Charakter Napoleons selbst, daß sein Ehrgeiz und seine gewaltthätige Herrschsucht keine Schranken in dem Recht und der Freiheit andrer anerkennen wollten und ihn zur Überschätzung seines eignen Könnens und zur Geringschätzung fremder Widerstandskraft verleiteten. Nachdem er 1807 Portugal hatte besetzen lassen, weil es England nicht seine Häfen sperrte, benutzte er 1808 den in der spanischen Königsfamilie ausgebrochenen Streit zwischen Karl IV. und seinem Sohn Ferdinand VII., um beide im Mai zu Bayonne zum Verzicht auf den Thron zu bewegen, den er darauf seinem Bruder Joseph verlieh, während Murat König von Neapel wurde. Aber in Spanien stieß er bei dem stolzen, streng katholischen Volk auf ungeahnte Schwierigkeiten, die mit der Kapitulation eines französischen Heers bei Baylen (21. Juli) begannen. Die Erhebung des spanischen Volkes und das Eingreifen der Engländer unter Wellington, die nach der Vernichtung der letzten französischen Flotte bei Trafalgar (1805) nun auch auf dem Kontinent N. entgegenzutreten vermochten, rieben Napoleons Kräfte auf, ohne daß es ihm gelang, die Pyrenäenhalbinsel dauernd zu erobern. Nachdem Joseph aus Madrid geflohen war und Wellington die Franzosen aus Portugal vertrieben hatte, erneuerte N. sein Bündnis mit Kaiser Alexander auf der Zusammenkunft in Erfurt (27. Sept. bis 14. Okt. 1808), auf der die Rheinbundsfürsten teils selbst erschienen, teils sich durch ihre Thronerben vertreten ließen, und auf welcher der Imperator seinen Mangel an Erziehung durch empörenden Übermut selbst gegen Alexander bewies. Darauf eilte er mit 80,000 Mann, meist Rheinbundstruppen, nach Spanien, setzte Joseph 4. Dez. in Madrid wieder als König ein und drängte die in Spanien eingefallenen Engländer nach Valladolid zurück, sah sich dann aber durch die Nachricht von Österreichs drohenden Rüstungen genötigt, umzukehren. Obwohl selbst die Vertrauten des Kaisers, wie Fouché und Talleyrand, Mißvergnügen über seinen maßlosen Ehrgeiz zeigten, auch in der Armee eine gewisse Kriegsmüdigkeit sichtbar wurde, die Bande der Sitte sich lockerten, roher Eigennutz, Raublust und Feigheit bereits in erschreckender Weise hervortraten, obwohl endlich die Geldmittel nicht mehr so reichlich flossen, führte N. den Krieg gegen Österreich 1809 wieder mit gewohnter Energie und Schnelligkeit, trieb die Österreicher bei Regensburg in fünftägigen Kämpfen (19.-23. April) mit einem Verlust von 50,000 Mann nach Böhmen zurück; zog 13. Mai zum zweitenmal in Wien ein, und nachdem er nach der Niederlage bei Aspern (21. u. 22. Mai) eine schwere Krisis infolge der Unthätigkeit seines Gegners glücklich überwunden hatte, brachte er durch den Sieg bei Wagram (5. u. 6. Juli) den Krieg im Frieden von Wien (14. Okt. 1809) zum günstigen Abschluß.

Der unglückliche Verlauf des Kriegs in Spanien, die Erhebung Tirols, die Aufstandsversuche in Deutschland, endlich das Attentat von Staps (12. Okt.) hätten N. auf die erwachenden nationalen Kräfte aufmerksam machen können; doch glaubte er durch rücksichtslose Gewalt der "Ideologie" Herr zu werden. Seine Selbstüberhebung und Menschenverachtung waren so hoch gestiegen, daß sich ihm die Grenzen des Möglichen verwischten; was er wollte, mußte er auch können. Auch in seinem persönlichen Auftreten wurde er herrisch und gewaltthätig, und jeder Widerspruch reizte ihn zur leidenschaftlichen Wut. Über Völker und Länder schaltete er nach Willkür. Der Kirchenstaat wurde 1809 mit dem Kaiserreich vereinigt und der dagegen protestierende Papst nach Frankreich abgeführt. Nachdem 1810 auch Holland und die deutschen Nordseeküsten einverleibt worden waren, erstreckte sich das Kaiserreich bis zur Ostsee und den Ionischen Inseln, umfaßte 130 Departements, und, die Vasallenstaaten eingerechnet, verfügte N. über 100 Mill. Menschen. Um dies ungeheure Reich an einen Sohn zu vererben und so seine Zukunft zu sichern, ließ er durch einen Senatsbeschluß vom 15. Dez. 1809 seine kinderlose Ehe mit Josephine scheiden und vermählte sich 1. April 1810 mit der Erzherzogin Marie Luise, der Tochter des Kaisers Franz I., die ihm 20. März 1811 einen Sohn gebar, der bei seiner Geburt den Titel eines Königs von Rom empfing. N. glaubte das Reich Karls d. Gr. erneuert und für seine Dynastie gesichert zu haben. Die letzten Freiheiten der Revolution wurden beseitigt, die alte Hofetikette, der Erbadel, die Zensur, ja auch die "lettres de cachet" wiederhergestellt.

Das 1808 erneuerte Bündnis mit Rußland war bei Napoleons Herrschsucht nicht aufrecht zu erhalten. Rußland wollte sich die Kontinentalsperre nicht länger gefallen lassen und hob sie teilweise auf, N. gönnte Rußland die Eroberung Finnlands und seine Erfolge im Türkenkrieg nicht und beleidigte Alexander durch die Annexion Oldenburgs, des Fürstentums seiner