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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Neugriechische Litteratur

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Neugriechische Litteratur (bis zum 18. Jahrhundert).

hielt. Verfasser und Entstehungsort der meisten sind unbekannt. Bei mehreren weisen sprachliche Eigentümlichkeiten auf die Inseln, besonders auf Rhodos, wie die Bearbeitung des Apollonios-Romans; viele sind uns zuerst aus venezianischen Drucken bekannt geworden und werden zum Teil noch heute als Volksbücher in der griechischen Druckerei Phönix zu Venedig ("Fondamenta San Lorezzo") neu aufgelegt. Im einzelnen sind hervorzuheben: Bearbeitungen des Romans von Flos und Blancflos, von Peter von Provence und der schönen Magelone (Imberios und Margarona), des Apollonios von Tyros, des Trojanischen Kriegs, der Alexandersage, noch ganz spät der Theseide von Boccaccio (1529); mit unbekannten Vorlagen die Romane von Lyvistros und Rhodamni, von Velthandros und Chrysantza; Nachahmungen der Tierfabel in der "Erzählung vom Esel, Wolf und Fuchs" und dem "Pulologos" sowie mehrfache Versionen der Belisar-Sage. Einen glänzenden Abschluß fand diese romantische Richtung in dem großen Kunstepos des Vinkentios Kornaros aus Kreta: "Erotokritos", aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrh., welches allerdings unter dem Einfluß der abendländischen Rittergedichte entstanden ist, aber durch Originalität der Erfindung, psychologische Wahrheit und eine Fülle wahrhaft poetischer Schönheiten eine hervorragende Stellung einnimmt und noch heute eine wohlverdiente Popularität genießt. Die ganze griechische Ritterpoesie schildert geistvoll Gidel in seinen "Études sur la littérature etc." (s. unten), worin auch eine treffliche Analyse des Erotokritos enthalten ist. Von besonderm Interesse sind eine Anzahl historischer Dichtungen, zunächst die sogen. "Frankenchronik" über die Eroberung Moreas durch die Franken (hrsg. von Buchon, Par. 1845), sodann der "Θρῆνος τῆς Κωνσταντινουπόλεως", wahrscheinlich unmittelbar nach dem Fall Konstantinopels mit vieler Wärme gedichtet (abgedruckt in Ellissens "Analekten", Bd. 3), und aus späterer Zeit der "Θρῆνος εἰς τὴν Ἑλλάδος καταστροφήν" von A. Eparchos aus Korfu (Vened. 1544; auch in Sathas' "Anecdota"). Die Heldenthaten des Merkurios Buas besang 1519 Koronäos aus Zante ("Ἀνδραγαθήματα Μερκουρίου Μπούα", abgedruckt in Sathas' "Anecdota"), den Krieg auf Kreta zwischen Türken und Venezianer (1645-69) Athanasios Skliros in seinem "Κρητικὸς πόλεμος", Stavrinos die Kriege Michaels des Tapfern, Woiwoden der Walachei (Vened. 1668 und 1672; mit kleinern Gedichten neu hrsg. von Legrand im "Recueil de poèmes historiques en grec vulgaire", Par. 1877). Auch einige Versuche in der Lyrik und in dem Drama aus dieser Zeit tragen den Charakter der Abhängigkeit von fremden Mustern in Stoff und Form. Schon 1658 wurde Guarinis "Pastor fido" ins Vulgärgriechische übersetzt; ein Originalhirtenstück, freilich mit durchgehends Anlehnung an Tassos "Aminta", ist der "Giparis", der in dem "Κρητικὸν θέατρον" von Sathas (Vened. 1879) publiziert worden ist. Auf eine italienische Vorlage geht wohl auch die "Boskopūla" ("Schöne Hirtin") von Nikolaos Dimitrios aus Kreta in gereimten trochäischen Versen zurück (Vened. 1620) sowie die "Geschichte der Susanna" von M. Depharanas (das. 1663). Einer Tragödie von Giraldi ist das berühmte Schauerdrama "Erophile" von G. Chortatzis aus Kreta nachgedichtet. Erquicklicher ist die in Prosa geschriebene Komödie: "Neaira" von Dimitrios Moschos 1478 (hrsg. und übersetzt von Ellissen, Hannov. 1859). Über das byzantinische Theater handelt eingehend und reichhaltig, wenn auch mit vielfach verfehlten Anschauungen über die Beziehungen der byzantinischen Bühne zur abendländischen, Konstantin Sathas im ersten Band seines "Kretischen Theaters" (Vened. 1878). Aus den Metaphrasen altgriechischer Litteraturwerke seien die "Ilias" von Lukanos aus Zante (um 1530) und die Bearbeitungen der "Batrachomyomachie" von Dimitrios Zinos aus Zante (um 1510; hrsg. von Mullach, Berl. 1837) und von Antonios Stratigos aus Korfu (1745) im kretischen Dialekt hervorgehoben.

Die Prosa des Zeitraums vom Fall Konstantinopels bis zur Wiedergeburt Griechenlands ist in noch höherm Grad als die Poesie eine Fortsetzung byzantinischer Thätigkeit mit ihrer Richtung auf grammatische und historische Kompilation, theologische Zänkerei und ungemein trübes Philosophieren. Hervorragend sind der Patriarch Gennadios (gest. 1460) und der vielfach überschätzte Georgios Gemistos Plithon, nicht unelegant in der Darstellung, aber durchaus unklar und verworren. Am interessantesten ist die an die Flucht griechischer Gelehrten nach Italien sich anschließende philologische Thätigkeit, die den weitgreifendsten Einfluß auf die Wiederbelebung der klassischen Studien im Abendland ausübte. Zunächst bildete das Haus des Kardinals Bessarion (Vissarion) in Rom einen Mittelpunkt für diese Bestrebungen, welche dann in der Begeisterung der italienischen Fürsten und Päpste einen mächtigen Rückhalt fanden und durch die Stiftung des Gymnasium Mediceum auf dem Quirinal 1513 zu wissenschaftlicher Bedeutung erhoben wurden. Zu nennen sind zunächst Theodoros Gasis (gest. 1478), Joannis Argyropulos, vor allen aber dessen Schüler Konstantinos Laskaris (gest. um 1500), der in Mailand, Neapel, Florenz und zuletzt in Sizilien in der segensreichsten Weise wirkte. Sein jüngerer Bruder, Joannis Laskaris (gest. 1535), bildete zahlreiche Schüler, unter denen Nikolaos Sophianos, der Verfasser der ersten Grammatik der griechischen Volkssprache (1544; neu hrsg. von Legrand, Par. 1874), und Markos Musuros (gest. 1517), der für Herausgabe griechischer Schriftsteller in Venedig in hervorragender Weise thätig war, besonders zu nennen sind. Gleichzeitig mit diesen und den sich ihnen anschließenden erfreulichen Leistungen der Griechen in Italien verkam das Volk in Griechenland unter dem brutalen Despotismus der Türken und später unter dem kleinlichen Krämersinn der Venezianer immer mehr. Schulbildung existierte so gut wie gar nicht, und die Geistlichkeit versank immer tiefer in Stumpfsinn und Apathie. Die chronikenartigen Aufzeichnungen aus dieser Epoche zeigen die fürchterlichste geistige Öde und eine unglaubliche Unbeholfenheit in der Form; sie sind fast nur vom sprachlichen Standpunkt als Ausdruck des Vulgäridioms von Interesse, so die Chronik von Galaxidion (bis 1690; hrsg. von Sathas, Athen 1865). Am interessantesten für die Zeitgeschichte ist der umfassende Briefwechsel des Theodosios Zygomalas in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh.

In der Mitte des vorigen Jahrhunderts begann zugleich mit dem politischen auch das geistige Leben in Griechenland sich zu regen. Französische Aufklärungsideen fanden auch hier Eingang, Lehranstalten wurden durch eine im großartigsten Maßstab betriebene Privatwohlthätigkeit geschaffen, Zeitschriften (besonders der "Λόγιος Ἑρμῆς") gegründet, das Studium des Altgriechischen eifrig betrieben und im Anschluß daran der Versuch gemacht, eine gebildete