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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Nil

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Nil (Unterlauf, Delta, Überschwemmungen).

bus und Tumat, links die zwar langen, aber wasserarmen Dinder und Rahad auf. Der Fall des Flusses vom Tanasee (1755 m) bis Chartum beträgt 1370 m.

Von Chartum ab beschreibt der N. einen gewaltigen S-förmigen Bogen, dessen Krümmungen durch Karawanenwege abschnitten werden, und schlägt dann jenseit des Wendekreises zuerst eine nördliche, dann eine nordwestliche und schließlich abermals eine nördliche Richtung ein, bis er sich, ein großes Delta bildend, in zahlreiche Arme spaltet. Dieser Teil des Nillaufs läßt sich in zwei Abteilungen scheiden, entsprechend der uralten Teilung seiner Uferlandschaften in die beiden Länder Nubien und Ägypten. Innerhalb Nubiens nimmt der N. einen einzigen Nebenfluß auf, überhaupt den letzten, den Atbara nämlich, der in Abessinien, nicht weit vom Nordende des Tanasees, entspringt und rechts den Setit oder Takazzé mit zahlreichen Zuflüssen empfängt, welche vom östlichen Randgebirge abfließen. Der Atbara erreicht den N. oberhalb Berbers, aber nur periodisch; häufig schrumpft sein Unterlauf zu einer Kette von größern und kleinern Teichen zusammen. Von ihm, dem N. und dem Bahr el Azrak fast inselartig umschlossen, breitet sich eine weite Steppe aus, wie Senaar in der Regenzeit ein grünes Grasmeer. Das ist die Insel Meroe der Alten, der Sitz eines bis in die Zeit der Ptolemäer hineinreichenden Priesterstaats. Innerhalb Nubiens hat der N. viele Stromschnellen, welche die Schiffahrt in der trocknen Jahreszeit an einigen Stellen ganz unmöglich machen. Man zählt deren im ganzen sechs Gruppen. Bei dem nördlichsten Katarakt unter 24° nördl. Br., etwas südlich von Assuân (104 m ü. M.), überschreitet der N., zwischen granitischen Felswänden hinfließend und zahlreiche Inseln bildend, die ägyptische Grenze und fließt in ruhigem Lauf und als segenbringender Fluß über 700 km weit gerade nordwärts fort. Bei Theben hat er eine Breite von 400, bei Siut von 800 m. Sein fruchtbares Thal, das Tell, von einer mittlern Breite von 15 km, wird durch zwei Höhenzüge begrenzt, von denen der östliche das ganze Land bis zum Roten Meer anfüllt, der westliche aber von Libyen aufsteigt, wie ein oder Damm den N. entlang hinzieht und in schräger Böschung in das Nilthal abfällt, während die östliche Begrenzung senkrecht abstürzt und daher Dschebel Mokattam ("steile Felswand") genannt wird. Am schmälsten ist das Thal in Oberägypten (Said), in der alten Thebais; an einer der breitesten Stellen füllen hier die Ruinen von Theben dasselbe von O. nach W. aus. In Mittelägypten erweitert sich das Thal, doch wird es an der breitesten Stelle nur 22 km breit. Aber von hier an zieht sich die libysche Hügelkette immer mehr nach W. zurück, während die östliche bei Kairo in die Ebene des Delta abfällt. Unterhalb Kairo teilt sich der nun an 3 km breite Strom in zwei Hauptarme, von denen der eine geradeaus nordwärts bei Damiette sich ins Meer ergießt, der andre, kürzere und schwächere, aber sich nach N. W. wendet und bei Rosette seine Mündung hat. Beide Arme schließen das sogen. Delta ein, ein Dreieck, dessen Basis an der Meeresküste eine Länge von 113 km hat, während der westliche Schenkel ungefähr 148, der östliche 155 km lang ist (s. auch Karte bei "Suez"). Der Nilarm von Damiette hat wenige Inseln und ein enges Bett von 100-700 m Breite; er ist jetzt der einzige stets schiffbare Arm des Stroms, der aber auch mehr und mehr versandet. Beide Arme waren im Altertum weniger bedeutend als die pelusische Mündung im O. und die kanobische im W., zwischen denen in der Ordnung von O. her noch die tanitische, mendesische, phatnische (oder bukolische), sebennytische und bolbinitische Mündung genannt werden. Alle diese Arme sind gegenwärtig völlig versandet, wie der N. überhaupt auf seinem Unterlauf mehrfache Veränderungen erlitten hat. Von großer Wichtigkeit für den Handel Ägyptens ist der unterhalb Rahmanijeh vom Rosettearm ausgehende und bei Alexandria (s. d.) ausmündende Mahmudiehkanal. Der vereinigte N. von Chartum bis zum Mittelmeer hat eine Länge von etwa 1900 km. Das Gefälle auf dieser langen Strecke ist nicht bedeutend; es liegt Berber in 350, El Kab (zwischen dem vierten und fünften Katarakt) in 294, Wadi Halfa am zweiten Katarakt in 128, Siut in 70 m Meereshöhe. Von der gesamten Stromentwickelung des Nils (7000 km) sind ca. 5200 schiffbar.

Eine der merkwürdigen Erscheinungen, welche seit dem Altertum die Gelehrten beschäftigte, ist das regelmäßige Steigen und Fallen des Nils. Die namentlich im abessinischen Hochland sowie in den Tropen des innern Afrika niedergehenden periodischen Regengüsse bedingen ein Steigen des Stroms in seinem ganzen Lauf bis zum Meer, welches im Juli beginnt und Ende September, wo der Fluß 6-7 m über sein tiefstes Niveau gestiegen ist, ganz Unterägypten in einen weiten See verwandelt. Auf dieser Höhe verharrt der Fluß 2-3 Wochen. Ende Oktober beginnt er zu fallen, anfangs schnell, dann langsamer, gerade umgekehrt wie beim Steigen. Das Sinken währt bis in die zweite Hälfte des Mai. Während dieser Zeit ist das Wasser zuerst grünlich gefärbt von den verwesenden Pflanzenresten des Weißen Nils, dann rötlich infolge der feinen Erdteile, die es aus den abessinischen Bergen mit sich führt. Durch die hieraus sich bildenden Niederschläge wird der Boden erhöht, das Thal flacher, das Land immer mächtiger. An der Grenze von Ägypten bei Assuân beginnt das Steigen des Nils Ende Juni; Anfang Juli macht sich dasselbe in Kairo bemerkbar. Auf der Insel Rhoda bei Kairo befindet sich ein schon 847 vom Kalifen Motewakkil angebrachtes Nilometer, welches unter einem besondern Aufseher (Scheich el Mekyas) steht; letzterer stellt alltäglich vom 1. Juli ab die Wasserhöhe fest, welche regelmäßig jeden Morgen in der Stadt ausgerufen wird. Zu einer guten Überschwemmung muß das Wasser am Nilometer 22 Grad (10 m) erreichen. Steigt es höher, so richtet es Verwüstungen an; bleibt es darunter, so genügt die Feuchtigkeit nicht, um alle Felder zu bewässern. Man hat bezüglich des Delta berechnet, daß die durch den Schlammniederschlag hervorgerufene Erhöhung des Bodens auf ungefähr 10 cm in einem Jahrhundert anzunehmen ist. Bei fortwährend steigender Erhöhung würde die Bewässerung immer schwieriger werden, wenn nicht gleichzeitig das Nilbett selbst sich entsprechend erhöhte. Anderseits scheint aber auch eine säkulare Senkung des Bodens stattzufinden. Der Unterschied zwischen dem niedrigsten und höchsten Wasserstand bei Kairo beträgt gewöhnlich 7¾ m, bei Theben 12, bei Assuân sogar 16 m. Durch den bei Keneh (26° nördl. Br.) abzweigenden und am westlichen Rande des Nilthals sich hinziehenden Josephskanal (Bahr Jussuf) wurde ehemals der Möris (s. d.) gespeist und wird heute das Fayûm (s. d.) bewässert und schließlich noch der Überschuß in den schwachsalzigen Birket el Kurn abgeführt. - Nicht nur für die Bebauung des Bodens, sondern auch für die staatliche Organisation des Volkes war der N. von jeher von der größten Wichtigkeit. Da die Fruchtbarkeit nur so weit reichte als sein Wasser, so waren die