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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Norwegische Litteratur

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Norwegische Litteratur (Beginn der nationalen Bestrebungen).

beizuwohnen, nicht hatte zugestehen wollen, forderte die demokratische Mehrheit seit 1872 vielmehr, daß die Minister auf Verlangen jederzeit den Sitzungen des Storthings beiwohnen müßten. Die Weigerung der Regierung hatte nur zur Folge, daß bei allen Neuwahlen die demokratische Partei, welche sich auf den Bauernstand stützte, während die städtische Bevölkerung konservativ und regierungsfreundlich war, sich verstärkte und in eine immer radikalere, unionsfeindliche Richtung geriet. Dreimal hintereinander faßte das Storthing den Beschluß, die Bestimmung, daß die Minister den Sitzungen des Storthings auf Verlangen jederzeit beiwohnen müßten, in den § 112 des Grundgesetzes aufzunehmen; dreimal legte der König sein Veto dagegen ein, das bei Veränderungen der Verfassung, wie dieser, nach der Ansicht der Regierung und der hervorragendsten Gelehrten kein bloß suspensives, sondern ein absolutes war. Die Mehrheit des Storthings behauptete dagegen, das Veto sei auch in diesem Fall nur suspensiv, und faßte 9. Juni 1880 den Beschluß, daß jener veränderte Verfassungsartikel auch ohne königliche Genehmigung Gesetz sei; Stang trat hierauf zurück und wurde durch Staatsminister Selmer ersetzt.

Einen andern Streitpunkt bildete die Heeresreorganisation. Nachdem 1876 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt worden, legte die Regierung 1880 einen Plan über die Organisation des Heers und der Marine vor. Die Radikalen schlugen dagegen vor, aus Rücksicht auf die Kosten (das Budget wies allerdings infolge des Rückgangs der Zölle ein Defizit auf) das Schweizer Milizsystem anzunehmen und die Stärke der Armee auch auf Kriegsfuß nicht höher als 18,000 Mann festzusetzen. Diesen Entwurf nahm das Storthing im Mai 1881 an, während die Regierung ihn als unausführbar und schädlich verwarf. Die Spannung zwischen der auf 83 Mitglieder angewachsenen radikalen Mehrheit des Storthings und der Krone wurde immer schärfer, und 1883 schritten die Radikalen zur Anklage gegen den Minister und elf Mitglieder des Staatsrats wegen Nichtausführung des Beschlusses vom 9. Juni 1880 über die Verpflichtung der Minister, im Storthing zu erscheinen. Das Reichsgericht, das zum größern Teil aus Mitgliedern des Storthings selbst zusammengesetzt war, sollte demselben das Recht, das Grundgesetz einseitig zu ändern, ausdrücklich zusprechen und that es auch nach weitläufigen Verhandlungen, die vom August 1883 bis zum April 1884 dauerten, indem es den Staatsminister Selmer und die Staatsräte für schuldig erklärte, sie ihres Amtes entsetzte und in die hohen Prozeßkosten verurteilte. Der König verwahrte sich zwar dagegen, daß durch das Urteil des Reichsgerichts die konstitutionelle Ordnung, wonach ohne seine Zustimmung das Grundgesetz nicht verändert werden könne, aufgehoben wäre, und versagte dem Urteil seine Genehmigung, erteilte aber 1. März 1884 dem Ministerium die nachgesuchte Entlassung und berief sogar an seine Stelle, nachdem das neue konservative Ministerium Schweigaard sich nicht hatte behaupten können, 26. Juni 1884 den bisherigen Führer der radikalen Storthingsmehrheit, Johann Sverdrup, da er einen friedlichen Ausgleich wünschte. Die Krone erkannte die Verpflichtung der Minister, im Storthing zu erscheinen, Sverdrup und seine Anhänger aber das absolute Veto und das Recht der Krone an, das Storthing aufzulösen und den Ministern eine bestimmte Pension zu gewähren. Die Radikalen führten von ihren frühern Forderungen die Umgestaltung des Heerwesens, die Erweiterung des Wahlrechts und die Einführung von Geschwornengerichten durch; im übrigen aber begnügten sie sich mit dem Besitz der Herrschaft und der einflußreichen Ämter, so daß sich bald unter ihnen selbst eine unzufriedene extreme Fraktion unter Qvam bildete und das Storthing 1887 eine Kirchengemeindevorlage des Ministeriums ablehnte. Die Finanzen verschlechterten sich und machten neue Auflagen nötig. Seine frühere unionsfeindliche Politik gab das radikale Ministerium angesichts der Gefahren und Nachteile, die gerade N. von einer Lockerung oder gar Auflösung der Union drohen, auf.

Litteratur. Die einzige einheimische Chronik, die "Historia de regibus vetustis norvagicis" des Mönchs Theoderich, wurde neuerlich herausgegeben von G. Storm ("Monumenta historica Norvegiae", Christ. 1880); eine wichtige Sammlung alter Königsgeschichten ist die "Heimskringla" des Snorri Sturluson (s. d.). Vgl. Thormod Torfäus, Historia rerum norvegicarum (Kopenh. 1711); Schöning, Norges Riges Historie (Sorö 1771, 4 Bde.); Munch, Det norske Folks Historie (Christ. 1851-63, 8 Bde.; die 4 ersten Hauptabschnitte deutsch von Claussen, Lüb. 1853-54, 2 Bde.); R. Keyser, Den norske Kirkes Historie under Katholicismen (Christ. 1856-58, 2 Bde.); Bang, Udsigt over den norske Kirkes Historie under Katholicismen (das. 1887).

Norwegische Litteratur. Während der Vereinigung mit Dänemark (1397-1814) hatte Norwegen, dessen ältere Sprache in der Litteratur vom Dänischen verdrängt worden war, mit Dänemark eine gemeinschaftliche Litteratur. Das Gepräge derselben war indessen ein überwiegend dänisches; denn Dänemark war und blieb das Hauptland, und besonders war Kopenhagen, auf dessen Universität auch die Norweger ihre Bildung holen mußten, der Mittelpunkt der Litteratur sowie überhaupt des geistigen Lebens beider Völker. Inzwischen war in Norwegen die Nationalität keineswegs ganz erloschen; sie stützte sich teils auf die eigentümliche großartige Natur des Landes, teils auf die im Munde des Volkes immer noch fortlebende einheimische Sprache, besonders aber auf die ererbten Sitten, deren zähes Bestehen von der Entlegenheit und der dünnen Bevölkerung des Landes begünstigt wurde. Welch eigentümlicher Gewinn von norwegischer Seite der gemeinsamen Litteratur zufloß, ergibt sich schon daraus, daß Holberg und Wessel wie auf der andern Seite Tullin und Friman Norweger waren: es ist die humoristisch-satirische Richtung und ein gewisses nüchternes, aber gesundes und lebhaftes Naturgefühl, das fremden Kulturelementen u. einem mehr oder weniger doktrinären Pathos Widerstand leistet. Diese Richtung erhielt eine Art von Sammelpunkt in der Norwegischen Gesellschaft (gestiftet 1772), welche gleichwohl weit davon entfernt war, an die Stiftung einer besondern norwegischen Litteratur zu denken, sondern nur auf die gemeinschaftliche dänisch-norwegische einen reinigenden u. weckenden Einfluß ausüben wollte. Als endlich nach langem Widerstreben die dänische Regierung die Errichtung einer Universität in Christiania (1811) hatte zugestehen müssen und bald darauf (1814) Norwegen gänzlich von Dänemark getrennt wurde, trat ein ganz andres Verhältnis ein, indem seit dieser Zeit Norwegen seinen geistigen Mittelpunkt in sich selbst gehabt hat. Denn obgleich die Büchersprache bis jetzt wesentlich die bisherige dänische geblieben ist, so trugen doch nach und nach volkstümliche Interessen dazu bei, einen eignen Leserkreis zu bilden, wie auch nationale Eigentümlichkeiten und Zwecke sich bei den Schreibenden mehr und mehr geltend machten. Freilich konnte