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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ornament

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Ornament.

mente und hierbei wieder die erhabenen (Hautreliefs), halberhabenen (Basreliefs) und Flachornamente. Die Ornamente sind entweder der Geometrie oder der Pflanzen- und Tierwelt entlehnt und dann entweder rein geometrisch, vegetabilisch oder animalisch, oder aber aus je zweien dieser Gebiete oder aus allen dreien kombiniert. Die vegetabilische und animalischen Gebilde lassen hierbei eine mehr oder minder freie Verwendung zu, welche sich dem geometrischen Grundgedanken enger oder weniger eng anschließt. Man unterscheidet hiernach stilisierte und naturalistisch behandelte Ornamente. Streng stilisiert sind besonders die Ornamente der Bauwerke und Gerätschaften des klassischen Altertums, naturalistische Ornamente sind besonders der Spätgotik und Spätrenaissance eigentümlich. Je nachdem die Ornamente durch die Form oder durch die Farbe zu wirken haben, sind sie plastische oder farbige; doch werden nicht selten Plastik und Polychromie, wie bei der griechischen und gotischen Architektur, gleichzeitig verwendet, um die Wirkung der Ornamente zu steigern. Einen Überblick über die geschichtliche Entwickelung des Ornaments bei den Hauptkulturvölkern und in den Hauptepochen geben beifolgende vier Farbentafeln "Ornamente"; weitere Beispiele von Ornamenten s. die Tafeln "Baukunst", insbesondere Tafel II, Fig. 3 u. 12, Tafel VII, Fig. 13, Tafel VIII, Fig. 7 u. 8, und Tafel IX, Fig. 10. Die Geschichte des Ornaments steht mit der allgemeinen Kunstgeschichte im engsten Zusammenhang. Die einfachsten Ornamente finden sich auf Geräten der sogen. Bronzeperiode und an gewebten Stoffen wenig entwickelter Völker. Auch die Ornamente der prähistorischen Zeit und die ältesten orientalischen, mit welchen auch diejenigen auf den Schliemannschen Funden in Troja, Mykenä und Tiryns und auf den cyprischen Altertümern übereinstimmen (s. Tafel I, Fig. 16-22), sind denjenigen der Naturvölker verwandt und vorwiegend geometrisch (Wellen- und Zickzacklinien, Spiralen). Erst allmählich werden Versuche gemacht, Tiere durch steife Linien nachzubilden (Fig. 18), woraus sich schließlich die Tierornamentik an den ältesten griechischen Vasen entwickelte (s. Tafel "Vasen", Fig. 7). Bei den Assyrern treten neben linearen Ornamenten (Bandverschlingungen) bereits vegetabilische (Rosetten, Blüten, Palmetten) auf (s. Tafel I, Fig. 1-5). Ein Gleiches gilt von der Ornamentik der Ägypter, welche ihren vegetabilische Ornamenten die Lotosblume (Fig. 7) und andre Wasserpflanzen zu Grunde legten. Dazu kamen stilisierte Tiere, Skarabäen (Fig. 6), die Uräusschlange, der Sperber u. dgl. (Fig. 6-15). Die Ornamente für die Weberei, für welche sich ein besonderes Verzierungssystem ausbildete (s. Weberei nebst Tafel), sind meist geometrisch. Die hellenische Kunst, welche ihre vegetabilischen und linearen Ornamente von der asiatischen übernahm, bildete die Ornamentik zu einem strengen System aus, wodurch der eigentliche Stil begründet wurde, indem jedes O. sich dem Charakter des verzierenden Kunstgegenstandes anpaßte und unterordnete. Die Figuren 23-39 geben Proben von Ornamenten an Architekturteilen, Wänden, Decken und Vasen. Das Charakteristische der griechischen Ornamentik ist die strenge Stilisierung der vegetabilischen Elemente, d. h. die Umbildung der einzelnen Erscheinung zu einem feststehenden Typus. Der Mäander (s. d.) und die Palmette (s. d.) sind die Hauptelemente der linearen und der vegetabilischen Ornamentik. Die Ornamentik der Etrusker (Fig. 40-43) fußt ebenso wie die der Römer (Fig. 44-54) auf der griechischen, nur daß letztere von den Römern zu höchstem Reichtum entwickelt wurde, namentlich unter Einführung figürlicher Elemente, wofür besonders die Wandmalereien in Pompeji (Fig. 48, 50-54) und die römischen Grabkammern (Kolumbarien) glänzende Beispiele bieten. Aus diesen Ornamenten, die im 15. Jahrh. neu aufgefunden wurden, entwickelte sich die Ornamentik der italienischen Renaissance (s. Tafel III; vgl. auch Grotesk). Durch Aufnahme orientalischer Elemente bildete die byzantinische Kunst einen neuen Stil heraus, der sich wesentlich auf lineare und vegetabilische Formen beschränkte, und für welche starke Farbenkontraste kennzeichnend sind (s. Tafel II, Fig. 2-6, 38, 39). Auf spätgriechischen und byzantinischen Elementen beruhte auch die Dekoration der Araber, Mauren und Perser (Fig. 7-13, 14 u. 15), die sich bei der beweglichen Phantasie und der Farbenlust dieser Völker um so glänzender entfaltete, als ihnen die Nachbildung der menschlichen Figur verboten war. Orientalische Einfluß zeigen auch die Buchmalereien in den irischen und altrussischen Manuskripten (Fig. 36 u. 37, 18 u. 19). Mit der orientalischen Ornamentik verwandt ist diejenige der Inder (s. Tafel IV, Fig. 6-9), der Perser, die zu Ende des Mittelalters von Indien und China abhängig wurde (s. Tafel IV, Fig. 10-13), der Chinesen (Fig. 1 u. 2) und Japaner (Fig. 3-5). Die Kunst der Ostasiaten, welche vorwiegend eine ornamentale ist, hat später einen eignen Weg eingeschlagen (vgl. Japan, S. 160). Sie hat im 18. Jahrh. und in neuester Zeit auch die europäische Dekoration stark beeinflußt. Aus der griechisch-römischen Ornamentik ist die romanische abgeleitet worden, welche die Baukunst und die Dekoration der innern Räume vom 10. bis zum 13. Jahrh. beherrschte. Sie zog neue Elemente aus direktem Naturstudium und gab besonders phantastische Tierfiguren in ihrem System großen Raum (s. Tafel II, Fig. 20-28, und Tafel "Weberei"). In der gotischen Ornamentik tritt wieder mehr das vegetabilische Element in stark phantastischer, später naturalistischer Behandlung, die schließlich zum wüsten Übermaß und zur leeren Spielerei ausartete, in den Vordergrund (s. Tafel II, Fig. 29-35, 40-47). Eine Rückkehr zum Einfachen und Stilgerechten führte im Anschluß an die römische Antike die italienische Renaissance herbei (s. Tafel III, Fig. 11-16, 18-20), deren System besonders nach Frankreich durch italienische Künstler übertragen und von einheimischen festgehalten wurde (Fig. 17, 21 bis 28), während die deutsche Renaissance die antike Ornamentik mehr in freierm, naturalistischem Sinn, auf Grund der gotischen Überlieferung verwertete (Fig. 27-33). Eine weitere Umbildung nach der naturalistischen Seite, aber zugleich eine Steigerung zu höherer Pracht erfuhr die Ornamentik in der Zeit der Spätrenaissance, des Barock- und Rokokostils (s. Tafel IV, Fig. 14-28). Die Ornamentik der Barockzeit artet häufig in schwerfälligen Prunk und Überladung aus, während die der Rokokozeit durch Grazie und spielende Leichtigkeit ausgezeichnet ist. Das Grotten-, Muschel- und Rahmenwerk ist für letztere charakteristisch. Eine Reaktion gegen das Übermaß derselben wurde durch den steifern und schmucklosern Zopfstil eingeleitet, aber erst durch die Nachahmung antiker Muster, zum Teil in mißverstandener (Empirestil), zum Teil in reinerer Form (Schinkel, Klenze), durchgeführt. Die Ornamentik der Zeit von 1820 bis 1870 trägt einen frostigen, zaghaften Charakter. Erst mit dem vollen Anschluß der Baukunst, des Kunstgewerbes und der Dekoration an die Renaissance hat die moderne Ornamentik eine freie Bewegung gewonnen,