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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Österreichisch-Ungarische Monarchie

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Österreichisch-Ungarische Monarchie (Geschichte: 1849-1855).

einem großen Staatskörper zu vereinigen". In sicherer Erwartung einer baldigen Unterwerfung Ungarns ward 7. März 1849 der Reichstag zu Kremsier, der inzwischen in vollem Vertrauen auf die Versprechungen des Ministeriums dessen liberale Reformvorschläge eingehend beraten hatte, aufgelöst und die Oktroyierung einer vom 4. März datierten Verfassung für Gesamtösterreich verkündigt. Durch dieselbe wurden alle zur österreichischen Monarchie gehörigen Länder unter Aufhebung aller Unterschiede zu einem einheitlichen Staatskörper vereinigt; die ungarische Verfassung wurde zunächst noch nicht aufgehoben, aber die serbische Woiwodschaft, Serbien, Kroatien und die Militärgrenze von Ungarn losgetrennt; die Feststellung des Verhältnisses des Lombardisch-Venezianischen Königreichs wurde einem besondern Statut vorbehalten. Schwarzenberg unternahm es also, das von Maria Theresia und Joseph II. begonnene Werk, die Verwandlung Österreichs in einen zentralisierten Einheitsstaat, der im Heer sein Vorbild hatte, mit Einem Schlag zu vollenden.

Die erste Vorbedingung hierfür war die Unterwerfung Ungarns (s. d.). Dieselbe schien Anfang 1849 sicher. Windischgrätz rückte 5. Jan. in Ofen-Pest ein und glaubte durch seinen angeblichen Sieg bei Kapolna (27. Febr.) die ungarische Feldarmee vernichtet zu haben. Aber infolge seiner Unthätigkeit gewannen die Ungarn Zeit, sich zu sammeln, in Siebenbürgen und im Banat die Kaiserlichen zurückzudrängen und im April die österreichische Hauptarmee in mehreren Schlachten zu besiegen, so daß sie Pest räumen mußten. Nun beantwortet der ungarische Reichstag die Oktroyierung der Verfassung vom 4. März mit dem Beschluß vom 14. April, welcher Ungarn mit allen Nebenländern für einen selbständigen Staat und die habsburg-lothringische Dynastie für abgesetzt erklärte. Während die Ungarn Ofen belagerten und 21. Mai erstürmten, rief Österreich die russische Hilfe gegen die Revolution an, welche der Zar Nikolaus in einem Vertrag vom 21. Mai zusagte. Ein russisches Korps rückte in Siebenbürgen, die Hauptarmee unter Paskewitsch über die Karpathen in Ungarn ein. Gleichzeitig drangen die Österreicher unter Haynau die Donau abwärts vor. Die Ungarn erlagen der Übermacht, und 13. Aug. streckte Görgei mit der Hauptarmee (22,000 Mann) bei Világos vor dem russischen General Rüdiger bedingungslos die Waffen. Die Russen überlieferten Ungarn auf Gnade und Ungnade den Österreichern, die, gereizt und erbittert, daß die Ungarn durch die Kapitulation von Világos dem hochmütigen Zaren einen leichten Triumph verschafft hatten, über die Häupter des Aufstandes ein grausames Strafgericht verhängten. Die ungarische Verfassung wurde für verwirkt erklärt und Ungarn zu einem bloßen Kronland des Gesamtstaats umgewandelt, die Nebenländer zu selbständigen Kronländern erhoben.

Der im März 1849 von Sardinien von neuem erklärte Krieg in Italien wurde schon 23. März durch den glänzenden Sieg Radetzkys bei Novara beendet, im August auch Venedig wieder unterworfen und die Verhältnisse auf der Apenninenhalbinsel ganz so wiederhergestellt, wie sie vor 1848 gewesen waren. Außer dem Lombardisch-Venezianischen Königreich beherrschte Österreich indirekt Parma, Modena, Toscana und die Romagna und besaß den maßgebenden Einfluß in Neapel. Dieselbe Wiederherstellung seiner Machtstellung glückte Österreich in Deutschland. Hier hatte die Veröffentlichung der österreichischen Verfassung vom 4. März, welche auf die deutschen Verhältnisse keine Rücksicht nahm, die Mehrheit des Frankfurter Parlaments bewogen, im März 1849 den engern deutschen Bundesstaat und die Übertragung der Kaiserkrone auf den König von Preußen zu beschließen. Die neue Reichsverfassung scheiterte an der Anlehnung der Krone durch Friedrich Wilhelm IV. Während Preußen nun mit den deutschen Fürsten über die Bildung einer Union unter seiner Führung verhandelte, bewältigte Österreich die Unruhen im Innern und konnte schon 1849 mit einem siegreichen Heer im Hintergrund bestimmend in die deutschen Dinge eingreifen. Es verlangte nicht bloß Wiederherstellung des Bundestags, sondern auch Aufnahme Gesamtösterreichs in den Bund, und seine Forderungen wurden von den süddeutschen Königlichen und von Rußland unterstützt. Preußen wagte keinen Krieg für seine Unionspolitik und unterwarf sich in Olmütz (November 1850). Schwarzenberg konnte sich rühmen, den preußischen Nebenbuhler aufs tiefste gedemütigt zu haben, und spielte an der Spitze der deutschen Mittelstaaten, welche bei Österreich Schutz vor den deutschen Einheitsbestrebungen suchten, die entscheidende Rolle im wiederhergestellten Deutschen Bund. Aber es belud sich auch mit dem Fluch freiheits- und deutschfeindlicher Reaktion durch die Unterdrückung der Kurhessen und die Auslieferung Schleswig-Holsteins an Dänemark. Und die Aufnahme Gesamtösterreichs in den Deutschen Bund erreichte es doch nicht, da die Westmächte gegen das Siebzigmillionenreich protestierten, ebensowenig wie die Zolleinigung mit Deutschland, zu welchem Zweck 1. Okt. 1849 die ungarische Zolllinie aufgehoben und 6. Nov. 1851 ein neuer Zolltarif erlassen worden war.

Die glänzenden Erfolge, welche Schwarzenberg Politik davongetragen, gaben der von ihm geleiteten Hof- und Militärpartei die Macht in die Hände. Nach Graf Stadions Tod (17. Mai 1849), welcher wenigstens ein vernünftiges Verwaltungssystem durchführen wollte, herrschte die Reaktion in Österreich unumschränkt. Sein Nachfolger Alexander Bach hatte nur das eine Ziel, Österreich zu einem einheitlichen, aber absolut monarchischen Staat zu machen. Nachdem 14. April 1851 als Beirat des Monarchen und Ersatz für die Volksvertretung ein aus kaiserlicher Ernennung hervorgegangener Reichsrat errichtet worden war, wurden 20. Aug. die Ministerverantwortlichkeit, das Stadionsche Gemeindegesetz und Schmerlings Gerichtsreform mit dem Institut der Schwurgerichte und 31. Dez. die Verfassung vom 4. März selbst aufgehoben. Schwarzenberg starb 5. April 1852 auf der Höhe seines Glücks, aber auch nach seinem Tod schien sein Werk gesichert. Bach und der Kultusminister Graf Leo Thun arbeiteten im Sinn des Zentralismus und Absolutismus scheinbar erfolgreich, die meist slawische Büreaukratie entfaltete eine rührige Thätigkeit für Verschmelzung der Länder, und gegenüber der Zerfahrenheit und Thatenlosigkeit früherer Zeiten schien das neue System an sich nicht unzeitgemäß und ungeeignet zu sein. Aber wirkliche Reformen wurden gar nicht versucht und nichts gethan, um durch wirtschaftliche Befreiung und materielle Wohlthaten die Bevölkerung mit dem Absolutismus zu versöhnen. Die Finanzlage war eine traurige, ergab Jahr für Jahr ein Defizit und zwang zur Ausgabe von Papiergeld, das immer tiefer im Wert sank und Handel und Gewerbe hemmte. Die Geistlichkeit gelangte zu schrankenlosem Einfluß, der seinen Höhepunkt in dem am 18. Aug. 1855 mit dem päpstlichen Stuhl abgeschlossenen Konkordat erreichte, das die Souveränität des Staats mehr ein-^[folgende Seite]