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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Österreichisch-Ungarische Monarchie

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Österreichisch-Ungarische Monarchie (Geschichte: 1874-1877).

drücken über die Kirchengesetze beklagt, der Papst 7. März 1874 in einer Encyklika sie als eine Knechtung der Kirche und trotz scheinbarer Mäßigung für ebenso verderblich wie die preußischen erklärt, was Andrássy in einer scharfen Note zurückwies. Auch hatten die österreichischen Bischöfe nach Ablehnung ihres Antrags auf Tagesordnung sich aus dem Herrenhaus entfernt. Gleichwohl erließen sie keinen Gesamtprotest und kamen unter dem Vorgeben, sie erfüllten nur die Bestimmungen des noch immer rechtsgültigen Konkordats, den Gesetzen im wesentlichen nach. Die Regierung ihrerseits handhabte dieselben in möglichst milder Form und vermied einen offenen Konflikt mit dem Klerus. Auch der neue päpstliche Nunzius, Jacobini, wirkte in versöhnlichem Sinn, und allmählich fügte sich, mit Ausnahme von Tirol, die Geistlichkeit den Schulgesetzen und leisteten die Bischöfe die Anzeigepflicht. Unzweifelhaft war damit ein bedeutender Fortschritt erreicht, daß die Kirche unter das Gesetz gebeugt wurde, anstatt dem Staat als gleichberechtigte Macht gegenüberzustehen. Indes war durch die kirchenpolitische Gesetzgebung, welcher sich die liberale Mehrheit mit ganzem Eifer widmete, deren Aufmerksamkeit von andern wichtigen Dingen abgezogen, ihr Gesichtskreis allzusehr verengert worden. Nichts war geschehen, um das Deutschtum durch Gesetze und Institutionen zu stärken, die Stellung des Deutschen als Staatssprache zu sichern und dem Slawismus zeitig einen Damm entgegenzusetzen. Die sogen. "Jungen" der Verfassungspartei, eine Fraktion, welche bei den Neuwahlen 1873 hervortrat und 65 Sitze errang, verlangten zwar, daß in den deutschen Kronländern das deutsch-nationale Interesse betont und zu diesem Zweck auch deren Autonomie vermehrt werden müsse. Aber die durchaus zentralistisch gesinnte Mehrheit der Verfassungspartei wollte hiervon nichts wissen und eine Gefahr für die Herrschaft der Deutschen nicht anerkennen. Allzusehr wogen bei deren Führern, Herbst, Giskra, Rechbauer, Sturm, Skene u. a., die freisinnigen Grundsätze vor. Sowohl im cisleithanischen Reichstag als in den Delegationen bekämpften dieselben die Höhe der Forderungen für das Heer, so daß das Armeebudget wiederholt gegen ihre Stimmen durch die Ungarn und die Ultramontanen bewilligt wurde. Im österreichischen Landwehrgesetz wurde die Kavallerie gestrichen, ein Verhalten, welches neben dem Drängen auf Erlaß weiterer Kirchengesetze das Ansehen und den Einfluß des Ministeriums beim Kaiser erschüttern mußte. Ferner erlitt die Verfassungspartei dadurch eine moralische Einbuße, daß viele ihrer Mitglieder, so besonders Giskra und Petrino, in Gründerprozesse, wie den Ofenheimschen 1875, verwickelt und arg bloßgestellt wurden, so daß selbst der Handelsminister Banhans seine Entlassung nehmen mußte.

Inzwischen näherte sich die Zeit, wo der 1867 zwischen Österreich und Ungarn abgeschlossene finanzielle Ausgleich (s. oben, S. 523) einer Revision, die nach zehn Jahren eintreten sollte, unterzogen werden mußte. Die Ungarn suchten sich möglichst viele Vorteile zu sichern, insbesondere die Errichtung einer selbständigen ungarischen Staatsbank und einen größern Anteil am Ertrag der Konsumtionssteuern; sie drohten sogar mit der Auflösung der Zollunion, und der neue ungarische Ministerpräsident, Tisza, kündigte im November 1875 wirklich das Zollbündnis, als das österreichische Ministerium seine Forderungen nicht sofort bewilligte. Die Verhandlungen wurden im tiefsten Geheimnis geführt und zogen sich lange Zeit ohne Ergebnis hin. Die Ungarn verlangten nun eine Ermäßigung ihrer Quote zu den gemeinsamen Ausgaben auf 29 Proz. Auch dies wurde von Cisleithanien abgelehnt. Endlich verständigen sich die beiderseitigen Ministerien darüber, daß eine Erneuerung des Zollbündnisses auf zehn Jahre stattfinden, der Quotensatz und die Berechnung der Konsumtionssteuern im wesentlichen wie bisher bleiben, dagegen einige Konsumtionszölle erheblich erhöht und die Direktion der Österreichischen Nationalbank paritätisch zusammengesetzt sowie 30 Proz. ihrer Noten der Pester Filiale überwiesen werden sollten. Da die Nationalbank diese Bestimmungen ablehnte und auch die verfassungstreuen Klubs des Reichsrats sich gegen dieselben erklärten, so war der Ausgleich wiederum gefährdet. Erst 1877 wurde durch gegenseitige Zugeständnisse eine neue Vereinbarung erzielt und den Vertretungen beider Reichshälften zur Genehmigung vorgelegt. Tiszas Macht im ungarischen Parlament war groß genug, um die Zustimmung desselben zu erwirken. Dagegen konnte die Opposition der österreichischen Verfassungspartei gegen die hohen Finanzzölle und das neue Bankstatut nur durch die bestimmte Erklärung Auerspergs, daß er im Fall der Ablehnung zurückzutreten entschlossen sei, überwunden werden. Der neue Ausgleich wurde daher erst nach Ablauf der Revisionsfrist im Juni 1878 formell zum Abschluß gebracht und ließ beide Teile unbefriedigt. Für Österreich war das Sinken der Macht des verfassungstreuen Ministeriums noch besonders bedenklich.

Österreich Ungarns orientalische Politik und der Sturz des Ministeriums Auersperg.

Seit Graf Andrássy die auswärtige Politik Österreichs leitete, hatte sich das Verhältnis zu Deutschland immer freundschaftlicher gestaltet. Unter deutscher Vermittelung fand auch eine Versöhnung mit Rußland statt, und im September 1872 erschienen Kaiser Franz Joseph und Kaiser Alexander II. in Begleitung ihrer obersten Minister in Berlin, wo das Dreikaiserbündnis geschlossen wurde; durch dasselbe verbanden sich die drei Reiche zu gemeinschaftlichem Handeln in den europäischen Angelegenheiten, besonders im Orient, damit dadurch der allgemeine Friede gesichert werde. Als nun dennoch infolge der von Rußland ausgehenden panslawistischen Wühlereien die orientalische Krisis 1875 mit den Aufständen in Bosnien und Bulgarien ausbrach, war die Stellung Österreich-Ungarns insofern schwierig, als die verschiedenen Nationen des Reichs mit ihren Sympathien in den entgegengesetzten Lagern standen, die Ungarn türkenfreundlich, die Polen russenfeindlich waren, die Südslawen und Tschechen dagegen für den Panslawismus schwärmten. Die Deutschen wünschten vor allem die Aufrechterhaltung des Friedens, welche auch die finanziellen Verhältnisse dringend erheischten. Österreich lehnte daher eine Beteiligung am Kriege gegen die Türkei durch bewaffnetes Einschreiten in Bosnien und der Herzegowina ab, erlangte jedoch Anfang 1877 von Rußland für das Versprechen seiner Neutralität das Zugeständnis, daß die an Österreich grenzenden Lande Bosnien und die Herzegowina sowie Serbien nicht in den Krieg hineingezogen und erstere nach dem Krieg von Österreich besetzt werden sollten. Dieser Vertrag wurde streng geheimgehalten, und die Regierung hatte nun die schwierige Aufgabe, die erregte öffentliche Meinung bei den verschiedenen Stämmen der Monarchie zu beschwichtigen und Ausschreitungen bei den Kundgebungen zu unterdrücken. Besonders in Ungarn gab die Ankunft einer