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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ostindien

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Ostindien (Geschichte).

galen, wo der Nabob Suradsch ud Daulah 1756 Kalkutta eingenommen und 146 gefangene Engländer in einem Raum von nur 20 Quadratfuß, das "schwarze Loch" genannt, eingesperrt hatte, die bis auf 23 den Erstickungstod starben. Mit 3000 Mann, worunter 900 Engländer, schlug Clive 26. Juni 1757 das 60,000 Mann starke Heer des Gegners bei Plassey, machte ungeheure Beute (über 40 Mill. Mk.) und erwarb die ersten Territorialrechte in Bengalen. Den französischen General Lally Tollendal, welcher nach der Einnahme der englischen Feste David (April 1758) Madras belagerte, zwang er zum Rückzug und nahm den Franzosen mehrere Plätze ab. Im Pariser Frieden (10. Febr. 1763) erhielten diese Ponditscherri und Tschandarnagar zurück; 1770 jedoch löste sich die Französisch-Ostindische Kompanie auf, und England hatte nun in O. keinen europäischen Nebenbuhler mehr zu bekämpfen. Der mit dem Fürsten von Audh verbündete Nabob von Patna wurde 22. Okt. 1761 von Clive bei Bagsar (Buxar) geschlagen, und 1765 erlangte die Ostindische Kompanie das Recht der Steuererhebung und Zivilverwaltung in ganz Unterbengalen und Bihar. In Südindien gingen die Engländer zunächst noch vorsichtig vor, und als der Nizam von Haidarabad sich mit Haider Ali von Maissur gegen sie verbündete, mußten sie sich 3. April 1769 zu einem schimpflichen Vertrag bequemen. Der Sieg des Generals Sir E. Coote (2. Juni 1782) und der Tod Haider Alis (10. Dez.) gaben ihnen aber auch hier das Übergewicht. In anbetracht dieser Gebietserwerbungen hatte das englische Parlament 1773 die Verhältnisse der Ostindischen Kompanie geregelt und namentlich bestimmt, daß Kriegserklärungen und Verhandlungen über Ländererwerb stets dem englischen Ministerium vorgelegt werden müßten; an der Spitze der indischen Besitzungen sollte ein Generalgouverneur stehen. Pitts Bill vom 18. Mai 1784 setzte in England einen Aufsichtsrat (Board of control) ein, dessen Präsident ein verantwortlicher Minister war. Die Privilegien der Kompanie wurden aber 1793 auf 20 Jahre verlängert. Erster Generalgouverneur (seit 1784) war Warren Hastings, der ohne Rücksicht auf die Verträge mit den indischen Fürsten das Gebiet der Kompanie den Ganges aufwärts erweiterte und Bengalen vortrefflich organisierte, aber nicht bloß sich selbst aus Habgier auf ungerechte Weise bereicherte, sondern dasselbe auch seinen Beamten gestattete und die Einwohner damit unsäglichen Bedrückungen und Mißhandlungen preisgab. Hastings wurde 1785 abberufen und Lord Cornwallis (1786-93) an seine Stelle ernannt, der Haider Alis Sohn Tippu Sahib von Maissur, welcher den Engländern den Krieg erklärt hatte, unterstützt von dem Nizam von Haidarabad und den Marathen, glücklich bekämpfte, ihn 1761 bei Bangalor besiegte und in Seringapatam einschloß, so daß Tippu 1792 Malabar und Kurg abtreten mußte. Nach der kurzen Regierung Sir John Shores (1793-98) folgte Lord Wellesley (1798-1805), unter dem Tippu 1799 den Krieg erneuerte. Doch wurde er wiederholt besiegt und fiel bei der Erstürmung seiner Hauptstadt Seringapatam (4. Mai 1799). Der größere Teil von Maissur wurde unter direkte englische Herrschaft gestellt, das Binnenland den Nachkommen Tippus belassen, bis es 1832 wegen schlechter Regierung ebenfalls in englische Verwaltung genommen wurde. Wellesley war nun bemüht, die Marathen dem englischen Einfluß zu unterwerfen, und nachdem er sich durch den Vertrag von Bassein (31. Dez. 1802) festen Einfluß in der Hauptstadt des Peischwa, in Puna, gesichert hatte, besiegte er den Sindia in der Schlacht bei Assaye (23. Sept. 1803), während das andre weniger mächtige Oberhaupt der Marathen, der Holkar von Indor, seine Unabhängigkeit behauptete und der Sindia nach Wellesleys Abberufung seine Residenz Gwalior zurückerhielt. Der Marquis von Hastings (1813-23) zwang den Holkar, der sich mit den Räuberbanden der Pindari vereinigt hatte, 1817 durch den Sieg bei Mehidpur, sich unter britischen Schutz zu stellen; die Pindari wurden unterworfen und Puna, der Sitz des Peischwa, zu Bombay geschlagen. Nepal mußte im Vertrag von Sigauli (4. März 1816) Kamaon abtreten, wodurch dieses Reich von Kaschmir getrennt wurde. Lord Auckland (1836-42) begann den an Wechselfällen des Glücks reichen Krieg mit Afghanistan (s. d., S. 145). Obwohl die Kompanie Kriege und Gebietserweiterungen gar nicht wünschte, wurden die Engländer durch die noch unabhängigen Völker selbst zu Kriegen und Eroberungen genötigt. So erwarb Lord Ellenborough (1842-44) Sind, das Land am untern Indus. 1845 griffen die Sikh (s. d.) das britische Gebiet an und erhoben sich, 1846 zum Frieden von Lahor gezwungen, 1848 von neuem. Nach ihrer Niederlage bei Gudschrat (21. Febr. 1849) wurde ihr Reich mit Britisch-Indien vereinigt. Pegu in Hinterindien ward 1852 nach einem Krieg mit Birma erworben, Audh 1856 einverleibt. Der mit 30. April 1854 abgelaufene Freibrief der Kompanie wurde nicht erneuert, sondern durch Gesetz vom 4. Mai 1854 die Aufsichtsrechte der Krone erweitert und bestimmt, daß die Verhältnisse der Kompanie jederzeit gesetzlich geregelt werden könnten.

Unter dem Generalgouverneur Viscount Canning (1856-62) brach der große indische Aufstand aus. Mancherlei Rücksichtslosigkeiten und Gewaltthaten der Engländer hatten Erbitterung erzeugt, der Verlauf des Krimkriegs die Furcht vor Englands Kriegsmacht gemindert, so daß es nur eines geringen Anlasses bedurfte, um einen allgemeinen Aufruhr hervorzurufen. Diesen Anlaß gab die Einführung der Enfieldbüchse und deren mit Rindertalg und Schweineschmalz (ersterer den Hindu, letzteres den Mohammedanern ein Greuel) bestrichene Patronen bei den eingebornen Truppen (Sepoys oder Sipahis). In Mirat bei Dehli kam es 10. Mai 1857 zuerst zu einer Empörung der Truppen, welche alle Europäer und Christen ermordeten und deren Besitzungen niederbrannten. Ein britisches Schützenregiment vertrieb die Rebellen. Doch entkamen dieselben nach Dehli, wo drei eingeborne Regimenter sich ihnen anschlossen. Das dort angehäufte Kriegsmaterial fiel in ihre Hände, alle Europäer, die sich nicht geflüchtet hatten, wurden ermordet und der Großmogul Mohammed Bahadur Schah, dessen Macht bisher nur ein Schein gewesen, an die Spitze gestellt. Rasch verbreitete sich nun der Aufstand über ganz Hindostan; zu Khanpur wurden die englischen Soldaten und Einwohner, welche sich in ein Hospital gerettet hatten, auf Befehl Nana Sahibs alle ermordet. Das Pandschab dagegen blieb nicht nur ruhig, sondern stellte auch die meisten und zuverlässigsten Soldaten gegen die Aufständischen. In den Präsidentschaften Madras und Bombay schlossen sich die Truppen der Bewegung nur vereinzelt an. Die Entscheidung knüpfte sich an den Besitz von Dehli; dasselbe wurde daher von einer großen englischen Armee regelrecht belagert und 20. Sept. 1857 unter furchtbarem Blutvergießen erstürmt. Auch das übrige Hindostan wurde allmählich unterworfen, zuletzt Lakhnau (19. März 1858) und Gwalior (18. Juni); nur vereinzelte Rebellenhaufen hielten sich noch län-^[folgende Seite]