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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Pflanzengeographie

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Pflanzengeographie.

eigentümliche Flora herrliche Wiesen bildender Kräuter und kleinerer Strauchgewächse, als Alpenrosen, Vaccinieen und Erikaceen. 5) Die Region der Alpenkräuter oder obere alpine Region, von 2300 m bis zum Kamm und den Gipfeln des Gebirges, ist die Heimat der eigentlichen Alpenpflanzen (s. d.). Ihnen schließen sich noch als letzte Vertreter der Holzpflanzen nur wenige Zoll hohe Weiden an. Da die Gletscher stellenweise weit herabreichen, so sind sie oft unmittelbar von der üppigsten Vegetation umgeben. Selbst die eigentliche Schneelinie, welche in den nördlichen Alpen bei 2700, in den südlichen Zentralalpen bei 3000 m anzunehmen ist, stellt noch nicht die oberste Grenze der Vegetation dar. In den Alpen kommen Silene acaulis, Ranunculus glacialis u. a. noch über 3000 m vor, und besonders sind es Moose und steinbewohnende Flechten, welche nebst der Alge des roten Schnees hier die letzten Spuren vegetabilischen Lebens darstellen. Die Übereinstimmung der obern Pflanzenregionen mit den entsprechenden Zonen der nordischen Flora geht noch über den allgemeinen landschaftlichen Vegetationscharakter hinaus und zeigt sich sogar in dem Auftreten einzelner identischer Arten. Von 294 Spezies hochalpiner Gewächse kommen 64 Arten auch in den Hauptgebieten der arktischen Zone rings um den Pol vor. Eine Anzahl von Arten haben die Alpen ferner mit den höhern Gebirgen Europas und Asiens gemeinsam. Nur in den Schweizer Alpen einheimische Pflanzen zählt man ca. 182. Außer der Differenz gewisser Spezies, die mit dem ursprünglichen Verbreitungsbezirk derselben zusammenhängt, bestehen aber noch anderweite Verschiedenheiten, die sich durch gewisse Abweichungen der klimatischen Verhältnisse, die auf die Vegetation großen Einfluß haben, erklären. Die höhern Gebirgsgegenden haben bei gleicher Mitteltemperatur weniger hervortretende Temperaturextreme; in den entsprechenden nordischen Ebenen sind die Winter kälter, die Sommer wärmer; ferner sind in den höhern Gebirgsregionen die Niederschläge häufiger und die Insolation weit stärker. Letztere beiden Umstände bedingen einen durchaus verschiedenen Charakter der alpinen und arktischen Flora (s. Alpenpflanzen).

Wenn man ohne Rücksicht auf die die Physiognomie der Erdoberfläche bedingenden Gesamtcharaktere der Vegetation alle diejenigen Länder und Gebirgsregionen zusammenfaßt, über welche eine bestimmte Pflanzenart verbreitet ist, so erhält man ihren Verbreitungsbezirk oder ihr Areal, das durch bestimmt gerichtete Linien, die Vegetationslinien, umschlossen wird. Verhältnismäßig wenige Pflanzen, welche man kosmopolitische nennt, sind über die ganze Erde zerstreut; zu diesen gehören hauptsächlich Kryptogamen, einige Wasser- und Schuttpflanzen. Die meisten Pflanzen haben verhältnismäßig beschränkte Verbreitungsbezirke; manche bewohnen nur ein eng begrenztes Gebiet, z. B. eine Insel oder ein einzelnes Gebirge; man bezeichnet ein solches Vorkommen als Endemismus. So wächst z. B. Wulfenia carinthiaca nur auf der Kuhwegeralp in Kärnten. Die Verbreitung der meisten Pflanzenarten ist wiederum durch die klimatischen Verhältnisse bedingt, indem sie im allgemeinen in der Richtung der Parallelkreise viel beträchtlicher als in derjenigen der Längengrade ausgedehnt ist und in manchen Fällen sogar einen den Isothermen folgenden Gürtel rings um die Erde bildet. Dies wird jedoch gegen den Äquator hin wegen der großen räumlichen Ausdehnung, die hier die Zonen annehmen, immer unvollständiger und seltener. Mit der Abhängigkeit der Vegetation von den Temperaturverhältnissen hängt auch die Unterbrechung der Verbreitungsbezirke mancher Pflanzen zusammen. So treten viele der Hochgebirgspflanzen erst wieder in einer oft weit entfernten horizontalen Zone auf. Der Fall, daß dieselben Arten in den entsprechenden Klimaten der nördlichen und südlichen Hemisphäre auftreten, ist verhältnismäßig selten. Doch kommen nach R. Brown im südlichen Australien ungefähr 40 unsrer europäischen Spezies wiederum vor. Um die Verbreitung der einzelnen Pflanzenarten auf der Erde zu erklären, hat die P. die Hypothese aufgestellt, daß, ähnlich wie dies für das Menschengeschlecht angenommen wird, auch jede Pflanzenart nur in einem oder wenigen Individuen an irgend einem Zentralpunkt ihres Verbreitungsbezirks entstanden sei und sich erst mit ihrer Vervielfältigung über ihr gegenwärtiges Areal allmählich ausgedehnt habe. Sie greift dabei auf die geologischen und klimatischen Verhältnisse der der Jetztzeit vorhergegangenen Erdperioden zurück und leitet so z. B. die Übereinstimmung der nordischen Flora mit der der höhern Gebirgsregionen Mitteleuropas aus der Eiszeit ab, wo die Gletscher weit nach Süden reichten und ganz Mitteleuropa eine arktische Flora besaß, welche sich später in die kältern Gegenden und Regionen zurückziehen mußte. Auch der geologisch nachweisbare oder wahrscheinliche frühere Zusammenhang jetzt durch Meere getrennter Kontinente die in gewissen Pflanzenarten übereinstimmen, wird zur Erklärung herangezogen. Aber es müssen auch wirkliche Pflanzenwanderungen angenommen werden. Die wichtigsten Verbreitungsmittel der Pflanzen sind: 1) Der Wind, durch welchen besonders geflügelte Früchte von Ahornen, Ulmen etc. sowie Früchte und Samen mit Haarkrone oder Haarschopf, wie die der Weiden, Pappeln und besonders die der Kompositen, verbreitet werden, wie das Umsichgreifen vieler dahin gehöriger Unkräuter und die Wanderung des Frühlingskreuzkrauts (Senecio vernalis) aus dem östlichen Europa nach Westen beweisen. 2) Das Wasser, indem Früchte und Samen vieler Pflanzen durch die Flüsse stromabwärts aus den Gebirgen in die Ebenen herabgeführt werden, wofür besonders viele Alpenpflanzen Beispiele bieten. Auf den sich bildenden Inseln des Stillen Ozeans entstanden zuerst Kokospalmen und Pandanusbäume aus Früchten, welche das Meer ausgeworfen hatte; selbst aus Amerika werden verschiedene Pflanzensamen durch den Golfstrom im keimfähigen Zustand an die europäischen Küsten geworfen. 3) Tiere, besonders Vögel, welche vielen saftigen Früchten nachgehen, die Samen mit verschlucken und an entfernten Orten zugleich mit ihren Exkrementen absetzen. Aus der Umgegend von Montpellier hat Gordon 372 Spezies aufgezählt, welche durch die Schafwolle aus Spanien, Belgien, Marokko, Ägypten, Italien und Sizilien eingeführt worden sind. 4) Die Einwirkung des Menschen, durch welchen mit oder ohne Absicht bedeutende Veränderungen in den Verbreitungsbezirken der Pflanzen herbeigeführt worden sind. Vor allem gilt dies von den Kulturpflanzen, aber auch von Unkräutern und andern Pflanzen, welche unter den verschiedensten Verhältnissen Verbreitung fanden. - Auch die Gattungen und selbst viele Pflanzenfamilien zeigen bestimmte Verbreitungsbezirke, die natürlich meist weiter als die ihrer Arten sind. Dabei kommt vielfach das Verhältnis vor, daß eine Gattung in verschiedenen Ländern oder Erdteilen durch verschiedene Arten vertreten ist. Für manche Gat-^[folgende Seite]