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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Philologie

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Philologie (im 17. u. 18. Jahrhundert; Erwachen des Humanismus in Deutschland).

lateinischer Dichtung; aber im ganzen tritt die Kritik und Erklärung lateinischer Schriftsteller in den Vordergrund (Hugo Grotius, 1583-1645, wendete die Gesetze echter Interpretation zuerst auf die Bibel an), wie bei Joest Lips (1547-1606), den beiden Heinsius (Daniel 1581-1655 und Nikolaas 1620-81) und bei den aus Deutschland eingewanderten J. Fr. ^[Johann Friedrich] Gronov (1611-71) und J. G. ^[Joannes Georgius Graevius] Gräfe (1632-1703), und nur wenige denken an Geographie, wie Klüwer aus Danzig, oder an Geschichte, wie Jacob Vorbroek (Perizonius, 1651-1715); ja, die Antiquitäten wurden rein äußerlich in weitschichtigen Sammelwerken beachtet. Dieser Sammlerfleiß zeigte sich dann auch in den gewaltigen Bänden der Ausgaben "cum notis variorum", unter deren Herausgeber die beiden Burman obenan stehen. Für das Griechische wurde zunächst von den Holländern wenig gethan; erst Tib. Hemsterhuis (1685-1766) verschaffte ihm gleiche Berechtigung, und ihm folgt eine große Anzahl tüchtiger Gräzisten, wie L. C. Valckenaer (1715-85), Dav. Ruhnken (1723-98), Dan. Wyttenbach (1746-1820), van Heusde (1778-1859) bis zu den noch lebenden Cobet und van Herwerden. Neben ihnen dürfen die Latinisten Hofman-Peerlkamp (1786-1865), J. ^[Jan] Bake (1787-1864), Pluygers, Naber, Du Rieu nicht vergessen werden. Alle halten in nationalem Selbstgefühl die Traditionen ihrer großen Vorgänger bei der Kritik und Erklärung der Schriftsteller fest und versteigen sich nicht auf andre Gebiete der Altertumswissenschaft.

Seit dem Anfang des 18. Jahrh. ward auf die neue britische Richtung der Holländer von England aus der nachhaltigste Einfluß geübt. Zwar hatte es dort seit dem 16. Jahrh. nicht an Männern gefehlt, die, in Italien selbst gebildet, philologische Studien getrieben und auf den Universitäten und in großartigen Schulstiftungen eingeführt hatten (John Colet, Thomas Linacre, Rich. Crook); aber die schweren politischen und kirchlichen Kämpfe gestatteten denselben doch wenig Raum. Der kühne und geniale Richard Bentley (1662-1742), der es an Gelehrsamkeit mit seinen Zeitgenossen aufnahm, übertraf dieselben an Scharfsinn und durch strengere Methode. Sprache, Metrik, Fragen der Litteraturgeschichte behandelte er gleich eindringend, und in der Herstellung der Texte fand er nicht bloß die Fehler, sondern heilte sie auch mit seltener Divinationsgabe. Noch immer gilt er als princeps criticorum, und mehrere seiner Schriften sind als epochemachend zu betrachten. Eine Schule hat er nicht gebildet; aber sein Beispiel wirkte zunächst bei seinen Landsleuten, welche dieselbe kritische Richtung festhielten, wie Jer. Markland (1693 bis 1776), John Taylor (1703-66), Rich. Dawes (1708-66), John Toup (1713-85), Thomas Tyrwhitt (1730-86), Sam. Musgrave (1739-1780). Dem großen Meister am Anfang des Jahrhunderts steht am Ausgang desselben Rich. Porson (1759-1808) sehr nahe, der bei seinen Schülern und Anhängern die Pflege der griechischen Litteratur, besonders der szenischen Dichter, weckte und bei ihnen in Metrik und Sprache als unfehlbare Autorität galt. Peter Elmsley, Peter Paul Dobree, Thomas Gaisford, Blomfield, Monk, Paley, Blackie, Blaydes u. a. können hier angeführt werden. Die Verhältnisse des Landes veranlaßten die Reisen in die klassischen Länder (Stuart und Revelt ^[richtig: Revett], Chandler, Dodwell, Leake, Fellows) sowie die dilettantische Lust an dem Sammeln von Werken alter Kunst (Hamilton) und deren Aufstapelung in dem Britischen Museum (Newton); dieselben befähigten auch wie nirgends zur Behandlung der alten Geschichte (Gibbon, Grote, Thom. Arnold, Thirlwall, Lewis). Dagegen hat man erst in der neuesten Zeit angefangen, sich der kritischen Behandlung der römischen Schriftsteller mehr zuzuwenden (Connington, Munro, Ellis).

In Deutschland dauerte es lange, bis sich der Humanismus Bahn brach. Italiener kamen dorthin an die Universitäten, wie Publicius in Erfurt; Deutsche, wie Peter Luder, zogen von Universität zu Universität. Obgleich Äneas Sylvius und Antonio Campano an der Befähigung unsrer Landsleute zweifelten, fanden diese Studien doch einen guten Boden vor. Das war das Verdienst der in Norddeutschland bereits in der zweiten Hälfte des 14. Jahrh. entstandene Genossenschaft der Brüder vom gemeinsamen Leben, die einen lebendigen Eifer für die Bildung der Jugend und des Volkes überhaupt bethätigte. Der Stifter Geert Groot (1340-84) sah nur die Anfänge; aber die rasche Entwickelung der Fraterhäuser von Deventer aus in den Niederlanden, weiter in Norddeutschland bis Rostock und Kulm brachte auch den höhern Unterricht in die Hände der Brüder. Es ist zunächst eine theologisierende Richtung, auf die R. Agricola (Huysman), der selbst in Italien gewesen war und dann an verschiedenen Orten ohne eigentliches Lehramt lebte, Einfluß übte, indem er zugleich auf die Einrichtung von Schulen hinwirkte. Deventer unter Alexander Hegius (gest. 1498) erzog die Männer, die unter Rud. v. Langens Leitung die Münstersche Humanistenschule bildeten. Aber es galt zunächst, die mittelalterlichen Lehrbücher zu beseitigen und neue zu schaffen. Den Reigen führt der große Gelehrte, welcher allen zivilisierte Ländern gleichmäßig angehört und durch Ermunterung und Schriften die klassische Bildung für die Gelehrten wie für den Unterricht überall hingetragen hat, Desiderius Erasmus (1467-1536). Joh. Reuchlin (1455-1522) ward der Mittelpunkt für die neuen Bestrebungen in Württemberg, der erste Lehrer im Griechischen und im Hebräischen, um den sich in dem Kampf gegen die Kölner Obskuranten alle erleuchteten deutschen Männer scharten. Konrad Celtes (Pickel, 1459-1508) wanderte als fahrender Humanist von Ort zu Ort, auch nach Italien, und vereinigte die Freunde seiner Wissenschaft in verschiedenen sodalitates litterariae, z. B. in der Weichselgegend, an der Donau und vornehmlich am Mittel- und Oberrhein. Dort hatte Dringenberg, ein Zögling der Hieronymianer, die Schule in Schlettstadt zur Blüte gebracht, und sein bester Schüler, J. ^[Jakob] Wimpheling (1450-1528), sorgte durch Unterricht und Lehrbücher für weite Kreise. In Basel, Straßburg, Tübingen, Heidelberg, Ingolstadt, Wien, Erfurt finden sich Humanisten; Leipzig, Rostock und Greifswald waren noch in den Banden des Scholastizismus. Im Süden ersetzte man am fleißigsten die alten Lehrbücher durch neue, Württemberg allein hat eine ganze Reihe von Verfassern lateinischer Grammatiken aufzuweisen, im Norden und Westen Cäsarius, Murmellius und die feurigen Apostel der neuen Lehre, Herm. von dem Busche und Mosellanus (Schade). Aber auch an wirklichen Philologen, wie Gelenius, Rhenanus, Grynäus, fehlte es nicht; andre waren Sammler und Bearbeiter zugleich, wie Konrad Peutinger und Apianus (Bienewitz). Seit der Reformation wurde der Einfluß der klassischen P. zunächst darin sichtbar, daß man dieselbe für die Theologie verwertete und im Dienste der Kirche zahlreiche Schulen und Universitäten gründete. Freilich herrschte in diesen Schulen die zum Teil, besonders in Sachsen und Württem-^[folgende Seite]