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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Raffaellīno

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Raffael - Raffaelino ^[richtig: Raffaellino].

Wie die meisten großen Künstler der Renaissance, hatte R. auch die Architektur, in welcher ihn Bramante unterrichtet, in seinen Kreis gezogen. Von Bramante zum Architekten der St. Peterskirche empfohlen, mußte er einen Plan, einen Kostenüberschlag und ein Modell liefern, welches angenommen wurde. Indessen ward unter Raffaels Leitung nur der Unterbau begonnen. Dagegen soll er den von Bramante begonnenen Hof von San Damaso im Vatikan vollendet haben. Außerdem fertigte er auch mehrere Pläne zu Privatgebäuden in Rom, von denen sich jedoch keins ganz oder unverändert erhalten hat. Auch in Florenz sollen einige Gebäude nach seinem Plan aufgeführt sein; doch ist man über den Umfang der architektonischen Thätigkeit Raffaels noch nicht ins klare gelangt. Sie wird sich wahrscheinlich nur auf Entwürfe beschränkt haben, die von andern selbständig ausgeführt worden sind. Der ihm zugeschriebene Palast Uguccioni in Florenz rührt jedenfalls nicht von ihm her. Auch der Palast Pandolfini ist nur verkümmert zur Ausführung gelangt. Vgl. Pontani, Opere architettoniche di Raffaello (Rom 1845); Geymüller, Raffaello architetto (Mail. 1863). Auch in der plastischen Kunst hat sich R. versucht, indem er einige Thonmodelle anfertigte. Sicher bezeugt ist ein toter Knabe auf einem Delphin, dessen Marmorausführung sich in der Eremitage zu St. Petersburg befindet.

Das Verzeichnis der einzelnen Gemälde und Zeichnungen Raffaels umfaßt 1225 Nummern, die fast über die ganze zivilisierte Erde zerstreut sind. Die Malereien der vatikanischen Stanzen sind durch das Kupferwerk F. Aquilas bekannt: "Picturae Raphaelis Sancti Urbinatis" (1722, 22 Bl.); eine neuere Folge bilden die Stiche von I. Volpato und Morghen (8 Bl.). Von den Malereien der Loggien des Vatikans erschienen viele Bildwerke, so: "Les loges du Vatican" (52 Bl., gestochen von J. ^[Johannes/Giovanni] Volpato und J. ^[Johannes/Giovanni] Ottaviani; Rom 1782, 43 Bl.; neue Lichtdruckreproduktion, hrsg. von Rosenberg, Berl. 1883); "Raffaels Bilder zur biblischen Geschichte des Alten Testaments" (Prag 1841 ff.). Die Kartons zu den Tapeten erschienen gestochen und zu Folgen vereinigt als "Pinacotheca Hamptoniana" von N. Dorigny (Lond. 1719, 8 Bl.; neue Lichtdruckreproduktion, Wien 1878) u. a. Die Malereien in der Farnesina erschienen gestochen unter dem Titel: "Psyches et Amoris nuptiae ac fabulae" von N. Dorigny (Rom 1693, 12 Bl.), als "Raffaels Darstellungen aus der Fabel von Amor und Psyche" von Franz Schubert (Münch. u. Leipz. 1842 ff.) und von T. de Marc in Bigot, R. et la Farnésine (Par. 1884). Raffaels Zeichnungen wurden im Stich herausgegeben von L. Celotti (Vened. 1829) u. a., in Photographien von A. Braun u. Komp.

Was Raffaels große Eigenschaften im einzelnen betrifft, so müssen wir ebensosehr den Reichtum seiner Phantasie und seine große Produktionskraft wie seine klare Besonnenheit bewundern. Bei der größten Mannigfaltigkeit behält er seinen Gegenstand doch streng im Auge und vermeidet alles Fremdartige. Wie in einem Spiegel, reflektiert sich in ihm die ganze Welt mit ihren verschiedenartigsten Formen. Selbst seine Madonnen sind unter sich höchst verschieden, je nach der Idee, welche ihn dabei erfüllte. Die frische Lebensfülle, die alles durchdringenden Grundideen in seinen Darstellungen sind es, welche ihnen die Macht der Wirkung verleihen, die den Beschauer volle Befriedigung finden läßt. Dazu kommt die ungezwungene Symmetrie seiner Komposition und die auf große Wirkung zielende Verteilung der Licht- und Schattenmassen. Auch verstand R., wie kein andrer, sowohl dem Ganzen als den einzelnen Gruppen seiner Werke eine geschlossene und gerundete Komposition zu geben, welche harmonisch auf den Sinn wirkt und der Seele ein bezauberndes Bild einprägt. Er ist derjenige Künstler, welcher am tiefsten und reichsten die Charaktere dargestellt und dem Ausdruck seiner Köpfe, den Bewegungen seiner Gestalten das wärmste und wahrste Leben verliehen hat. Ebensosehr ist das feine Gefühl des Lebens in Zeichnung und Darstellung des Nackten zu rühmen. In seinen Bildnissen tritt auf überraschende Weise nicht nur die Ähnlichkeit der äußern Gestalt, sondern auch der ganze innere Mensch hervor. Unerreicht geblieben ist er in der Darstellung der Gewandung, wo er ebenfalls die unerschöpfliche Fülle seiner Phantasie bewährt. In der Färbung hat der Künstler durchgehends einen leuchtenden Ton, so daß bei der größten Tiefe seiner Farben die Schatten stets durchsichtig und glanzvoll sind. R. bildete eine große Schar von Schülern, von denen sich jedoch die meisten nicht über flache Nachahmung erhoben und bald in eine durch Michelangelo wesentlich beeinflußte Manier verfielen. Eine wahrhaft schöpferische Kraft treffen wir nur bei Giulio Romano, eigentümliche Talente nur bei wenigen andern Schülern, namentlich denjenigen, welche mit R. erst in Verbindung traten, als sie schon ihre erste künstlerische Bildung erworben hatten, wie Garofalo und Gaudenzio Ferrari. An Giulio Romano schließt sich Francesco Penni, genannt il Fattore. Ein durch Talent und Produktionsgabe ausgezeichneter Schüler Raffaels ist Perino del Vaga. Während indessen des Meisters Kunstweise durch seine Schüler wie durch seine Werke und die Kupferstiche nach denselben nach allen Gegenden Italiens hin und selbst im Ausland Eingang fand, erlosch in Rom seine Schule bald nach seinem Tode, da nach dem Hinscheiden Leos X. 1521 die Künstler ohne alle Beschäftigung für die Regierung blieben und die 1527 erfolgte Plünderung Roms vollends die noch zurückgebliebenen Schüler Raffaels zerstreute. Doch haben seine Werke bis auf die Gegenwart einen nachhaltigen Einfluß geübt, der so lange fortdauern muß, wie der Idealismus in der Kunst Anhänger findet.

Raffaels Leben beschrieb Vasari, Vite de' più eccellenti architetti, pittori e scultori (Flor. 1568; mit Übersetzung und Kommentar hrsg. von H. Grimm, "Das Leben Raphaels", Berl. 1886). Die neuern Biographien Raffaels sind: Quatremère de Quincy, Histoire de la vie et des ouvrages de Rafaël (2. Aufl., Par. 1833, Nachtrag 1852; ital. von Franc. Longhena, Mail. 1829, mit 23 Kupfern u. einem Faksimile; deutsch, Quedlinb. 1836); Passavant, Rafael von Urbino und sein Vater Giovanni Santi (Leipz. 1839-58, 3 Bde.; in verbesserter franz. Ausg., Par. 1860); E. Förster, Raphael (Leipz. 1867-68, 2 Bde.); Campori, Notizie e documenti per la vita di Giovanni Santi e di Raffaello Santi (Modena 1870); A. Springer, R. und Michelangelo (2. Aufl., Leipz. 1883); Lübke, Rafaels Leben u. Werke (Dresd. 1881, mit 3 Bdn. Lichtdrucknachbildungen); Gruyer, Raphaël et l'antiquité (Par. 1864); Derselbe, Les vierges de R. (das. 1869, 3 Bde.); Derselbe, R. peintre de portraits (das. 1881); Müntz, Raphaël, sa vie, son œuvre et son temps (das. 1881); Crowe und Cavalcaselle, Raphael, his life and works (Lond. 1882; deutsch, Leipz. 1883); Minghetti, Raffaello (deutsch, Bresl. 1887). Ein Verzeichnis der Werke Raffaels gibt der Katalog Rulands: "The works of Raphael" (Lond. 1876).

Raffaellīno, Maler, s. Colle.