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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Reichenbach; Reichenberg

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Reichenbach - Reichenberg.

Febr. 1788 zu Stuttgart, studierte in Tübingen die Rechte und Naturwissenschaften, gründete zu Villingen ein Eisenwerk und errichtete zu Hausach in Baden die ersten großen Holzverkohlungsöfen. 1821 rief er auf den Eisenwerken zu Blansko in Mähren großartige industrielle Schöpfungen ins Leben. Mit der Kohlenerzeugung verband er die Gewinnung von Holzessig, Teer und reiner konzentrierter Essigsäure und die Verarbeitung dieser Nebenprodukte zu einer Menge verschiedenartiger Präparate. Von 1824 bis 1832 legte er Eisengießereien, Bohr- und Blechwalzwerke, Maschinenbauateliers etc. an und wendete zuerst den Eisenguß auf Herstellung größerer Statuen und Abgüsse nach antiken Mustern an; auch errichtete er in der Nähe von Blansko eine Runkelrübenzuckerfabrik. Bei der Holzessig- und Teerfabrikation entdeckte er das Kreosot, das Paraffin, Eupion, Kapnomor, Assamar etc. In seinen "Geologischen Mitteilungen aus Mähren" (Wien 1834) lieferte er die erste geognostische Monographie im österreichischen Staat. Er war Inhaber wertvoller Sammlungen, so einer von Meteoriten, ferner des großen Sieberschen Herbariums u. a. m. In den letzten Jahren erregte er besonders durch seine odischen Untersuchungen Aufmerksamkeit, aber auch allgemeinen Widerspruch der Physiker (s. Od). Er lebte in den letzten Jahren auf Schloß Reisenberg bei Wien und starb 19. Jan. 1869 in Leipzig. Er schrieb: "Untersuchungen über die Dynamide des Magnetismus, der Elektrizität, der Wärme, des Lichts etc. in ihren Beziehungen zur Lebenskraft" (Braunschw. 1849, 2 Bde.); "Odisch-magnetische Briefe" (Stuttg. 1852); "Der sensitive Mensch und sein Verhalten zum Od" (das. 1854, 2 Bde.); "Die Pflanzenwelt in ihren Beziehungen zur Sensitivität und zum Od" (Wien 1858); "Aphorismen über Sensitivität und Od" (das. 1866); "Die odische Lohe und einige Bewegungserscheinungen als neuentdeckte Formen des odischen Prinzips in der Natur" (das. 1867). Vgl. Schrötter, K., Freiherr v. R. (Wien 1869); Fechner, Erinnerungen an die letzten Tage der Odlehre etc. (Leipz. 1876).

3) Heinrich Gottlieb Ludwig, Botaniker und Zoolog, geb. 8. Jan. 1793 zu Leipzig, Sohn von Joh. Friedr. Jakob R., Konrektor an der Thomasschule (gest. 1839, Verfasser des ersten griechisch-deutschen Wörterbuchs, Leipz. 1818), studierte seit 1810 daselbst Medizin und Naturwissenschaften, erhielt eine außerordentliche Professur, ging aber 1820 als Professor der Naturgeschichte an der chirurgischen Akademie und Direktor des Naturalienkabinetts nach Dresden, schuf hier einen botanischen Garten und starb 17. März 1879. Er schrieb: "Flora germanica excursoria" (Leipz. 1830-32, 2 Bde.), wozu die von seinem Sohn fortgesetzten "Icones florae germanicae et helveticae" (Bd. 1-22, das. 1834-1885, mit 2700 Tafeln) gehören; "Flora exotica" (das. 1834-36). Auch gab er eine "Flora germanica exsiccata" (Leipz. 1830-45) in 26 Centurien getrockneter Pflanzen heraus. Erläuterungen des von ihm aufgestellten Pflanzensystems, welches die natürliche Verwandtschaft der Pflanzen vielfach gut zum Ausdruck gebracht hat, gab er in: "Übersicht des Gewächsreichs und seiner natürlichen Entwickelungsstufen" (Leipz. 1828); "Handbuch des natürlichen Pflanzensystems" (Dresd. u. Leipz. 1837); "Das Herbarienbuch" (das. 1841). Außerdem gab er heraus: "Abbildung und Beschreibung der für Gartenkultur empfehlenswerten Gewächse" (Leipz. 1821-26, mit 96 Tafeln); "Monographia generis Aconiti" (Altona 1820, mit 19 Tafeln); "Illustratio specierum Aconiti generis" (das. 1823-27, mit 72 Tafeln); "Iconographia botanica s. plantae criticae" (das. 1823-1832, mit 1000 Tafeln); "Iconographia botanica exotica" (das. 1827-30). Von seinen zoologischen Schriften sind hervorzuheben: "Regnum animale" (Leipz. 1834-36, mit 79 Tafeln); "Deutschlands Fauna" (das. 1842, 2 Bde.); "Vollständigste Naturgeschichte des In- und Auslandes" (das. 1845-54, 2 Sektionen in 9 Bänden mit über 1000 Tafeln).

4) Heinrich Gustav, Sohn des vorigen, geb. 3. Jan. 1824, studierte in Leipzig, lehrte dann in Tharandt, habilitierte sich in Leipzig, ward daselbst 1855 außerordentlicher Professor, folgte aber später einem Ruf als Professor der Botanik und Direktor des botanischen Gartens nach Hamburg. Er hat sich besonders um die Kenntnis der Orchideen verdient gemacht und schrieb: "Xenia orchidacea" (Leipz. 1855-83, 3 Bde. mit 900 Tafeln); "Beiträge zur Orchideenkunde Zentralamerikas" (Hamb. 1866); "Beiträge zur Orchideenkunde" (Jena 1869). Auch bearbeitete er für die meisten neuern großen Reisewerke die Orchideen und lieferte Fortsetzungen zu den "Icones florae germanicae etc." seines Vaters.

Reichenberg, Stadt in Böhmen, an der Neiße, wichtiger Industrieort und Knotenpunkt der Eisenbahnlinien nach Pardubitz, Zittau und Görlitz, besitzt an hervorragenden Gebäuden ein Rathaus, ein Schloß, 2 katholische und eine neue evang. Kirche, ein Gerichts- und mehrere Schulgebäude, ein Meisterhaus der Tuchmachergenossenschaft, ein Theater (nach dem Brand 1880 neugebaut) und ein Schützenhaus. R. zählt (1880) mit der Garnison (ein Jägerbataillon) 28,090 Einw. und bildet in industrieller Beziehung den Zentralpunkt der nordböhmischen Tuchindustrie. Dieselbe ist hier durch 98 größere und 166 kleinere Unternehmungen, in ihrer weitern über die Stadt hinausreichenden Ausdehnung durch 457 Etablissements (Spinnereien, Webereien, Färbereien und Appreturen) vertreten, welche mit 120,000 Spindeln, 620 mechanischen und 3960 Handwebstühlen arbeiten und 10,000 Arbeiter beschäftigen. Die Jahreserzeugung beläuft sich auf 220,000 Stück Tuch und tuchartige Stoffe im Wert von etwa 21 Mill. Gulden. Andre in R. vertretene Industriezweige sind: die Fabrikation von kamm- und halbwollenen Stoffen, die Teppichfabrikation, Baumwollspinnerei, Fabrikation von Weberkämmen und Kratzen, Maschinen und Leder. Förderungsmittel der gewerblichen Produktion und des ebenfalls sehr lebhaften Handels, welcher namentlich die Rohstoffe und die Erzeugnisse der Industrie zum Gegenstand hat, sind: die Filiale der Österreichisch-Ungarischen Bank, die Reichenberger Bank, eine Sparkasse, eine Pfandleihanstalt, eine Tuchhalle, ein Gewerbeverein u. a. R. bildet eine Stadt mit eignem Statut (mit Magistrat als politischer Behörde), ist außerdem Sitz einer Bezirkshauptmannschaft (für die Umgebung), eines Kreisgerichts, Hauptzollamtes, einer Handels- und Gewerbekammer, hat ein Oberrealgymnasium, eine Staatsgewerbeschule, eine städtische und Gremialhandelsschule, eine Fachzeichen- und Webschule, ein Gewerbemuseum, ein städtisches Waisenhaus, Versorgungshaus und Spital. Südwestlich von R. erhebt sich der aussichtsreiche Jeschkenberg (1013 m). - R. wird in Urkunden zuerst 1348 genannt. Die Tuchmacherei begann hier zu Ende des 16. Jahrh. Albrecht von Waldstein kaufte 1622 die Herrschaft R., welche nach ihm an den Grafen Gallas und später an die gräfliche Familie Clam Gallas kam. Vgl. Hallwich, R. und Umgebung (Reichenb. 1874); Hübler, Führer durch R. (das. 1883).