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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Reuß

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Reuß (Fürstentümer).

Weg. Weiterhin drückt sich nischenartig die Straße in die schauerliche Felswand der Schöllenen und schreitet von einem Ufer zum andern. Die Tiefe des Thalkessels von Göschenen (1063 m), wo der nördliche Eingang des Gotthardtunnels liegt, ist erreicht. Da rauscht die Göschener R. aus ihrem Thal hervor, bei Wasen (840 m) die Mayenreuß, bei Amsteg der Kärstelenbach (536 m). Nun fängt das Thal an sich zu erweitern, und durch ein schönes Kanalwerk gelangt die durch den Schächenbach verstärkte R. in den Vierwaldstätter See (s. d.). Bei Luzern (437 m) verläßt sie ihr Läuterungsbassin und damit das Bergland; unter Aufnahme der Kleinen Emme wendet sie sich wieder nordwärts und mündet, nachdem die Lorze ihr noch zugegangen, bei Windisch in die Aare (329 m). Die Gesamtlänge der R. beträgt 145,6 km. Ihr Flußgebiet umfaßt 3411 qkm; ihre Gletscher nehmen 145 qkm ein, also 4,25 Proz. des Flußgebiets.

Reuß, ehedem vier, jetzt zwei souveräne deutsche Fürstentümer: R. ältere Linie (R.-Greiz) und R. jüngere Linie (R.-Schleiz-Gera), deren Gebiet aus zwei getrennten Teilen besteht, wovon der nördliche (Unterland) an den preußischen Regierungsbezirk Merseburg, das Herzogtum Altenburg und das Großherzogtum Weimar grenzt, während der größere südliche Teil (Oberland) von Schwarzburg-Rudolstadt, dem preußischen Kreis Ranis, Sachsen-Weimar, dem Königreich Sachsen, Bayern (Oberfranken) und Sachsen-Meiningen eingeschlossen wird (s. Karte "Sächsische Herzogtümer"). Im allgemeinen ist das Land gebirgig, indem es von einem Teil des Thüringer Waldes, der seit einigen Menschenaltern hier Frankenwald heißt, sowie von einem Teil des zwischen diesem und dem Erzgebirge befindlichen vogtländischen Mittelgebirge durchzogen wird. Die bedeutendsten Spitzen sind: der Sieglitz (747 m) und der Kulm (779 m). Die Hauptgewässer sind: die Saale mit der Selbitz, Lemnitz, Friesau, Wetterau und Sormitz im westlichen und die Weiße Elster mit der Göltzsch im östlichen Teil des Landes. An der südlichen Grenze entspringt die Rodach, welche zum Main geht. Das Oberland führt an zahlreichen Punkten Stahlquellen, von denen die in der Nähe von Lobenstein gefaßt sind und Anlaß zu der Begründung der dortigen Bade- und Heilanstalt gaben. Das Klima ist gemäßigt, um den Frankenwald etwas rauh, in den Gegenden an der Saale und um Gera weit milder. Die Fürstentümer R. haben einen Flächeninhalt von 1142 qkm (20,8 QM.) mit (1885) 166,502 Einw., wovon auf R. ältere Linie 316 qkm (5,8 QM.) mit 55,904 Einw., auf R. jüngere Linie 826 qkm (15,0 QM.) mit 110,598 Einw. kommen. R. ältere Linie zählt 2 Städte, 2 Marktflecken und 76 Dörfer, R. jüngere Linie 6 Städte, 4 Marktflecken und 163 Dörfer. Städte mit über 10,000 Einw. sind Greiz und Gera. Die Einwohner bekennen sich, mit Ausnahme weniger Katholiken (1503), Mennoniten und 170 Juden, zur evangelischen Kirche. In Ebersdorf besteht eine Herrnhutergemeinde von 500 Seelen. Die Volksbildung steht auf hoher Stufe. Es bestehen in den Fürstentümern außer den sehr guten Volksschulen 2 Seminare (Schleiz und Greiz), 3 Gymnasien (Gera, Greiz und Schleiz), ein Realgymnasium, 2 höhere Töchterschulen, eine Handelsschule (Gera), eine Bauschule u. eine Taubstummenanstalt (Schleiz), eine Bergschule in Lobenstein und verschiedene Privatlehranstalten.

Obgleich die reußischen Lande wegen ihrer gebirgigen Beschaffenheit die Landwirtschaft nicht zu begünstigen scheinen, so wird dieselbe doch mit großer Sorgfalt betrieben. In R. ältere Linie und R. jüngere Linie entfallen auf Ackerland und Gärten 41,2, bez. 38,9 Proz., auf Wiesen 16,7, auf Weiden 1,9, bez. 3,3, auf Wald 36, bez. 37,7 Proz. des Areals. Man baut allenthalben die gewöhnlichen deutschen Getreidearten; doch reicht im gebirgigen und rauhen Oberland der Ertrag bei weitem nicht für den Bedarf der Bewohner hin, weshalb viel Getreide aus Bayern, Böhmen und dem Altenburgischen eingeführt werden muß. Obst und feineres Gemüse werden nur in Hausgärten gezogen, dagegen ist der Kartoffelbau sehr ausgebreitet und ergiebig. Sorgfältig wird im Oberland der Flachsbau betrieben. Hopfenbau findet sich hin und wieder, Weinbau gar nicht. Wiesen von bester Qualität haben alle Landesteile aufzuweisen, daher ist die Viehzucht, bez. die Viehmästung in blühendem Betrieb und haben die Viehmärkte, namentlich im Oberland, eine große Bedeutung. Dagegen ist der Bestand an Pferden und Schafen verhältnismäßig gering. Einen wesentlichen Reichtum bilden in beiden Fürstentümern die Waldungen, von welchen in R. ältere Linie 50 Proz. im Besitz des Staats, in R. jüngere Linie 48 Proz. im Besitz des Fürsten sind. Sie bestehen meist aus Nadelholz. Auch der Bergbau gibt einen nicht unansehnliche Ertrag, wenn er auch bei weitem nicht mehr in dem Maß blüht wie früher. Der ehedem nicht unbedeutende Bau auf Antimonerze, Flußspat, Braunkohlen (Unterland) und Kupfererze hat meist aufgehört; nur der Bau auf Eisenerze und Braunkohle beschäftigt noch eine größere Anzahl von Bergleuten. In der Nähe von Köstritz befinden sich die Saline Heinrichshall und eine chemische Fabrik. In Saalburg verarbeitet eine Marmorschleiferei die schönen Kalkbänke der dortigen alten Formationen. Außerdem gibt es reiche Schiefer- und Sandsteinbrüche, und hier und da wird Torf gestochen. Die gewerbliche Industrie ist sehr lebhaft. In R. ältere Linie stehen obenan die Wollwarenindustrie in Greiz und den umliegenden Ortschaften und die Strumpfwarenindustrie in Zeulenroda. Erstere liefert Tibets, halbwollene und halbseidene Stoffe, wollene Decken, Baumwollzeuge etc. In Greiz stehen jetzt ca. 8000 mechanische Webstühle, und in Zeulenroda vermehren sich die Stühle für mechanische Wirkerei unausgesetzt. Außerdem sind mehrere Seifensiedereien (Zeulenroda), Maschinenbauanstalten (ebendaselbst), Wollzeugdruckereien, Stein- und Buchdruckereien, Färbereien und Appreturanstalten sowie Gerbereien im Betrieb. In R. jüngere Linie ist der Hauptort für die Industrie Gera, und hier ist es wiederum vorzugsweise die Fabrikation von Kammwollwaren, welche dominiert: es stehen daselbst ca. 7000 mechanische Webstühle. Außerdem sind zu nennen: für Jutespinnerei und -Weberei Triebes; für Färberei Gera; für Bierbrauerei, außer den Städten, Tinz, Pfordten, Gera-Untermhaus und Köstritz, Lemnitzhammer; für Gerberei Gera und namentlich Hirschberg; für Tabaksfabrikation Gera und Ebersdorf; für Fabrikation von Harmoniken und Akkordions Gera; für Roßhaarspinnerei Gera; für Fabrikation von Messingwaren Schleiz. Endlich bestehen noch einige Eisenhütten (Oberland), eine chemische Fabrik (Heinrichshall), eine Porzellanfabrik (Gera-Untermhaus), Wachstuchfabriken, Maschinenbauanstalten (Gera) etc. Was den Handel betrifft, so sind die wichtigsten Ausfuhrartikel der Fürstentümer: die erzeugten wollenen Webstoffe und gewirkten Waren, Jutestoffe, ferner Holz, Rindvieh, Butter, Eisen, Leder, Sandsteine und Steingut; Haupteinfuhrartikel: