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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Russisches Reich

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Russisches Reich (Bevölkerung, Religionsbekenntnisse).

stark. Der iranische Stamm ist vertreten durch die Armenier, welche als spekulative Kaufleute, 34,000 Köpfe an Zahl, über das Reich verbreitet sind, am stärksten in Jekaterinoslaw, und die vagabondierenden Zigeuner, 112,000 Seelen, am zahlreichsten in Bessarabien, namentlich im Kreis Akjerman. Von den in Rußland wohnenden Semiten sind nur 2½ Mill. Juden hervorzuheben, welche zur Zeit der Kreuzzüge nach Polen flüchteten und von da später sich weiter verbreiteten. Sie wohnen heute in allen Gouvernements, vorzugsweise aber in den westlichen, ehemals polnischen Ländern, und machen z. B. in Suwalki 17, in Warschau und Mohilew 16, in Radom 15, in Lublin 14, in Wolhynien und Grodno 13, in Podolien und Plozk 12, in Piotrkow, Kjelzy, Kiew und Wilna 11, in Kalisch, Kowno und Witebsk 10 Proz. der Bevölkerung aus. Im Kreis Tschausy (Gouvernement Mohilew) bilden sie sogar die Mehrheit. Unter diesen zumeist auf einer tiefen Kulturstufe stehenden Juden zählt man 3100 Karainen oder Karaiten, welche den Talmud verwerfen und in der Krim, ihrem Hauptsitz, wohl tatarischer Abkunft sind.

Außerordentlich mannigfach, wie aus der Tabelle, S. 64, hervorgeht, sind die mongolischen Völker in Rußland vertreten. Beginnen wir mit den finnischen Völkern, so sehen wir, daß sie von den nordwärts drängenden Russen in zwei Gruppen, eine östliche und eine westliche, zersprengt worden sind, von denen die letztere die baltischen Finnen umfaßt, die in die karelische und die tschudische Gruppe zerfallen. Die Karelier, zusammen 2 Mill. Menschen, werden wieder in eine Anzahl kleinerer Stämme geteilt: die eigentlichen Karelier (300,000) in Ostfinnland, Twer, Nowgorod, Archangel und Olonez, die Quänen (290,000) im nördlichen und nordwestlichen Finnland; die Suami (280,000) im westlichen und südwestlichen Finnland; die Jämen oder Tawasten (530,000) östlich von den vorigen; die Sawolaks (470,000) östlich von den Tawasten; die Äurämöiset (76,000) im südöstlichen Finnland und St. Petersburg; die Sawakot und Ingrier (64,000) im Gouvernement St. Petersburg. Alle diese karelischen Finnen zeigen denselben Typus, stehen auf schwedischer Kultur und sind meist Ackerbauer, Fischer und Seefahrer. Die zweite Gruppe der baltischen Finnen machen die Tschuden aus, und unter ihnen ragen die ackerbauenden Esthen in Esthland und im nördlichen Livland (746,000 Seelen) hervor. Sie sind protestantische Ackerbauer und erst seit 1816 aus der Leibeigenschaft befreit. Von den ihnen verwandten Liven existiert nur noch ein kleiner Rest (2500 Seelen) bei Kap Domesnäs in Kurland; ihnen wiederum verwandt sind die Wepsten oder Nordtschuden (36,000 Köpfe) am Onega- und Ladogasee. Endlich gehören noch zur tschudischen Gruppe die Lappen, von welchen 7500, teils als Renntier-, teils als Fischerlappen, in den an Schweden und Norwegen grenzenden Landstrichen wohnen. Von diesen baltischen Finnen sind durch die bis ans Eismeer und Weiße Meer vorgedrungenen Russen die östlichen Wolgafinnen und nördlichen Finnen getrennt, von denen manche bereits in der Russifizierung begriffen sind, und die, wiewohl äußerlich zur griechischen Kirche bekehrt, noch viel vom alten Heidentum bewahrt haben. Die Mordwinen (790,000) wohnen mehr oder minder zahlreich in den Gouvernements Samara, Saratow, Simbirsk, Pensa, Nishnij Nowgorod, Tambow und Kasan; die Tscheremissen (260,000) auf beiden Seiten der Wolga zwischen den Flüssen Wjatka und Wetluga und um die Mündung der Sura; die Wotjaken (240,000) kompakt in der östlichen Hälfte des Gouvernements Wjatka zwischen den Flüssen Kama und Wjatka. Diese drei Völker sind fleißige Ackerbauer, Vieh- und Bienenzüchter, treiben auch einige Gewerbe. Tiefer in der Kultur als diese stehen die nordischen Finnen, zunächst die Permier (67,000) im Gouvernement Perm, meist Jäger und Fischer; die Wogulen, eigentlich schon ein asiatisches Volk, da nur 2000 von ihnen im Gouvernement Perm auf europäischem Boden wohnen, und die Syrjänen (85,000) in Archangel und Wologda, ein Volk von kühnem Unternehmungsgeist, was sie als Renntiernomaden, Händler und Jäger im N. eine Rolle spielen läßt. Endlich die gleichfalls nach Asien hinüberreichenden, meist heidnischen Samojeden (5000 Köpfe) im Gouvernement Archangel an der Eismeerküste.

Zahlreich wie die finnischen Völker sind auch die tatarischen im europäischen Rußland. Tataren im engern Sinn, zusammen 1,200,000, wohnen als friedliche und fleißige Ackerbauer und Gewerbtreibende in Kasan, wo unter Ulu-Machmed einst auf den Trümmern des Bulgarenreichs ihr mächtiges Chanat entstand; ferner in der Krim und den benachbarten Gebieten, wo sie gleichfalls einst ein mächtiges Chanat bildeten; endlich in Litauen, wo sie (wie die übrigen Tataren) den Islam beibehalten, aber europäische Tracht und polnische Sprache angenommen haben. Nach Sitte, Lebensweise, Religion, wenn auch nicht nach der Abstammung stehen die Baschkiren (756,000) den Tataren nahe, sie wohnen auf beiden Seiten der Bjelaja in den Gouvernements Ufa, Orenburg, Perm und Wjatka und befinden sich im Übergang vom Nomaden zum seßhaften Leben. Sporadisch unter ihnen zerstreut leben die Meschtscherjäken (136,000 Seelen), doch auch in Pensa und Tambow; sie sind ein ursprünglich finnisches, doch jetzt tatarisiertes seßhaftes Volk. Ebenso verhält es sich mit den Teptjären (126,000 Köpfe). Tatarisierte Wolgafinnen sind auch die Tschuwaschen, welche nur die Sprache mit den Tataren gemein haben, sonst aber den Tscheremissen gleichen. Sie leben 570,000 Köpfe stark am rechten Wolgaufer um die Sura herum, außerdem in Simbirsk, Samara und Ufa. Sie sind Ackerbauer, viele noch Heiden. Das eigentliche Nomadenvolk der tatarischen Völkergruppe in Rußland sind die Kirgisen oder Kaisaken, Nachkommen der Horden, die einst unter Dschengis-Chan die halbe Welt eroberten. Im europäischen Rußland befindet sich im Gouvernement Astrachan nur ein 156,000 Seelen zählender Bruchteil des weitverbreiteten Volkes und zwar die innere oder bukeische Horde, welche 1801 ihre heutigen Weideplätze angewiesen erhielt. Neben ihnen nomadisieren 2000 Karakalpaken, ihre nahen Verwandten. Die echtesten Mongolen auf europäischem Boden sind schließlich die 107,000 Kalmücken, welche im Gouvernement Astrachan nomadisieren, soweit sie aber den Donischen Kosaken zugeteilt sind, auch Ackerbau betreiben. Vgl. Buschen, Die Bevölkerung des russ. Kaiserreichs (Gotha 1862); Pauly, Description ethnographique des peuples de la Russie (Petersb. 1862, mit 62 Tafeln); Rittich, Ethnographie Russlands (Gotha 1878).

Religionsbekenntnisse.

Nach den Religionsbekenntnissen verteilt sich die Bevölkerung im europäischen Rußland mit Einschluß Finnlands und Polens gegenwärtig etwa so:

^[Liste]

Griech.-Orthodoxe 69000000

Raskolniken 1040000

Armenier 42000

Evangelische 5280000

Katholiken 8800000

Juden 3020000

Mohammedaner 2800000

Heiden 260000