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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Sankt Gotthard

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Sankt Gotthard (Gotthardbahn).

gutem Wetter brauchte man von Flüelen bis Bellinzona 4 Tage. Die erste Kutsche (die des englischen Mineralogen Greville) befuhr 25. Juli 1775 den Paß. 1799 kämpften in diesen Gebirgshöhen die Franzosen und Russen (s. Suworow). Die neue Gotthardstraße datiert aus den Jahren 1820-24; sie hat 5½ m Breite und 5-7 Proz., in der Schöllenen bis 10 Proz. Steigung. Zum Schutz der Reisenden sind auf der Strecke Hospenthal-Airolo vier Kantonieren, je zwei nördlich und südlich vom Hospiz, errichtet. Seit Eröffnung der Gotthardbahn dient die Straße nur noch dem Lokal- und Touristenverkehr.

Die Gotthardbahn.

Das Unternehmen der Gotthardbahn beruht auf einem zwischen der Schweizer Eidgenossenschaft und dem Königreich Italien 15. Okt. 1869 abgeschlossenen Staatsvertrag, dem das Deutsche Reich durch Vertrag vom 28. Okt. 1871 beigetreten ist. Diesen Verträgen zufolge umfaßt das Netz die Linien Luzern-Küßnacht-Immensee-Goldau und Zug-St. Adrian-Goldau, ferner Goldau-Flüelen-Biasca-Bellinzona, sodann Bellinzona-Lugano-Chiasso, endlich Bellinzona-Magadino-Luino mit Zweig nach Locarno. Seit Anfang 1870 begannen die Einleitungen zum Bau der Gotthardbahn mittels eines Tunnels von Göschenen nach Airolo. Das hierfür zu beschaffende Baukapital wurde auf 187 Mill. Frank veranschlagt, aufzubringen durch Subventionen 85, durch Aktien 34, durch Obligationen 68 Mill. Fr. Staaten und Korporationen, in Würdigung der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Bahn, ließen sich zu Gewährung von Subventionen gewinnen; denn vorläufig bildet die Gotthardbahn die einzige Schweizer Alpenbahn, welche bestimmt ist, die Länder im N. und NW. der Schweizer Alpen mit Südeuropa und dem Morgenland auf kürzestem Weg zu verbinden. Von den Subventionen im Betrag von 85 Mill. Fr. übernahm die Schweiz 20, Italien 45 und das Deutsche Reich 20 Mill. Nach Ordnung der internationalen und finanziellen Angelegenheiten fand die Konstituierung der Gotthardbahngesellschaft 6. Dez. 1871 statt. Ihr Sitz ist Luzern. Zum Oberingenieur wurde Baudirektor R. Gerwig in Karlsruhe ernannt, der indessen im April 1875 von seiner Stelle zurücktrat und durch W. Hellwag von Eutin, Baudirektor der Österreichischen Nordwestbahn, und 1879 durch Bridel, den Erbauer der Berner Jurabahnen, ersetzt ward. Am 17. Aug. 1872, nachdem in Göschenen schon 4. Juni, in Airolo 1. Juli d. J. die Vorarbeiten begonnen, kam der Vertrag betreffs der Tunnelbohrung mit L. Favre, einem Bauunternehmer von Genf, zum Abschluß. Vertragsgemäß fand im Dezember 1874 die Eröffnung der tessinischen Thalbahnen statt: Biasca-Bellinzona, Lugano-Chiasso und Bellinzona-Locarno. Die Arbeiten im Gotthardtunnel nahmen inzwischen ihren energischen Fortgang sowohl an der nördlichen Pforte (Göschenen) als an der südlichen (Airolo). Auf letzterer Seite war lange der Wasserzudrang (zeitweise bis 270 Lit. in der Sekunde) sehr störend. Später, als die Maschinenbohrung eingeführt war, stieg der tägliche Fortschritt, der zur Zeit der Handbohrung 0,65 m betragen hatte, immerhin auf 2,05 m, während auf der Göschener Seite durchschnittlich 2,56 m erbohrt wurden. Eine ernstliche Gefährdung erfuhr das Bahnunternehmen, als sich in dem erneuten Kostenvoranschlag vom Februar 1876 ein erschreckendes Defizit herausstellte, das von Hellwag auf 102,4 Mill. Fr. veranschlagt, später auf 73,8 Mill. Fr. beschränkt wurde. Auf Einladung des Schweizer Bundesrats traten darauf die Subventionsmächte zu einer neuen Konferenz zusammen, die 4.-13. Jan. 1877 in Luzern beriet. Sie stellte sich auf den Standpunkt, an der (vorläufigen) Ausführung des Bahnnetzes nach Möglichkeit zu reduzieren, und berechnete (gegenüber den früher angenommenen 187 Mill.) einen neuen Kostenvoranschlag von 227, d. h. ein schließliches Defizit von 40 Mill. Fr. Behufs Beschaffung dieser Mittel lehnte das Deutsche Reich jede Garantie ab, und die Konferenz einigte sich schließlich dahin, 28 Mill. Fr. als Subvention zu gewähren und die Beschaffung der restierenden 12 Mill. der Gesellschaft zu überlassen. An der Subvention sollten sich Deutschland und Italien je mit 10, die Schweiz mit 8 Mill. Fr. beteiligen. Mehrere Schweizer Kantone lehnten die verlangte Subvention ab, doch genehmigte 1878 der Bund, daß den Subventionskantonen 4½ Mill. Fr. bewilligt werden sollten, sofern dieselben 2 Mill. Fr. übernehmen würden. Trotz des Todes des Ingenieurs Favre (19. Juli 1879) wurden die Arbeiten im Gotthardtunnel unter der Leitung des Ingenieurs Bossi so gefördert, daß der Durchbruch 29. Febr. 1880 erfolgte. Nachdem der große Tunnel im Dezember 1881 vollendet war, wurde die Bahn 22.-25. Mai 1882 dem Betrieb übergeben.

Die Gotthardbahn benutzt von Luzern bis Immensee die Geleise der Schweizer Nordostbahn und Aargauischen Südbahn, fährt dann am Südostufer des Zuger Sees entlang über Goldau zum Lowerzer See und durch die Mündungsebene der Muota zum Vierwaldstätter See, an dessen felsigem Ufer sie sich zum Teil in Tunnels von Brunnen bis Flüelen hinzieht. Sie führt dann im Reußthal hinauf bis Göschenen, durchschneidet den S. in einem großen Tunnel, den sie bei Airolo verläßt, folgt dem Livinenthal und wendet sich über Biasca nach Bellinzona. Während die mittlere Linie den Lago Maggiore bei Magadino erreicht und bei Pino, wo sie endet, an die nach Genua führende italienische Bahnlinie anschließt, zweigt sich südlich von Bellinzona bei Gubiasco eine Seitenlinie ab, die den Monte Ceneri in einem Tunnel durchschneidet und über Lugano nach Chiasso führt, wo über Como Anschluß nach Mailand stattfindet. Von der mittlern Linie trennt sich südlich von Cadenazzo eine zweite, die sich am Westufer des Lago Maggiore nach Locarno hinzieht. Die Linie Immensee-Pino mißt 177½ km, Bellinzona-Chiasso 55 und Cadenazzo-Locarno 12½ km. Die Länge der 53 Tunnels beträgt 40,7 km; davon entfallen auf den großen Gotthardtunnel 14,944 km. Derselbe ist mit Ausnahme einer 145 m langen Kurve (mit 300 m Radius), welche in der zur Station Airolo führenden Strecke liegt, gerade. Der Scheitelpunkt liegt in der Mitte des Tunnels, 1154,69 m ü. M.; der Abfall beträgt gegen Göschenen (1109 m) 5,82 pro Mille, gegen Airolo (1145 m) 2 pro Mille. Die Kosten des Baues betrugen 56¾ Mill. Fr., und im Maximum waren 3400 Arbeiter dabei beschäftigt. Die zur Bohrung verwendeten Maschinen, nach dem System Ferroux, wurden gleich den Lokomotiven, welche das gesprengte Gestein aus dem Tunnel beförderten, durch komprimierte Luft bewegt. Von den übrigen Tunnels nennen wir als die bedeutenden folgende:

Nordrampe. Meter

Ölberg oder Schieferneck (bei Sissikon) 1933

Axenberg (bei Flüelen) 1119

Pfaffensprung (bei Gurtnellen) 1469

Wattinger Kehrtunnel (bei Wasen) 1090

Leggisteiner Kehrtunnel (bei Wasen) 1095

Naxberg (kurz vor Göschenen) 1563

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