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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Schelling

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Schelling (der Philosoph).

senschaft) enthalten ist, aus dem Absoluten als (nach dem Erwachen des Bewußtseins) schöpferischem Idealprinzip macht die Philosophie des Geistes oder des Systems des transcendentalen Idealismus (1800) aus, durch welches S. (seiner Erklärung zufolge) Fichtes System erklären und mit der Wirklichkeit aussöhnen wollte. Die durch das Studium Spinozas und Brunos befruchtete Lehre von der wesenhaften Identität beider Sphären, der realen und idealen, als nur verschiedener Ansichten eines und desselben Absoluten, bildete den Inhalt der sogen. Identitätsphilosophie, welche S. zuerst in der (mit Hegel gemeinsam herausgegebenen) "Zeitschrift für spekulative Physik" (1801), dann, mit der Platonischen Ideenlehre vermischt, in dem Gespräch: "Bruno" und in den "Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums" (1802) entwickelte. Von diesen hat die Naturphilosophie die ausgebreiteten, wenn auch nicht die wohlthätigsten Folgen auf die Naturwissenschaft (und Medizin) geübt. Indem ihr Urheber die Natur als "unbewußt" (= in Naturform) schöpferischen Geist, die Thätigkeiten der Natur also als "unbewußte" Geistesthätigkeiten auffaßte, leuchtete er in das Dunkel der schaffenden Natur, in deren Inneres angeblich "kein geschaffener Geist dringt", mit der Fackel der Fichteschen Wissenschaftslehre hinein. Wie das Wissen nichts Totes ist, sondern durch das immer thätige rhythmische Spiel entgegengesetzter Geisteskräfte, einer schrankenlos setzenden (positiven, stoffgebenden) und einer unausgesetzt beschränkenden (negativen, formgebenden), jedes Wissensprodukt entsteht und wieder über dasselbe hinausgegangen wird, so ist die Natur kein starres Sein, sondern ununterbrochenes Leben, indem durch das rhythmische Spiel entgegengesetzter Naturkräfte, einer schrankenlos setzenden (positiven, stoffgebenden) und einer unausgesetzt beschränkenden (negativen, formgebenden), jedes einzelne Naturprodukt erzeugt und zugleich über dasselbe zu weitern hinausgegangen wird. Als ursprünglichste Kräfte der Natur wirken nun das unendliche Expansions- und das unausgesetzt wirksame Kontraktionsstreben, aus deren gegenseitiger Spannung die Materie (als erstes Produkt des Naturprinzips) entspringt. Jenes (von S. um seiner raumdurchdrinden ^[richtig: raumdurchdringenden] Eigenschaft willen mit dem Licht verglichen und daher selbst mit diesem Namen [obgleich in weit allgemeinerm Sinn als das optische Licht] belegt) stellt den positiven, stoffgebenden, dieses (von S. seiner verdichtenden Eigenschaft wegen mit der Schwere verglichen und [abermals in weit allgemeinem Sinn als die irdische Schwere] mit diesem Namen belegt) stellt den negativen, formgebenden Faktor der Materie dar. Beide werden von S. mit den analogen Bewußtseinsthätigkeiten des (leeren) Schauens und des (bestimmten) Empfindens verglichen, aus deren gegenseitiger Spannung das erste Geistesprodukt, die Anschauung, entspringt. Wie aus der letztern durch fortgesetzte Geistesthätigkeit alle höhern Produkte des Bewußtseinslebens (Begriff, Urteil, Schluß) als Potenzierungen des Anschauens, so gehen nun durch fortgesetzte Naturthätigkeit alle höhern Naturprodukte (unorganischer Naturprozeß, organisches Naturleben, Bewußtsein) als Potenzierungen der Materie aus dem realen Leben des universalen oder absoluten Ich (Welt-Ich) hervor. Schluß und Abschluß derselben bildet das auf der höchsten Naturstufe (im Menschen) erwachende Bewußtsein, in welchem der bisher (wie im somnambulen Schlummer) bewußtlos, aber zweckmäßig thätig gewesene Naturgeist (die Weltseele) gleichsam ein Auge aufschlägt und sich selbst, das einzige Reale, zum Objekt seines Anschauens (des Idealen) macht. Damit aber beginnt von seiten des sich (als Mensch im Universum) selbst erschauenden Absoluten ein neuer, dem Naturprozeß, in welchem das Absolute von Stufe zu Stufe bis zum vollkommensten Naturprodukt (zum Menschen) sich erhebt, analoger Geistesprozeß, in welchem das im Menschen verkörperte, also selbst zu einem Teil der Natur gewordene (verendlichte) Absolute sich zum Bewußtsein seiner als des Absoluten (seiner eignen Unendlichkeit und Freiheit) erhebt. Wie der Verlauf des erstern Prozesses die Geschichte der Natur, die Menschwerdung, so stellt der des letztern die Weltgeschichte, die Gottwerdung, dar, an deren Ende, wie S. damals (1802) sich ausdrückte, "Gott sein wird". Die Phasen desselben (analog den Stufen des Naturprozesses: unorganische, organische, menschliche Stufe) verlaufen so, daß das Absolute anfänglich (objektiv) unter der Form der sichtbaren Natur (real; sichtbare Götter; Heidentum) angeschaut, darauf (subjektiv) unter der Form des unsichtbaren Geistes (ideal; unsichtbarer Gott; Christentum) gefühlt, schließlich als eins und dasselbe mit dem Erkennenden (als Subjekt-Objekt) gewußt wird, wodurch zugleich die drei Formen der Offenbarung des Absoluten: Kunst, Religion und Philosophie, und die drei Hauptperioden der Weltgeschichte: Altertum, Mittelalter und Neuzeit (welch letztere mit dem Auftreten seiner Philosophie beginnen sollte), charakterisiert werden sollten. Diese (entschieden pantheistische) Gestalt seiner Philosophie ist nun von S. in dessen zweiter Periode (ebenso entschieden) verleugnet und, während sie ursprünglich die gesamte Philosophie ausmachen sollte, nicht ohne Gewaltsamkeit zu einem zwar integrierenden, aber untergeordneten Gliede des Gesamtorganismus der Wissenschaft herabzusetzen gesucht worden. Denn da man sich Gott, der nach dem Ausspruch des frühern S. erst "am Ende sein wird", zwar als Ende und Resultat unsers Denkens, nicht aber als Resultat eines objektiven Prozesses denken könne, so folge, daß die ganze bisherige rationale Philosophie (die seinige inbegriffen) sich in einem Mißverstand über sich selbst befunden habe, indem sie den ganzen von ihr nachgewiesenen (Gottwerdungs-) Prozeß als einen realen sich vorgestellt, während er nur ein idealer (im bloßen Denken vor sich gehender) sei. Das Resultat der rein rationalen Philosophie, die er ebendarum als negative bezeichnet, sei daher kein wirkliches, sondern ein bloßes Gedankending (nicht der wirkliche Gott, sondern nur der Gottesgedanke); die wirkliche Welt, wie sie ist, deren Begreifen die Aufgabe der Philosophie ausmacht, könne nicht aus einem bloßen Gedanken, sondern nur aus einem objektiven Prinzip (aus dem wirklichen Gott, nicht aus dem Gottesgedanken) begriffen werden. Damit, lehrte S., kehre er wieder zu dem von Kant in seiner Kritik des ontologischen Beweises für die Existenz Gottes geäußerten Prinzip zurück, daß sich aus dem reinen Gedanken die Existenz nicht "herausklauben" lasse. Während die negative Philosophie Gott erst "am Ende" hat, als Prinzip, hat die positive Philosophie (welcher die erstere nur die Mittel zu bereiten hat) diesen vor allem Anfang, "zum Prinzip". Gott ist das absolute Prius, dessen Existenz ebendarum auch weder bewiesen werden kann, noch bewiesen zu werden braucht, und welches daher auch durchaus keine Notwendigkeit haben, d. h. durch nichts gezwungen werden kann, eine Welt hervorbringen. Letztere kann daher nur Folge einer freien That (von seiten Gottes) und als solche nur Gegenstand einer (nicht rationalen, sondern) Erfah-^[folgende Seite]