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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Schießpulver

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Schießpulver (grobkörniges Pulver für Geschütze).

tel längs und quer gereifelt ist. Zwischen ihnen werden die Körner nach und nach immer kleiner gebrochen und fallen dann auf Siebe mit Rüttelbewegung. Das gekörnte S. trocknet man bis zu einem gewissen Feuchtigkeitsgrad, poliert es dann zur Vermehrung seiner Dauerhaftigkeit in einer hölzernen Trommel mit 3000-3600 Umdrehungen und trocknet es, auf Rahmen ausgebreitet, mittels erwärmter Luft von 72° vollständig. Sodann wird es im Staubhaus durch eine Welle mit Staubflügeln, an welchen man die etwa halb mit Pulver gefüllten Staubsäcke befestigt, ausgestaubt. Hierauf folgt das Sortieren nach Körnergrößen. In Spandau verwendet man hierzu ein geneigtes Cylindersieb mit Achsendrehung, dessen Mantel am Füllende mit dem engen, am andern mit dem weiten Siebe bekleidet ist. Die so gewonnenen Pulversorten werden dann in den einzelnen Tagesablieferungen sowie eine Anzahl Tagesablieferungen unter sich vermengt, um ein möglichst gleichmäßiges Fabrikat zu erhalten.

Je feinkörniger und weniger dicht das S. ist, um so schneller brennt es ab, um so größer ist der momentan erzeugte Gasdruck, welcher bei großen Ladungen eine solche Höhe erreichen kann, daß die Waffe gefährdet wird. Man hat daher schon früh feineres Pulver für Gewehre und gröberes für Geschütze angewandt. Da nun in gezogenen Geschützen das Geschoß in seiner Bewegung einen gewissen Widerstand findet, so durfte man bei dem gewöhnlichen S. nur geringe Ladungsverhältnisse anwenden und erzielte dem entsprechend geringe Geschoßgeschwindigkeiten. Als dann die Artillerie vor der Aufgabe stand, den Panzer zu besiegen, mußte man auf ein langsamer verbrennendes S. bedacht sein, welches mehr drückend als stoßend wirkte und dem Geschoß, solange es noch im Geschütz weilte, eine steigende Geschwindigkeit erteilte und somit auch eine Vergrößerung der Ladung gestattete, indem sich der Gasdruck nicht auf den hintern Teil des Rohrs konzentrierte, sondern sich auf das ganze Rohr verteilte. Es war also ein weniger "offensives" S. aus andern Bestandteilen oder das bisherige S. durch andre Anfertigung weniger offensiv herzustellen. Man betrat den von den Amerikanern bereits eingeschlagenen Weg, welche bei Ausbruch des Sezessionskriegs den gemengten Pulversatz für Ladungen zu Kartuschen und Patronen preßten, günstige Resultate aber erst erzielten, als sie diese Pulverkörper längs und quer durchbohrten. Der amerikanische Kapitän Rodman wurde durch seine Untersuchungen zu der Vermutung geführt, daß der Gasdruck grobkörnigen Pulvers in Geschützen geringer sei als der des feinkörnigen, woraus hervorgehen würde, daß man mit ersterm bei gleichem Gasdruck eine größere Anfangsgeschwindigkeit der Geschosse erzielen könne, oder daß bei gleicher Leistung ersteres das Rohr weniger anstrenge als letzteres. Die Richtigkeit dieser Ansicht bewies Rodman 1860 durch seinen Gasdruckapparat, bei welchem ein Kolben D (Fig. 2) ein Messer C gegen die durch die Schraube A gehaltene Kupferplatte B preßt und in letzterer um so tiefere Kerben erzeugt, je stärker der Gasdruck im Rohr ist. Rodmans Versuche führten zur Darstellung des ersten grobkörnigen Geschützpulvers, des sogen. Mammutpulvers, dessen unregelmäßige Körner 15,6-26 mm Durchmesser haben. Die großen Zwischenräume und die ungleichmäßige Lagerung dieses Pulvers in den Ladungen führten dann zum prismatischen Pulver. Fig. 3 zeigt ein solches Korn, welches nach dem Vorgang Rußlands als "prismatisches Pulver C/68" für die deutschen 15-26 cm Ringkanonen eingeführt ist. Das aus Geschützpulver gepreßte Korn mißt über Eck 40, der Kanal 4,5 mm, ist 24,8 mm hoch und wiegt 40,5 g bei einem spezifischen Gewicht von 1,66. Bei der Vergrößerung der Kaliber mußte aber ein noch langsamer verbrennendes Pulver zur Verwendung kommen, und man führte daher für die 28 cm und größern Kanonen ein Korn von 1,75 spez. Gew. und den äußern Abmessungen des vorigen, aber mit nur einem Kanal von 15 mm Weite als "prismatisches Pulver C/75" ein. Es wird mittels Pressen hergestellt, deren Konstruktion von Wischnigratzki angegeben wurde. Ein von den vereinigten rheinisch-westfälischen Pulverfabriken und der Aktiengesellschaft Rottweil-Hamburg 1882 hergestelltes braunes S. gibt als prismatisches Pulver bei schweren Geschützen sehr günstige Resultate. Es verbrennt langsamer und erzeugt also geringern Gasdruck als das schwarze Pulver, so daß durch Vergrößerung der Ladung wesentlich größere Anfangsgeschwindigkeit und Stoßkraft der Geschosse erzielt wurde. Das Pulver ist auch haltbarer, weniger gefährlich und verbrennt unter geringerer Rauchentwickelung. Das deutsche prismatische Pulver C/82 ist identisch mit dem braunen S. der Fabrik Rottweil-Hamburg, besteht aus 78 Salpeter, 19 brauner Kohle und 3 Schwefel und hat das spez. Gew. 1,86-1,87. Das deutsche Sprengladungspulver hat Körner von 6-10 mm Größe und gewährt große Sicherheit gegen die Entzündung der Geschoßladung im Geschützrohr. In England benutzt man seit 1860 für die Armstrong-Geschütze ein Pulver von der Korngröße von Haselnüssen; später wurde das Kieselpulver (pebble powder, kieselsteinähnlich) von 1,8 spez. Gew. und neben diesem 1867 für größere Kaliber das Cylinderpulver (Pellet-Pulver) eingeführt, dessen Körner 18 mm dick und 12 mm hoch sind, 6,43 g wiegen und 1,65-1,7 spez. Gew. haben. Mit den Fortschritten der Kalibergröße hat man auch eine entsprechende Vergrößerung des Pulverkorns eintreten lassen. Die Gewehre von kleinem Kaliber (8 mm etc.) fordern ein S., welches wenig Rückstand hinterläßt, möglichst wenig Rauch gibt und aus kleinstem Raum eine große Kraft entwickelt. Man benutzte ein grobkörniges, sehr festes Pulver oder verdichtete die ganze Ladung über einen Dorn, mischte auch die Ladung aus verschieden schnell verbrennendem S. (Progressivladung). Andre benutzten ein Pikratpulver (Bruyère) oder Mischungen von Schießbaumwolle, S., Salpeter etc.; doch scheint bis jetzt (1888) die Frage noch nicht zu einem befriedigenden Abschluß gelangt zu sein.

Die Untersuchung des Schießpulvers bezieht sich auf 1) seine chemische Zusammensetzung, 2) seine Beschaffenheit und 3) seine ballistische Wirkung. Bei der Anfertigung tritt eine, wenn auch unbedeutende, Veränderung des Mischungsverhältnisses durch Ver-^[folgende Seite]

^[Abb.: Fig. 2. Rodmans Gasdruckmesser. Fig. 3. Prismatisches Pulverkorn.]