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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Spanien

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Spanien (Geschichte bis 1808).

herrschten nach wie vor in S. Ebenso verderblich wurde für das wieder erstarkende Land der Rückfall in die alte Eroberungspolitik, welche sich besonders auf Erwerbung spanischer Besitzungen für spanische Infanten richtete. In der That wurden im polnischen und österreichischen Erbfolgekrieg (1738 und 1748) Neapel und Parma als bourbonische Sekundogenituren gewonnen. Aber sie waren mit der Zerrüttung der Finanzen und dem Stocken aller Reformen teuer erkauft. Gleichwohl war die einmal gegebene Anregung nicht fruchtlos: das Volk war wenigstens aus seiner Apathie aufgerüttelt und wendete sich wieder der Arbeit und wirtschaftlichen Unternehmungen zu.

Die Regierung des schwächlichen, hypochondrischen Ferdinand VI. (1746-59) war segensreich, weil sie sparsam und friedliebend war. In materieller Beziehung nahm das Land einen bedeutenden Aufschwung. Die Staatseinnahmen stiegen von 211 auf 352 Mill., trotz der erheblichen Steuererleichterungen, und obwohl die Verwaltung verbessert und reichlicher ausgestattet, eine stattliche Flotte geschaffen und die Zinsen der Staatsschuld bezahlt wurden, hatte man fast 100 Mill. jährlichen Überschuß. Wenn auch die Geistlichkeit noch 180,000 Personen zählte und ein Einkommen von 359 Mill. besaß, so ward ihre Macht durch das Konkordat von 1753 doch nicht unerheblich beschränkt, namentlich aber der finanziellen Ausbeutung des Landes durch die Kurie ein Ende gemacht. Einen bedeutenden Fortschritt aber in der Entwickelung zum modernen Staat bezeichnete die Regierung Karls III. (1759-88), des Stiefbruders Ferdinands VI., der, obwohl strenggläubig, doch vom damals herrschenden Staatsbewußtsein erfüllt und S. den andern Staaten ebenbürtig zu machen bestrebt war. Ihm standen bei seinen Reformen drei bedeutende Staatsmänner, Aranda, Floridablanca und Campomanes, zur Seite. Die unglückliche Beteiligung Spaniens am Krieg Frankreichs gegen England 1761-62 infolge des nachteiligen bourbonischen Familienvertrags störte anfangs die Reformthätigkeit. Diese erhielt indessen eine wesentliche Förderung 1767 durch die Ausweisung der Jesuiten. Nun konnten eine Menge Mißbräuche und Übergriffe der Geistlichkeit beseitigt oder beschränkt und ein erfreuliches Zusammenwirken des Staats und der Kirche hergestellt werden, welches auf Bildung und Gesittung des Volkes einen höchst heilsamen Einfluß ausübte. Viele Reformen blieben freilich auf dem Papier stehen, da es bei der beispiellosen Versunkenheit Spaniens in Ackerbau, Gewerbe und Unterricht an allen Voraussetzungen ihrer Durchführbarkeit fehlte. Die 30jährige angestrengteste Thätigkeit der Regierung, die Verwendung ungeheurer Summen auf Ansiedelungen, Bergwerke, Fabriken, Straßen etc., die Freigebung des Handels mit Amerika brachten daher nur zum Teil Früchte. Die Bevölkerung war 1788 erst auf 10,270,000 Seelen gestiegen, die Einnahmen auf 400 Mill. Realen. Der zweite unglückliche Krieg gegen England (1780-83), in den S. durch den Familienvertrag verwickelt wurde, verschlang solche Summen, daß ein verzinsliches Papiergeld ausgegeben werden mußte. Die unleugbaren Fortschritte in Volksbildung und Volkswohlfahrt hätten aber doch bei dem frischen Geist, bei der zugleich patriotischen und freiheitlichen Bewegung, von denen die Nation durchweht war, wohl günstige und dauernde Ergebnisse zur Folge gehabt, wenn S. eine längere Reformperiode vergönnt gewesen wäre. Die vielversprechenden Anfänge gingen aber unter Karls III. Nachfolger Karl IV. (1788-1808) völlig zu Grunde, und S. wurde durch eine heillose, verbrecherische Politik dem Untergang nahegebracht.

Spanien während der Revolutionszeit.

Karl IV., ein gutmütiger, aber unfähiger Fürst, wurde ganz beherrscht von seiner klugen und entschlossenen, jedoch sittenlosen Gemahlin Marie Luise von Parma, welche durch Günstlingswirtschaft und Verschwendung die Staatsverwaltung und die Finanzen in Verwirrung brachte und ihrem Geliebten Godoy, dem Friedensfürsten, den herrschenden Einfluß, endlich nach Beseitigung Floridablancas und Arandas im November 1792 auch die oberste Leitung der Staatsgeschäfte verschaffte. Nachdem S. dem Sturz der Bourbonen in Frankreich unthätig zugesehen, ward es 1793 doch durch die Hinrichtung Ludwigs XVI. und die Insulten des Konvents veranlaßt, Frankreich den Krieg zu erklären, welcher mit einer so beispiellosen Unfähigkeit geführt wurde, daß er trotz der Schwäche der Franzosen und trotz der Opferwilligkeit der Nation mit einer feindlichen Invasion in Navarra, die baskischen Provinzen und Aragonien endete. Die Gunst der Umstände verschaffte S. noch den vorteilhaften Frieden von Basel (22. Juli 1795), der ihm nur die Abtretung von San Domingo auferlegte. Aber es geriet durch denselben in völlige Abhängigkeit von Frankreich, welche der leichtfertige Godoy durch den Vertrag von San Ildefonso (27. Juni 1796) besiegelte. Derselbe zwang S., das kaum die Kosten des letzten Kriegs hatte aufbringen können, zum Krieg mit England, und gleich die erste Schlacht beim Kap St. Vincent (14. Febr. 1797) zeigte die Unbrauchbarkeit der spanischen Flotte. Dazu unternahm Godoy 1801 in französischem Interesse noch einen ruhmlosen Krieg gegen Portugal. Im Frieden von Amiens (23. März 1802) mußte S. zwar an England bloß Trinidad abtreten; aber seine Herrschaft in den amerikanischen Kolonien war erschüttert, seine Finanzen zerrüttet; das Defizit belief sich trotz Papiergelds und andrer verderblicher Maßregeln 1797 auf 800 Mill., 1799 sogar auf 1200 Mill. Das Kriegsministerium verbrauchte für ein Heer von 50,000 Mann 935 Mill., da die Zahl der Oberoffiziere übermäßig war; 1802 wurden auf einmal 83 Generale ernannt. Der Hof nahm allein 105 Mill. in Anspruch, während das Volk infolge von Pest und Mißernten darbte. Die Korruption am Hofe verbreitete sich bald über das ganze Land; die edelsten Patrioten wurden mit brutaler Gewaltthätigkeit verfolgt, dagegen war man gegen rohe Pöbelexzesse schwach und nachgiebig.

Trotz dieser Zustände stürzte Godoy durch einen neuen ungünstigen Vertrag mit Frankreich (9. Okt. 1803) das finanziell erschöpfte S. in einen Krieg mit England, in welchem bei Finisterre (22. Juli) und bei Trafalgar (20. Okt. 1805) Spaniens letzte Flotte zu Grunde ging. Das Volk ließ dies alles geduldig über sich ergehen und wankte nicht in seiner unbedingten Loyalität; die Entrüstung richtete sich nur gegen den schamlosen Günstling Godoy, der in seiner Verblendung sich sogar mit der Hoffnung schmeichelte, Regent von S. zu werden oder sich die Königskrone von Südportugal aufs Haupt zu setzen. Als er, um dies letztere zu erreichen, sich mit Frankreich im Vertrag von Fontainebleau (27. Okt. 1807) zu einem Kriege gegen Portugal verband und Napoleon französische Truppen über die Pyrenäen in S. einrücken ließ, kam es 18. März 1808 in Aranjuez zu einer Erhebung des Volkes gegen Godoy. Derselbe wurde gestürzt, und unter dem Eindruck der Wut des erbitterten Volkes ließ sich der König bewegen, 19. März zu gunsten seines Sohns, des Infanten Ferdinand, abzu- ^[folgende Seite]