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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Telegraph

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Telegraph (Haustelegraphie, pneumatischer T.; Volkswirtschaftliches, Gesetzgebung).

Seekabel zwischen Dover und Calais ausgelegt, 1866 die erste Kabelverbindung zwischen Europa u. Amerika hergestellt. 1886 dienten bereits 12 Kabel dem telegraphischen Verkehr beider Weltteile: 8 davon gehen aus von Großbritannien und Irland, 2 von Frankreich nach Nordamerika; 2 Kabel endlich verbinden Portugal mit Südamerika. 1887 betrug die Gesamtlänge der bestehenden unterseeischen Kabel 113,565 Seemeilen, darunter 103,396 Seemeilen im Besitz von Privatgesellschaften und nur 10,169 unter staatlicher Verwaltung.

Besondere Gestaltung erfährt die Telegraphie für bestimmte Zwecke, namentlich im Eisenbahnwesen, in der Feuerwehr und im Haus. Die Benutzung im Haus beschränkt sich meist auf die Anlage von Läutwerken (s. d.), welche mit Tableauanzeiger verbunden werden, um dort, wo das Läutwerk ertönt, den Aufgabeort des Signals zu erkennen. Diese Vorrichtungen gestalten sich zu Diebssicherungen, wenn das Läutwerk bei unbefugter Öffnung eines Fensters oder einer Thür in Thätigkeit tritt. Man bringt hier Kontakte an, die am Tag bei offener Thür, aufgezogenem Rollladen etc. geschlossen sind, dann aber nicht auf das Läutwerk wirken, weil noch an einer andern Stelle durch eine Einstellvorrichtung der Strom unterbrochen ist. Werden nun abends Thüren und Fenster geschlossen (die Kontakte geöffnet), so schließt man bei der Einstellvorrichtung den Strom, und das Läutwerk schlägt an, sobald nun eine Thür oder ein Fenster geöffnet wird; das Tableau zeigt den Angriffspunkt. Derartige Vorrichtungen können auch zu andern Zwecken benutzt werden: sie melden an einer entfernten Stelle, wenn im Dampfkessel der Wasserstand zu niedrig steht, wenn im Gewächshaus oder in der Trockenkammer eine bestimmte Temperatur erreicht ist etc. Für manche dieser Zwecke wird die elektrische durch pneumatische Telegraphie ersetzt. Diese benutzt dünne, starkwandige Bleiröhren, welche von einem Ort zum andern eine vollkommen luftdichte Leitung herstellen. Am Aufgabeort ist in diese ein hohler Gummiball eingeschaltet, der beim Zusammendrücken die in ihm enthaltene Luft durch das Bleirohr in eine aus ebenen Wänden gebildete Gummikapsel am andern Ende der Leitung treibt und dieselbe aufbläst. Diese Volumveränderung der Kapsel kann leicht benutzt werden, um ein sichtbares oder, wie bei der pneumatischen Klingel, ein hörbares Zeichen zu geben. Vorteilhafte Anwendung findet die pneumatische Verbindung zur Verbindung von Uhren mit einer Normaluhr (vgl. Uhr).

Volkswirtschaftliches. Gesetzgebung und Verwaltung.

Für die finanzielle Behandlung des Telegraphen kommt wesentlich in Betracht, daß der T. nur von einzelnen Klassen, nicht, wie Post und Eisenbahn, von der Gesamtheit aller benutzt wird. Zur Zeit haben an dem Telegrammverkehr etwa teil: die Regierungs- und Staatstelegramme mit 12 Proz., die Handelstelegramme mit 52, die Börsentelegramme mit 13, die Zeitungstelegramme mit 8 und die Familientelegramme mit 15 Proz. In Europa entfällt gegenwärtig nur auf 3 Einw. ein jährlich abgesandtes Telegramm; mindestens drei Viertel der Bevölkerung stehen dem Telegrammverkehr ganz fern, und es ist daher zu fordern, daß die Kosten der Telegraphie durch den Tarif vollständig gedeckt und Zuschüsse aus Staatsmitteln ausgeschlossen sind.

Die Telegraphie wurde von vornherein durch die meisten Staaten in öffentliche Verwaltungen genommen; außer Nordamerika befinden sich nur noch in wenigen andern überseeischen Ländern die dem öffentlichen Verkehr dienenden Telegraphen in Privathänden. Großbritannien, der einzige europäische Staat, wo der Telegraphenbetrieb in Privathänden länger das Feld behauptete, sah sich 1868 veranlaßt, ungeachtet der Abneigung gegen jede Art staatlicher Einmischung, welcher in dem englischen Volkscharakter liegt, die Telegraphen in Staatsverwaltung zu übernehmen. Die Entschädigung, welche England damals für die noch dazu unzulänglichen Anlagen der vormaligen Privatgesellschaften zahlen mußte, betrug erheblich mehr als der Aufwand, welchen das ganze übrige Europa bis dahin für den Telegraphenbau verwendet hatte. Die großen überseeischen Kabelverbindungen sind mit wenigen Ausnahmen im Betrieb von Privatgesellschaften. Hier begünstigt den Privatbetrieb der Umstand, daß ein einzelner Staat völkerrechtlich nicht befugt ist, Telegraphenverbindungen zwischen zwei durch das Meer getrennten Ländern für sich allein zu monopolisieren, ferner, daß das mit den Kabelverbindungen verknüpfte ungewöhnlich hohe Risiko die Bedeutung des spekulativen Moments erhöht und die Privatthätigkeit besser an die Stelle der Thätigkeit der öffentlichen Gewalten treten läßt.

Die Gesetzgebung hat die Regalität der Telegraphen in Frankreich, Österreich, Großbritannien, Italien, der Schweiz, Niederlande, Portugal, Serbien, Rumänien, Griechenland, Britisch- und Niederländisch-Indien festgestellt, wobei Eingriffe in das staatliche Alleinbetriebsrecht meist mit Strafe gegen diejenigen, welche einen Telegraphen ohne Konzession anlegen, bedroht sind. In Deutschland gründet sich das Telegraphenregal auf Art. 48 der Reichsverfassung, wonach das Telegraphenwesen für das gesamte Gebiet des Deutschen Reichs als einheitliche Staatsverkehrsanstalt einzurichten ist. Eine kodifizierte Gesetzgebung wie die der Post besteht für die deutsche Telegraphie nicht; vielmehr ist die Regelung des Verhältnisses zum Publikum verfassungsmäßig der reglementären Anordnung vorbehalten. Diese Anordnungen sind durch die Telegraphenordnung vom 13. Aug. 1880 erlassen.

Die Fernsprechanlagen werden in Deutschland ebenfalls als unter das Telegraphenregal fallend betrachtet, und es werden nach § 28 der Telegraphenordnung die Bedingungen für derartige Anlagen vom Reichspostamt festgesetzt. Die Berechtigung von Behörden und Privatpersonen zum Betrieb von Telegraphen ist neuerdings in Deutschland im Verordnungsweg dahin festgestellt worden, daß ohne Kontrolle der Telegraphenverwaltung zugelassen werden können: a) den Landesbehörden die Anlage von Telegraphen zu Zwecken, welche nicht unter das Ressort der Telegraphenverwaltung fallen, solange die Anlagen nicht als Verkehrsanstalten gebraucht werden; b) Privatpersonen die Anlage von Telegraphen innerhalb der eignen Gebäude und Grundstücke, vorausgesetzt, daß der Besitzer innerhalb seiner Grenzen bleibt und mit der Anlage fremde Grundstücke sowie öffentliche Wege und Straßen nicht überschreitet.

Das Telegraphenfreiheitswesen (Gebührenbefreiung für Reichsdiensttelegramme etc.) ist durch kaiserliche Verordnung vom 2. Juni 1877 geregelt. Durch Gesetz sind in Bezug auf das Telegraphenwesen nur hinsichtlich der Sicherung der öffentlichen Telegraphenanlagen Bestimmungen in den § 317 bis 320 des Reichsstrafgesetzbuchs getroffen, wonach die vorsätzliche Beschädigung der Telegraphenanstalten mit Gefängnis von 1 Monat bis 3 Jahren und die fahrlässige Störung des Betriebes mit Ge-^[folgende Seite]