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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Turkistan

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Turkistan (Ostturkistan: Geographisches).

Im März 1873 trat Rußland nun in den Krieg gegen Chiwa (s. d.) ein. In dem am 12. Aug. 1873 geschlossenen Frieden wurde das Amu-Delta sowie das rechte Amu-Ufer dem Generalgouvernement T. als Amu Darja-Distrikt einverleibt. Hier entstand das Fort Petro-Alexandrowsk, 2½ km vom rechten Ufer des Amu Darja zwischen Chanka und Schurachana gelegen. An die Expedition gegen Chiwa reiht sich der Feldzug der Russen gegen Chokand (s. d.). Dieses Chanat wurde erobert und durch Befehl vom 19. Febr. 1876 als das Gebiet Ferghana dem Generalgouvernement T. einverleibt. Das zeitweise von den Russen 1871 in Besitz genommene und dem Generalgouvernement T. zugewiesene Kuldschagebiet (s. d.) ist bis auf einen kleinen Teil durch den Vertrag vom 2. (14.) Febr. 1881 an China zurückgegeben. Durch Verfügung vom 25. Mai 1882 ist schließlich der Semiretschinskische Oblaßtj von dem Generalgouvernement T. abgezweigt und mit dem Akmollinskischen und Semipalatinskischen Oblaßtj zu einem Steppen Generalgouvernement vereinigt, das mit dem Tobolskischen und Tomskischen Gouvernement den Militärbezirk Omsk bildet.

II. Ostturkistan.

Ostturkistan (chines. Thianschan Nanlu, "Weg südlich des Thianschan", türk. Altischahar oder Dschitischahar, sonst auch Kaschgarien) liegt zwischen 36-43° nördl. Br. und 73-92° östl. L. v. Gr. oder zwischen dem Randgebirge Tibets im S., dem Thianschan im N., dem Alai- und Pamirplateau mit dem Kisiljart als Randgebirge im W., während im O. das Reich in die Gobiwüste ausläuft, und hat ein Areal von 1,118,713 qkm (20,135 QM.), wovon aber der größte Teil unbewohnbar ist. Am Fuß der Hochgebirge, an der Grenze, über welche Paßübergänge nirgends unter 3400 m führen, liegt der anbaufähigste Boden, eine nach dem Innern sich abdachende schiefe Ebene, von zahlreichen Flüssen bewässert, die aber sämtlich nur für Fischerboote (im untern Teil) schiffbar, doch sehr fischreich sind. Den tiefsten Teil des Landes nehmen Steppen und Sandwüsten ein (700-1200 m ü. M.) Vom Thianschan fließen ab: Kaidugol, Scharjar und Kisilkungai (Aksu); vom Kisiljart: Kaschgar, Jamunjar; vom Karakorum: Jarkand und Karakasch, später Chotanfluß genannt; sie alle vereinigen sich im Tarim, der in den Sümpfen und Süßwasserseen des zuerst 1877 von Prschewalskij befahrenen Lobsees sein Ende findet. Das Klima kennzeichnen große Trockenheit, mehr oder weniger dichter, mit Wüstenstaub versetzter Duft, der selten ganz verschwindet, heftige Nord- oder Nordwestwinde im Frühjahr und Herbst, Windstille zu andern Zeiten, große Hitze im Sommer, strenge Kälte im Winter. Im Sommer machen Trockenheit der Luft und Ausstrahlung des erhitzten Bodens Arbeiten im Sonnenschein unmöglich, man sieht dann weder Feldarbeiter noch Träger oder Fußreisende; der August hat eine Wärme von durchschnittlich 26° C. im Schatten. Im Winter fällt das Thermometer bis zu -25° C.; das Frühjahr geht rasch in den Sommer, ebenso der Herbst in den Winter über. In der Ebene säet man Winterfrucht Ende August, Sommerfrucht Anfang April und erntet im Juli. Für Jarkand ist die mittlere Jahrestemperatur zu 12,2° C. geschätzt (genauere Berechnungen geben Blanfords "Indian meteorological memoirs", Kalk. 1877). Die Gold- und Nephritlager Chotans waren schon im Altertum berühmt; ausgezeichnete Steinkohle brennt man in Aksu und Turfan. Von Eisen, Kupfer, Alaun, Blei kennt man ergiebige Lager, die aber noch schlecht ausgebeutet werden; Salz stellt man sehr unvollkommen aus ausgetrockneter Moorerde dar. Das Hochgebirge liefert saftige Fettweiden, tiefer hinab folgen Dickichte von Wacholder, Weiden, Tamarisken, Rosen etc. mit Pappeln als hochstämmigen Bäumen. In den nicht angebauten Teilen der Ebene und den Wüsten ist die Vegetation äußerst spärlich, im Ackerland dagegen herrscht üppiges Wachstum. Hauptfrüchte sind: Weizen, Gerste, Mais und Hirse, dann Reis; Baumwolle, Flachs und Hanf werden als Gespinstpflanzen, Mohn zur Opiumgewinnung fleißig angebaut. Die Gärten sind mit unsern Gemüsen und Obstsorten bepflanzt; es reifen aber auch Feige und Granatapfel, die Weinrebe wird am Spalier gezogen und im Winter gedeckt; Seidenbau findet im S. und SW. statt. Das Tierreich zeigt viel Eigenartiges. In den Umgebungen des Lobsees gibt es noch wilde Kamele, wilde Pferde und Ochsen, im Hochgebirge das große wilde Schaf (Ovis Ammon), stattliche Hirsche, Antilopen und Hasen; dann Tiger, Panther, Luchse, Füchse und Wildschweine in den Dickichten an den Flußufern. Zahlreiche Schwäne und Wasservögel hausen an den Ufern des Lobsees. Haustiere sind: Grunzochse (Yak), Kamel, Pferd, Esel, Schaf, Schwein, Hund, Katze, Hühner und Tauben; große Rinderherden sind zahlreich. Das Pferd ist klein, aber sehr ausdauernd. Maultiere sind selten, dagegen werden Schafe in großer Zahl gehalten, und Wolle und Fleisch sind gleich ausgezeichnet (erstere ein Hauptausfuhrartikel). Die Gewerbthätigkeit hat geringe Bedeutung; die altberühmte Seidenkultur und -Weberei in Chotan ist verfallen; gesucht im Ausland sind Filze und Teppiche, im Innern die landesüblichen groben Baumwollenstoffe. Der Handel ging sonst nach China und in geringern Beträgen nach Chokand und der Mongolei. Seit 1867 machten die Engländer große Anstrengungen, einen Verkehr mit Indien einzurichten, setzten in Leh einen Handelsagenten ein, verbesserten die Zugänge durch Tibet (Ladak) und erwirkten 1873 zu Jarkand den Abschluß eines günstigen Handelsvertrags mit verhältnismäßig niedrigen Zollsätzen (2½ Proz. Wertsatz) sowie die Zulassung eines Engländers in Kaschgar als Konsularagenten. 1874 bildete sich mit dem Sitz in Lahor eine Zentralasiatische Handelsgesellschaft auf Aktien, die alle zwei Jahre eine große Karawane nach Kaschgar abfertigt und sie im nächsten Jahr beladen zurückgehen läßt. Diese Gesellschaft hat belebend eingegriffen, und der Umsatz, der 1867 kaum 1 Mill. Mk. wertete, war 1874 bereits auf 2½ Mill. Mk. gestiegen. Ebenso große Anstrengungen, Ostturkistan mit seinen Waren zu versehen, macht Rußland. Durch den am 14. Febr. 1881 abgeschlossenen Vertrag mit China hat dasselbe das Recht erworben, neben den bereits bestehenden Konsulaten in Ili, Tarbagatai, Kaschgar und Urga auch solche in Sutschshan und Turfan zu errichten. Den russischen Unterthanen steht das Recht zu, in den Bewirken Ili, Tarbagatai, Kaschgar, Noumzi Handel zu treiben, ohne Abgaben zu zahlen.

Die Bevölkerung beträgt annähernd 580,000 Seelen; am dichtesten ist die Provinz Jarkand bevölkert. Städtische und ländliche Bevölkerung zeigen im Äußern und in der Lebensweise merkliche Unterschiede. In den Städten hat weitgehende Mischung von vielerlei Völkerschaften stattgefunden; "alles, was man sagen kann, ist, daß Tatar- (mongolisches) Blut überwiegt, daß Turkblut in größerer oder geringerer Menge zugesetzt ist, und daß fremde Tadschik- (persische) Formen mehr oder weniger dick eingesprengt