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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ungarische Litteratur

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Ungarische Litteratur (wissenschaftliche).

poetischen Schönheiten. Ein hervorragendes Talent der Gegenwart ist Koloman Mikszáth (geb. 1849), dessen nordungarische Dorfgeschichten auch außerhalb Ungarns großen Beifall gefunden haben. Die lebende Schriftstellergeneration widmet sich fast ausschließlich der Journalistik, und die Folge davon ist tiefer Verfall auf allen Gebieten der schönwissenschaftlichen Litteratur. Diese hat bisher nicht gehalten, was sie in den 40er Jahren dieses Jahrhunderts zu versprechen schien; den Namen Eötvös, Petöfi, Arany, Jókai haben sich keine neuern von nur annähernd gleichem Klang angefügt.

Die wissenschaftliche Litteratur Ungarns war bis ins 18. Jahrh. fast ausschließlich lateinisch, ja noch in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts bedienten sich die Gelehrten in der Litteratur wie in der Schule mit Vorliebe der Sprache Roms. Die ersten magyarischen Geschichtswerke sind die chronikartigen Aufzeichnungen aus dem 16. Jahrh. von Anton Verancsics, Franz Zay, Valentin Homonnai, Franz Wathai und die Chroniken von Stephan Székely und Kaspar Heltai. Im 17. Jahrh. schrieb Emmerich Tököly Memoiren über mehrere seiner Feldzüge; Fürst Johann Kemény und Niklas Bethlen verfaßten Autobiographien; zahlreiche andre politische Persönlichkeiten von bedeutenderer Stellung zeichneten die Ereignisse auf, deren Zeugen sie waren; die Chronik von Gregor Petheö, später von Nachfolgern fortgesetzt, blieb lange das einzige geschichtliche Handbuch des ungarischen Publikums. Im 18. Jahrh. ragen hervor: "Historie Siebenbürgens" von Mich. Cserey und "Metamorphose Siebenbürgens", ein sittengeschichtliches Werk von Peter Apor; "Briefe aus der Türkei" von Cl. Zágoni-Mikes, Sekretär Franz Rákóczys II.; ferner Esaias Budais "Geschichte von Ungarn" (erschienen 1805); Franz Budais "Bürgerliches Lexikon", die Biographien ausgezeichneter Ungarn enthaltend. Unter dem Einfluß der Göttinger historischen Schule, dann der Arbeiten der ungarischen Historiker Georg Pray und Steph. Katona sowie der Arbeiten von Gebhardi, Feßler und Engel erwachte im ersten Viertel des 19. Jahrh. in der Geschichtschreibung ein neuer Geist. Man begann mit großem Fleiß Daten zu sammeln, Kritik und Quellenstudium wurden leitende Grundsätze. Georg Fehér, Nikolaus v. Jankovics, Baron Aloys Mednyánszky, Johann Czech, Benedikt Virág, Stephan Horváth wirkten als Forscher oder eröffneten durch ihre Schriften neue Gesichtskreise. Später thaten sich hervor: Paul Jászay, Graf Joseph Teleki (Geschichte der Hunyadys), Ladislaus v. Szalay und Michael Horváth mit bedeutenden Werken über die ganze Geschichte Ungarns und Spezialwerken über einzelne Partien und Persönlichkeiten; Arnold Ipolyi (früher Stummer), Anton Csengery, Karl Szabó, Alexander Szilágyi, Franz Salamon (Geschichte Ungarns zur Zeit der Türkenherrschaft u. a.), Koloman Thaly (Geschichte F. Rákóczys und seiner Zeit), Wilhelm Fraknói (früher Frankl; Biographie Peter Pazmánys, Geschichte der ungarischen Landtage u. a.), Julius Pauler, Wolfgang Deák, Max Falk (Biographien Széchényis und Ladislaus Szalays) u. a. Einen bedeutenden Aufschwung hat die ungarische Einzel-Geschichtsforschung seit 1867 genommen, insbesondere durch die Wirksamkeit der Ungarischen Historischen Gesellschaft, deren Organ: "Századok" ("Jahrhunderte") eine Fundgrube zahlreicher Spezialarbeiten und Daten ist. Die Litteraturgeschichte ist hauptsächlich durch Franz Toldy (früher Schedel) und Zoltán Beöthy, die Ästhetik durch A. Greguß, P. Gyulai, Z. Beöthy, Eugen Péterffy, Friedr. Riedl u. a. vertreten. Der Beginn der rechts-, der staatswissenschaftlichen und politischen Litteratur fällt gleichfalls ins 16. Jahrh. Das Tripartitum Verböczys erschien, von B. Veres ins Ungarische übersetzt, zuerst 1565. Aus dem 17. Jahrh. sind zu verzeichnen: P. Kitonich ("Leitfaden der Prozeßordnung"), Paul Medgyesi (Werke über Kirchenverwaltung), J. Fésüs ("Spiegel der Könige"), M. Teleki ("Fürstenseele"); im 18. Jahrh. erregten Sam. Balia und Georg Aranka in Siebenbürgen mit ihren staatsrechtlichen Versuchen Aufsehen; Elias Georch war der erste, der sämtliche ungarische Gesetze in ungarischer Sprache bearbeitete. Im 19. Jahrh. gaben die Reformbewegung und die staatsrechtlichen Bestrebungen, die erst zur Gesetzgebung von 1848, dann zum Ausgleich von 1867 führten, der rechts- und staatswissenschaftlichen Litteratur bedeutende Impulse. Zu nennen sind: Alexander Kövy, Paul Szlemenics, Ignaz Frank, Johann Fogarassy, Theodor Pauler, Ignaz Udvardy, Stephan Szokolay, Franz Deák, Aurel und Emil Dessewffy, Joseph Eötvös u. a. Deák, die Brüder Dessewffy und Eötvös sind zugleich Größen auf dem Felde der politischen Litteratur, deren epochemachender Schöpfer Stephan Széchényi ("Kredit", "Licht", "Stadium", "Ein Volk des Ostens" u. a.) war. In dessen Fußstapfen trat Nikolaus Wesselényi. Der Schöpfer der ungarischen politischen Journalistik ist Ludw. Kossuth. Auf diesem Feld sind zu nennen: Graf Aurel Dessewffy, Siegmund Kemény, Anton Csengery, Joseph Eötvös, Johann Török. Als politische Redner ersten Ranges glänzen: Stephan Széchényi, Kossuth, Wesselényi, Kölcsey, Franz Deák, Joseph Lonovics, Aurel Dessewffy, Barth. Szemere, Gabriel Kazinczy, Eötvös, Koloman Ghyczy, Paul Somssich, Balthasar Horváth, Desidor Szilágyi, Graf Albert Apponyi u. a. Der erste, der eine philosophische Doktrin in ungarischer Sprache bearbeitete, war Johann Apáczai Cseri ("Ungarische Logik", 1659). Vom Ende des 18. Jahrh. an ist eine große Zahl ungarischer Lehrbücher über Philosophie und Geschichte der Philosophie zu verzeichnen, die jedoch meist Kompilationen deutscher und französischer Werke sind. Die Naturwissenschaft gelangte in Ungarn erst in neuester Zeit, unterstützt durch die Mittel, welche die Regierung unmittelbar und mittelbar diesem Zweig der Wissenschaft zuwendet, zu bedeutenderer Pflege. Die geologische Landesanstalt, das meteorologische, das chemische, das physiologische und hygieinische Landesinstitut, die neue chirurgische Klinik (sämtlich in Budapest), die Naturwissenschaftliche und die Geologische Gesellschaft sind ebenso viele Stätten wissenschaftlicher Thätigkeit. Die Hervorragendsten, von denen zahlreiche Arbeiten vorliegen, sind: Joseph Szabó, Joseph Krenner, Max v. Hantken (Geologie); A. Jedlik, Roland Eötvös, Koloman Szily (Physik); Karl Than (Chemie); Petzval, Véß, Hunyady (Mathematik); Konkoly (Astronomie); Abt Krueß, Guido Schenzl (Meteorologie); Lenhossek (Anatomie); Jendrassik (Physiologie); Semmelweis (Geburtshilfe); Balassa und Joseph Kovács (Chirurgie) u. a. Die Naturwissenschaftliche Gesellschaft gibt eine reichhaltige Zeitschrift und die bedeutendsten naturwissenschaftlichen Werke der europäischen Litteratur in Übersetzungen heraus. Ein gleicher Aufschwung ist auf dem Felde der Nationalökonomie (J. ^[Julius = Gyula] Kautz, M. Lónyay, A. György u. a.), der Statistik (A. Konek, Keleti, J. Körösi, Johann Hunfalvy), der Geographie und Reiselitteratur (Johann und Paul Hunfalvy, Ladislaus Magyar, Joh. Xantus u. a.), der Altertums-^[folgende Seite]