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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ungarn

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Ungarn (Nationalcharakter, Religionsverhältnisse, geistige Kultur).

burg, zum Teil auch in Preßburg, haben sie sich schon seit Karl d. Gr. angesiedelt; in die übrigen Landstriche sind deutsche Kolonisten teils in ganzen Stämmen, zuerst unter Geisa II., aus Köln und Flandern nach der Zips und in die Bergstädte (s. Gründner, Krikerhäuer), teils in kleinern Scharen aus Schwaben und Franken etc. (meist im 17. und 18. Jahrh.) eingewandert. Der Rest der Bevölkerung Ungarns (264,639 Einw.) sind Albanesen, Armenier, Bulgaren, Griechen, Italiener und Makedowalachen oder Zinzaren, welche im SO. und im S. wohnen; die Armenier und Griechen leben meist in Handelsstädten. Die Zigeuner (75,911, Magyaren und Rumänen) sind im Land zerstreut und halten sich meist in der Nähe kleinerer Orte, am zahlreichsten im Gömörer Komitat und in Siebenbürgen, auf. Unter den mannigfaltigen Nationaltrachten ist die ungarische die schönste. Sie besteht aus eng anliegenden Beinkleidern, verschnürtem Wams oder Attila (Rock), einer Pelzmütze oder einem Kalpak. Über der Schulter hängt ein Pelz oder Dolmán. Als Fußbekleidung dienen hohe, oft mit Schnüren verzierte Stiefel (Zischmen) oder kurze Schnürstiefel (Topanken). Der slawische Bauer trägt gewöhnlich ein weißes Kamisol von grobem Tuch, blautuchene Beinkleider und große, hohe Stiefel, im Sommer ein kurzes, mit einem Gürtel befestigtes Hemd, ein leinenes Unterbeinkleid (Gatye) und einen großen Hut. Die Alltagstracht des ungarischen Landmanns ist hier und da von jener des Slawen nicht wesentlich verschieden. Als Fußbekleidung trägt der Slawe Bundschuhe (krpec), der Gebirgsbewohner hohe Filzstiefel. Bei kaltem Wetter wirft der slawische Bauer ein mantelartiges Kleid aus grobem weißen Tuch (szurowicza) um, während der Ungar sich in ein grobtuchenes braunes Oberkleid (guba) oder in einen Schafpelz (ungar. ködmön, slaw. kozuch) hüllt. Hauptstücke der Kleidung sind noch die Pelzmütze und ein großer, weiter, mit Ziegenfellen ausgeschlagener Schafpelz (juhászbunda). Das weibliche Geschlecht kleidet sich fast allgemein in Rock und Jacke von blauem oder grünem Halbtuch, die ungarischen Mädchen tragen überdies blaue, bis unter die Kniee reichende, reich mit Schnüren besetzte Pelze. Eine beliebte Speise des Karpathenbauers ist Hirsebrei (kasa), der Ungarn Gulyás (mit Zwiebeln und Paprika gewürztes, nach Hirtenweise gekochtes Fleisch). Der Ungar ist meist mittelgroß, muskulös, ebenmäßig gebaut, hat eine scharf geschnittene Gesichtsbildung, ein dunkles, feuriges Auge und schwarzes Haar. Die Frauen entwickeln sich frühzeitig und haben regelmäßige Züge. Der Ungar ist gutmütig und sehr gastfreundlich, besitzt ein feuriges, leicht erregbares Temperament, viel rednerische Begabung und große Vaterlandsliebe, ist als Soldat äußerst tapfer und dient am liebsten zu Pferd (als Husar). Fröhlichkeit und Liebe für Musik und Tanz sind das Erbteil fast aller ungarischen Völkerschaften. Sehr schön und ungemein charakteristisch sind die ungarischen Nationaltänze (Csárdás) und Volksweisen, erstere bald sehr ernst, bald ungemein heiter und lebhaft (Lassu und Friss), letztere meist düster und schwermütig. Eigentümlich sind die Nationalgesänge der Slowaken und Serben. Die Magyaren beschäftigen sich meist mit Ackerbau, Viehzucht und Fischfang oder sind selbständige Handwerker. Die Slowaken treiben Ackerbau oder leben als nomadisierende Hirten, Arbeiter in den Berg- und Hüttenwerken, Flößer, Fuhrleute, Hausierer oder Drahtbinder. Als sogen. Rastelbinder durchziehen sie ganz Europa, ja selbst Amerika. Die Ruthenen liegen dem Viehhandel ob, sind Fuhrleute oder handeln mit Eisenwaren. Die Slawonier und Kroaten treiben Ackerbau und Handel, die Deutschen Gewerbe, Handel, Landwirtschaft, Bergbau etc. Die Armenier sind meist Kaufleute, Pachter und Viehhändler; die Griechen und Juden beschäftigen sich fast ausschließlich mit Handel; die Zigeuner sind Musikanten und Schmiede. Der Religion nach sind in U. die Römisch-Katholiken überwiegend (7,849,692) und haben am rechten Donauufer sowie im NW. die absolute Majorität; die Kroaten sind fast ausschließlich römisch-katholisch. Griechisch-katholisch sind Ruthenen und Rumänen (1,497,268), griechisch-orientalisch die Serben und ein Teil der Rumänen (2,434,890). Der evangelischen Kirche Augsburgischer Konfession gehören meist Slowaken und Deutsche im N. und W. an (1,122,849) sowie die siebenbürgischen Sachsen; die Evangelischen Helvetischer Konfession (2,031,803) haben ihren Hauptsitz in vorzugsweise ungarischen Gebieten; die Unitarier (55,792) leben fast nur in Siebenbürgen. Die Juden endlich (638,314) sind mit Ausnahme des Südwestens und Südostens überall verbreitet und bewohnen am dichtesten die an Galizien grenzenden nordöstlichen Komitate sowie die Handelsplätze. Bis 1848 waren sie aus den Berg- und einigen königlichen Freistädten ausgeschlossen, genießen aber seit 1868 volle Gleichberechtigung.

Bildung und Unterricht.

Die geistige Kultur des Landes ist in erfreulichem Fortschritt begriffen, und die Volksbildung der Deutschen und Ungarn steht jener in Österreich nicht nach. In U. (samt Siebenbürgen) ohne Kroatien-Slawonien gab es im J. 1887 unter 13,749,603 Einw. 2,377,558 schulpflichtige Kinder (17,29 Proz.), von diesen besuchten thatsächlich 1,929,377 die Schule (gegen 1,152,115 im J. 1869). Die Anzahl der Volksschulen betrug 16,538 (gegen 13,798 im J. 1869), jene der Lehrer 24,148 (gegen 17,792 im J. 1869). Letztere werden in 71 Lehrer- und Lehrerinnen-Präparandien (1869 bestanden nur 46) herangebildet, an denen 683 Professoren thätig sind (1869 nur 271). Die Kinderbewahranstalten, deren man 532 (gegen 215 im J. 1876) zählte, besuchten 49,051 Kinder (1876 nur 18,624). Von den bestehenden 179 Mittelschulen sind 151 Gymnasien (darunter 89 Obergymnasien) mit 2356 Professoren und 35,803 Schülern und 28 Realschulen (darunter 21 Oberrealschulen) mit 557 Professoren und 6816 Schülern. Theologische Lehranstalten gibt es 53, Rechtsakademien 11. U. besitzt gegenwärtig 2 Universitäten und zwar in Budapest mit 173 Professoren und 3679 Hörern und in Klausenburg mit 65 Professoren und 535 Hörern (eine dritte Universität soll demnächst errichtet werden). Außerdem hat auch Kroatien-Slawonien eine Universität in Agram. In Budapest befindet sich auch das königliche Josephs-Polytechnikum, mit 47 Professoren und über 600 Hörern sowie ein Rabbinerseminar. Besondere Bildungsanstalten sind: das Ludoviceum (militärische Hochschule für Honvédoffiziere), die Landestheater- und Musikakademie, die Meisterschulen für Malerei und Bildhauerei, die Landes-Musterzeichenschule samt dem Zeichenlehrerseminar, die Kunstgewerbeschule und die Handelsakademie in Budapest; ferner die Berg- und Forstakademie in Schemnitz, die nautische Akademie in Fiume, die landwirtschaftliche Akademie in Ungarisch-Altenburg, 6 Hebammenschulen sowie mehrere Handels-, landwirtschaftliche, Ackerbau-, Weinbau-, Berg-, Kunstschnitzerei- und Hausindustrieschulen in verschiedenen Orten. An philanthropischen Anstal-^[folgende Seite]