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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Universitäten

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Universitäten (geschichtliche Entwickelung).

gien oder Kollegiaturen, ursprünglich kirchliche Anstalten, in welchen Studierende freien Unterhalt, Lehre und Beaufsichtigung fanden. Eins der ersten Universitätskollegien war die berühmte Pariser Sorbonne (s. d.), gegründet um 1250 von Robert de Sorbon, Kaplan Ludwigs IX. Den öffentlichen Kollegien traten, wo sie dem Bedürfnis nicht genügten, auch private Unternehmen ähnlicher Art zur Seite, die auf Beiträge der Insassen begründet und von einzelnen Universitätslehrern geleitet waren. Solche Bursen (bursae, davon Burschen) waren vorzugsweise in Deutschland verbreitet. Das Kollegienwesen entwickelte sich am reichsten in Frankreich und England, wo auch der Unterricht zumeist in die Kollegien sich zurückzog. Gegenwärtig bezeichnet man an deutschen U. die Vorlesungen der Lehrer als Kollegien, ohne dabei an die geschichtliche Herkunft dieser Bezeichnung zu denken. - Neben dem festern Kern jener Bursen und Kollegien bevölkerten die U. des Mittelalters die sogen. fahrenden Schüler, eine bunt gemischte, wandernde Gesellschaft, in welcher die verschiedensten Alters- und Bildungsstufen zusammentrafen (s. Vaganten). In ihrem Schoß bildeten sich zuerst in rohen Umrissen die Anfänge der studentischen Sitten heraus, die sich teilweise bis heute erhalten haben; so die Gewalt der ältern Studenten (Bacchanten) über die jüngern (Schützen, Füchse).

Nach Deutschland übertrug das Universitätswesen Karl IV. durch die Gründung der Universität Prag 1348 (vier Nationen: Böhmen, Polen, Bayern, Sachsen). Bis zum Anfang der Reformation folgten mit päpstlicher und kaiserlicher Genehmigung: Wien (1365), Heidelberg (1386), Köln (1388), Erfurt (1392), Leipzig (1409), Rostock (1419, 1432), Löwen (1426), Greifswald (1456), Freiburg i. Br. (1456), Basel (1456), Ingolstadt (1472), Trier (1473), Mainz (1476), Tübingen (1477), Wittenberg (1502) und Frankfurt a. O. (1506). Die kräftigere Entwickelung des Landesfürstentums im 15. Jahrh. und die humanistische Bewegung halfen die Bande lockern, durch welche die Hochschulen an die kirchlichen Autoritäten geknüpft waren. Das Reformationsjahrhundert brachte eine Reihe neuer U., welche bestimmungsgemäß evangelischen (lutherischen oder calvinischen) Charakter hatten, so: Marburg (1527), Königsberg (1544), Jena (1558), Helmstädt (1575), Gießen (1607), Rinteln (1619), Straßburg (1621). Eine eigentümliche Mittelform zwischen U. und sogen. lateinischen Schulen (Gymnasien) bildeten in jener Zeit die akademischen Gymnasien oder gymnasia illustria, die von Freien Städten (Straßburg 1537, Hamburg 1610, Altdorf-Nürnberg 1578) und kleinern Landesfürsten (Herborn 1584 etc.) begründet wurden, um dem Auswandern der Landeskinder vorzubeugen. Mehrere dieser akademischen Gymnasien, wie Straßburg (1621), Altdorf (1623), Herborn (1654), entwickelten sich später zu wirklichen Hochschulen. Während im protestantischen Norden die U. im allmählichen Übergang Staatsanstalten mit einer gewissen korporativen Selbständigkeit wurden, blieben die neuen jesuitischen U., wie Würzburg (1582), Graz (1586), Salzburg (1623), Bamberg (1648), Innsbruck (1672), Breslau (1702), nach deren Muster auch mehrere der schon bestehenden katholischen U. umgestaltet wurden, dem ältern Typus im wesentlichen treu. - Auf den protestantischen U. beginnt in dieser Periode die eigentliche Geschichte des deutschen Burschentums. Thätige Teilnahme der Studierenden an der Verwaltung der U. fand nicht mehr statt; die Wahl junger studierender Fürsten zu Rektoren war bloße Form, da die wirklichen Geschäfte von Prorektoren, die aus der Zahl der Professoren erwählt waren, geführt wurden. Statt dessen bildete die Studentenschaft für sich eine Art von Verfassung heraus, die ihre Grundzüge teils aus dem mittelalterlichen Herkommen, teils aus den öffentlichen Zuständen der Zeit entnahm. Das Landsknechtwesen, die fortwährenden Feldzüge, namentlich der Dreißigjährige Krieg, nährten auf den Hochschulen einen Geist der Ungebundenheit, welcher das in seinen letzten Ausläufern noch an die Gegenwart heranreichende Unwesen des Pennalismus (s. d.) erzeugte. Auch kam damals an den deutschen U. das Duell auf, indem die Studierenden sich mehr und mehr als geschlossener Stand fühlten, in dem der Begriff der Standesehre Geltung gewann. Auf manchen U. gab es daneben noch Nationalkollegia als eine von den akademischen Behörden angeordnete oder geduldete Einteilung der Studentenschaft. Zum Teil in Verbindung hiermit, zum Teil aber auch selbständig entwickelten sich nun die Landsmannschaften, welche zu Ende des 17. und das ganze 18. Jahrh. hindurch das studentische Leben der deutschen U. beherrschten. Als förmliche Verbindungen mit besondern Statuten, Vorstehern (Senioren) und Kassen erlangten sie bald das Übergewicht über die keiner Verbindung angehörigen Studierenden (Finken, Kamele, Wilde, Obskuranten etc.), maßten sich die öffentliche Vertretung der Studierenden und damit zugleich eine gewisse Gerichtsbarkeit über dieselben an. Über die Ehrensachen wie über die studentischen Gelage etc. wurden feste Regeln aufgestellt, welche man unter dem Namen Komment zusammenfaßte. Der Druck, den die Landsmannschaften auf die Nichtverbindungsstudenten ausübten, war oft sehr hart. Viele der Wilden schlossen sich den Verbindungen als sogen. Renoncen (Konkneipanten) an, welche sich bloß unter den Schutz der Verbindung stellten, eine Abgabe zahlten und den Komment anerkannten. Die höchste Instanz für jede Universität bildete der Seniorenkonvent, der namentlich den Verruf gegen Philister, d. h. Bürger, oder auch gegen Studenten auszusprechen und das öffentliche Auftreten der Studentenschaft zu ordnen hatte. - Ebenso fällt in diese Zeit (von 1500 bis 1650) die Entwickelung des akademischen Lehrkörpers zu der im wesentlichen noch heute geltenden Verfassung. Danach bilden die ordentlichen Professoren (professores publici ordinarii) als vollberechtigte Mitglieder der vier Fakultäten den akademischen (großen) Senat. Aus ihrer Mitte wählen im jährlichen Wechsel die ordentlichen Professoren der einzelnen Fakultäten (ordines) die vier Dekane und sämtliche ordentliche Professoren den Rector magnificus, der an einigen U. auch Prorektor heißt, indem der Landesherr oder ein andrer Fürst als Rector magnificentissimus gilt. Außerhalb des Senats stehen die außerordentlichen Professoren (professores publici extraordinarii), welche meist kleinere Gehalte vom Staat beziehen, und die Privatdozenten (privatim docentes), welche nur die Erlaubnis (veniam docendi), nicht aber die amtliche Pflicht, zu lehren, haben. Der Senat, dem der Staat einen ständigen juristischen Beamten als Universitätsrichter (Universitätsrat) oder Syndikus beigibt, ist Verwaltungs- und Disziplinarbehörde der Universität und übt seine Rechte, abgesehen von den Plenarsitzungen, entweder durch den Rektor und die Dekane oder auch durch einzelne Ausschüsse aus. Der Rektor und die Dekane bilden, meist mit einigen gewählten Beisitzern, den engern oder kleinern Senat.