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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Venedig

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Venedig (Provinz und Stadt).

westlich bis zur Adda, Istrien, den größten Teil Dalmatiens und einen Teil Slawoniens sowie zeitweilig auch einen Teil Griechenlands, Cypern, Kandia und die Ionischen Inseln mit fast 8 Mill. Einw. umfaßte. Das spätere österreichische Kronland V., der östliche Hauptteil des ehemaligen Lombardisch-Venezianischen Königreichs, begriff den größten Teil der ehemaligen Republik, mit Ausnahme der außeritalienischen Besitzungen, und entspricht der gegenwärtigen Landschaft Venetien (compartimento Veneto) des Königreichs Italien. Dieselbe umfaßt die acht Provinzen: Belluno, Padua, Rovigo, Treviso, Udine, V., Verona und Vicenza mit zusammen 23,464, nach Strelbitsky 24,025 qkm (436,34 QM.) und (1881) 2,814,173 Einw. und wird nördlich von Österreich, westlich vom Gardasee und der Lombardei, südlich von der Provinz Ferrara, östlich vom Adriatischen Meer und von Österreich begrenzt (näheres s. unter den einzelnen Provinzen und Italien). S. Karte »Italien, nördliche Hälfte«. - Die Provinz V. erstreckt sich längs der Küste des Adriatischen Meers vom Tagliamento bis zur Etsch und umfaßt 2198, nach Strelbitsky nur 1898 qkm (34,47 QM.) mit (1881) 356,708 Einw. Das Land ist eben und enthält viele Sümpfe, durch welche Kanäle fahrbaren Wassers laufen; dies sind die Lagunen, die zum Teil durch Sanddünen (Lidi) von der offenen See getrennt sind. Diese Lidi selbst werden teilweise durch die Murazzi (mit Marmorquadern verstärkte gewaltige Mauerdämme, 10 m hoch und 15 m breit), welche sich längs des Strandes 18 km weit hinziehen, gegen die Meereswogen geschützt. Erwerbszweige der Bewohner sind: Seefischerei (Hauptsitz Chioggia), Ackerbau (Mais, Weizen, Hafer, Reis, Hülsenfrüchte), Weinbau (1887: 53,230 hl), Gemüsebau, Vieh und Seidenzucht (393,245 kg Kokons), Industrie und Handel. Die Industrie erstreckt sich hauptsächlich auf Schiffbau, Fabrikation von Asphalt und Zement, Glas und Glaswaren (Venedig und Murano), Tabak, Leder, Stearinkerzen, Seife und chemischen Produkten, auf Färberei, Maschinenbau, Industrie in Präzisionsinstrumenten, Waffen, Messerwaren, Nägeln, Gold- und Silberarbeiten, Seilerwaren, Segeltuch, Schafwollwaren, Spitzen, Stickereien, Seidenwaren etc. Die Provinz zerfällt in sieben Distrikte: Chioggia, Dolo, Mestre, Murano, Portogruaro, San Donà di Piave und V.

Venedig (hierzu der Stadtplan), Hauptstadt der gleichnamigen ital. Provinz (s. oben), eine der schönsten und merkwürdigsten Städte Europas, liegt in den Lagunen, mit dem Festland durch eine 1845 vollendete 3,6 km lange Brücke mit 222 Bogen verbunden, auf 118 kleinen Inseln, welche durch 160 Kanäle geschieden und durch 390 meist steinerne Brücken u. Stege miteinander verbunden sind.

[Lage, Kanäle, Plätze.] Die Lage von V. ist eine so überaus günstige, daß die Stadt wohl durch ungünstige politische Verhältnisse zeitweilig sinken konnte, sich aber immer wieder erhoben hat. In dem Kampf mit den sie bedrohenden Naturkräften, den die Lagunen verschlämmenden Flüssen, dürfte allerdings V. sowie seine Vorgängerinnen Adria, Aquileja und Ravenna trotz Murazzi, Moli und Kanalisierungen einst erliegen. Dieser Kampf hat es aber zum Teil auch stark gemacht, denn um die Brenta von den Lagunen abzuwenden, wurde es zur Ausdehnung auf dem Festland gezwungen. Es war durch die Lage in den Lagunen gegen Angriffe vom Land wie von der See leicht zu verteidigen und konnte sich somit stetig entwickeln und Reichtümer aufhäufen; es war auf die See hingewiesen, und das Adriatische Meer führte seine Schiffe nach dem Orient und Ägypten, während sich ihm das ganze Pogebiet öffnete und das Etschthal den Weg nach Deutschland und Nordeuropa zeigte, dem sich in der Nordspitze der Adria das alte Kulturmeer am meisten nähert, wo also notwendig ein großer Vermittelungspunkt liegen muß. Nur die Kunst moderner Wegebahnung hat Triest fähig gemacht, mit V. zu wetteifern. So hat sich denn V. in der That nach dieser Erniedrigung (es war 180 bis auf 96,000 Einw. gesunken), namentlich seit Eröffnung des Suezkanals, wieder gehoben, und nur die anscheinend abhanden gekommene Thatkraft seines Adels läßt es noch gegen Genua zurückstehen. Die Stadt hat die Form eines Dreiecks, welches eine Fläche von 7,5 qkm bedeckt, und zerfällt in sechs Bezirke: Cannaregio, Castello, Dorsoduro, San Marco, San Polo und Santa Croce. Unter den Kanälen zeichnen sich aus der Große Kanal (Canale grande), welcher, 3470 m lang und 45-72 m breit, die Stadt von SO. nach NW. in malerischer Doppelwindung, in der Form eines S, durchzieht, und der Kanal der Giudecca, der von der Hauptmasse Venedigs den kleinen südlichsten Teil der Stadt scheidet. Die Kanäle vertreten die Stelle der Hauptstraßen, deren V. gänzlich entbehrt; es gibt nur eine große Zahl (über 1900) sich durchkreuzender enger Gäßchen, sogen. Calli, unter welchen die vom Markusplatz zum Ponte Rialto führende Merceria die belebteste ist. An vielen Kanälen laufen vor den Häusern schmale Pfade für Fußgänger hin, bei den meisten aber erheben sich die Häuser unmittelbar aus dem Wasser. Unter den Brücken ist hervorzuheben der 1588-91 erbaute Ponte Rialto, 47 m lang und 22 m breit, aus einem einzigen Marmorbogen von 28 m Spannung und 9,5 m Höhe bestehend, durch Kaufläden in zwei schmälere Seitenwege und einen breitern Mittelweg geteilt. Den Verkehr vermitteln Gondeln, Barken und kleine Dampfer. Die Häuser sind meist aus Backstein erbaut und haben einen auffallend stattlichen Typus; über den von feinen Säulchen getragenen Arkaden ruhen schwere, imposante Massen, welche durch schöne Altane unterbrochen werden. Treppen und Hofraum liegen bei den Kanalhäusern auf der Rückseite. Das Fundament ruht auf einem Rost von Eichenpfählen, der 3-9 m tief durch den Schlamm bis zur harten Thonmergelschicht (caranto) hinabdringt. Eigentliche Plätze gibt es nur zwei: den Markusplatz und die Piazzetta. Die übrigen Plätze heißen Campi. Der Markusplatz bildet ein großes, längliches, auf drei Seiten von Prachtbauten, deren Erdgeschoß aus Arkaden mit Kaufläden, Kaffeehäusern etc. besteht, auf der vierten Seite von der Markuskirche abgeschlossenes, 176 m langes, 56-82 m breites Viereck. Mit ihm hängt die Piazzetta zusammen, 97 m lang und 49 m breit, vom Dogenpalast und der alten Bibliothek eingefaßt und sich bis an das Meer erstreckend. Am südlichen Ende der Piazzetta stehen zwei Granitsäulen, die eine mit einem geflügelten Löwen (von San Marco) aus Bronze, die andre mit einer Marmorstatue des heil. Theodor (des ältern Schutzpatrons von V.) gekrönt. Die Wasserseite der Piazzetta dehnt sich nach beiden Seiten in einen breiten Kai aus, der östlich zur Riva degli Schiavoni (mit dem 1887 errichteten Viktor Emanuel-Denkmal), westlich zum Giardino reale führt. Auf dem Markusplatz, vor der

^[Abb.: Wappen von Venedig.]