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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Viehzucht

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Viehzucht (Futterverwertung, Vererbung).

Haube, Psalter und namentlich auch der Labmagen unverhältnismäßig groß werden. Nur die Anlage zur Frühreife wird bei den Tieren vererbt; soll sie sich entwickeln, dann müssen dieselben günstigen Bedingungen vorhanden sein, welche diese Eigenschaft bei den Vorfahren erzeugt hatten. Sie ist deshalb auch nur in beschränktem Sinn eine Rasseneigentümlichkeit. Die Frühreife hat einen nachteiligen Einfluß auf die Geschlechtsfunktionen. Die weiblichen Tiere werden vor der Zeit brünstig, so daß sie noch nicht wohl befruchtet werden dürfen. Läßt man sie alsdann nicht zu, so zeigt sich später leicht Unfruchtbarkeit. Bei den Schweinen ist die Zahl der Jungen gewöhnlich gering. Die frühreifen männlichen Tiere zeigen einen weniger regen Geschlechtstrieb; man findet verhältnismäßig viele unter ihnen mit mangelhafter Fruchtbarkeit. Beachtenswert bleibt es aber, daß bei den frühreifen Tieren die Tragzeit thatsächlich eine kürzere ist. Nach Nathusius tragen die spätreifen Merinoschafe 150,3, die frühreifen Southdownschafe 144,2 Tage, während die Halbblut-Southdown-Merinos eine Tragzeit von 146,3 Tagen haben.

Mit der Feinheit und der Frühreife im engsten Zusammenhang steht die Eigenschaft der guten Futterverwertung. Man begreift darunter die Fähigkeit des Tiers, die ihm dargebotene Nahrung überhaupt wirtschaftlich nutzbar zu machen. Ein feines, frühreifes Tier bildet aus demselben Quantum Futter, welches das grobe, spätreife zur bloßen Erhaltung gebraucht, schon Kraft, Milch, Wolle oder Fleisch und Fett und vermehrt im letztern Fall seinen Körperumfang. Indessen gibt es unter den feinen, frühreifen Tieren in dieser Beziehung doch individuelle Verschiedenheiten, deren Ursache zu ergründen schwer ist. So vorteilhaft nun auch die erwähnte Eigenschaft ist, kann man trotzdem nicht sagen, daß es wirtschaftlich immer richtiger ist, die guten Futterverwerter zu kaufen. Die Entscheidung liegt oft in einem einfachen Rechenexempel. Wenn man ein polnisches Schwein für 24 Mk. kaufen und dasselbe mit einem Futteraufwand von 36 Mk. auf den Verkaufswert von 60 Mk. bringen kann, so ist das selbstredend vorteilhafter, als wenn man den Schlachtwert von 60 Mk. mit einem Futteraufwand von auch nur 30 Mk. durch ein das Futter gut verwertendes englisches Schwein erreicht, das 40 Mk. im Ankauf kostet. Sodann muß man auch deshalb manchmal die guten Futterverwerter zurückweisen, weil man zur Ausnutzung des vorhandenen voluminösen, wenig nährstoffreichen Futtermaterials genügsame Tiere braucht. Denn die erstern haben nur die Fähigkeit, gehaltreiches Futter wirtschaftlich günstig zu verwerten. Es ist deshalb wichtig, nicht jedes Tier ohne weiteres zu nehmen, bloß weil es einer bestimmten Rasse angehört, sondern eine Auswahl unter den Individuen zu treffen.

Man hat nun oft die Frage aufgeworfen, ob es richtiger sei, verschiedene Tierformen für die verschiedenen Gebrauchszwecke zu züchten oder Formen, die mehreren Gebrauchszwecken zugleich entsprechen. Möglich ist das letztere unter Umständen gewiß: man kann Pferde züchten, welche leidlich schnell laufen und zugleich auch ziemlich schwere Lasten ziehen; Rinder, welche neben ausreichender Arbeitsfähigkeit auch einen leidlichen Grad von Mastfähigkeit besitzen etc.; aber keine der verschiedenen Leistungen wird dann eine hervorragende sein. Die Beantwortung der Frage hängt also einmal davon ab, was man verlangt. Will man ein Rennpferd produzieren, so muß man lediglich auf Schnelligkeit züchten und davon, ob das Pferd auch ziehen kann, gänzlich absehen. Sodann aber ist sie abhängig von der wirtschaftlichen Berechnung. Es kann unter Umständen rentabler sein, Schafe mit feiner Wolle, die einen hohen Preis hat, zu halten oder zu züchten, dabei aber auf den Fleischwert des Körpers gar kein Gewicht zu legen; unter andern Verhältnissen kann es wieder pekuniär besser sein, solche Schafe zu halten, deren Wollertrag eine weit geringere Einnahme ergibt, bei denen dieses Minus aber vollauf gedeckt wird durch den weit höhern Schlachtwert der Tiere. Diejenigen Individuen einer Rasse, welche man vermöge ihrer Eigenschaften für geeignet hält, durch Übertragung oder Verschmelzung derselben zweckentsprechende Nachkommen zu liefern, wählt man zur Paarung aus. Bei der Befruchtung vereinigen sich männliche und weibliche Elemente, und es gehen Eigenschaften des Vaters und der Mutter auf die Nachkommen über. Die Vererbung ist ein Gemeingut aller fortpflanzungsfähigen Wesen; nach welchen Gesetzen sie aber erfolgt, ist nicht ergründet. So ist es nicht erkannt, von welchen Momenten das Geschlecht des Jungen abhängt, und wie es kommt, daß immer nahezu ebensoviel weibliche als männliche Individuen geboren werden. Alle hierüber aufgestellten Ansichten haben sich als irrtümlich erwiesen. So ist es ferner noch nicht erkannt, was der Vater und was die Mutter vererbt, und ob überhaupt eine Gesetzlichkeit hierbei vorhanden ist. Die Thatsachen sprechen nicht dafür; beide Geschlechter können in gleichem Grad Vererbungskraft besitzen, und das Kind bietet in der Regel eine Mischung der elterlichen Eigenschaften dar. Oft freilich macht sich mehr der Vater, oft auch wieder mehr die Mutter bei der Vererbung geltend. Sodann hat man die Ansicht aufgestellt, daß die Körpergröße von der Mutter vererbt werde, und

^[Abb.: Verschiedene Parallelogrammformen.

Fig. 1. Shorthornrind.

Fig. 2. Southdownschaf.

Fig. 3. Englisches Schwein.]