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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Wien

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Wien (Industrie und Handel).

heit der Wiener Frauen, welche sich in den verschiedensten Typen kundgibt, genießt einen wohlverdienten Ruf. Auch wissen sich die Wienerinnen sehr geschmackvoll zu kleiden. In der Musik hat W. nicht nur in Österreich, sondern darüber hinaus überragende Bedeutung.

Industrie und Handel.

W. ist die erste Industriestadt der Monarchie. Die Großindustrie ist allerdings infolge der hohen Löhne und Mietzinse sowie der durch die Verzehrungssteuer verursachten Verteurung vieler für die Fabrikproduktion wichtiger Artikel mehr und mehr genötigt worden, den eigentlichen mechanischen Betrieb in vielen Branchen in die Vororte und auf das Land zu verlegen, wogegen die geschäftliche Leitung sowie auch die Appretur zur marktgängigen Ware in W. verblieb. Der kleingewerbsmäßige Betrieb dagegen wurde durch dieselben Verhältnisse sowie durch die Konkurrenz der fabrikmäßigen Massenproduktion veranlaßt, seine Thätigkeit mehr den lohnendern Luxusartikeln und dem Gebiet des Kunstgewerbes zuzuwenden. Hierin besteht hauptsächlich die Stärke der Wiener Industrie. Was die einzelnen Industriezweige betrifft, so sind hauptsächlich folgende in W. (samt den Vororten) vertreten: die Maschinenfabrikation (sie beschäftigt gegenwärtig etwa 80 Unternehmungen mit 8500 Arbeitern); die Fabrikation von Transportmitteln (und zwar Eisenbahnwagen und Luxuswagen); die Werkzeugindustrie; die Erzeugung von chirurgischen sowie mathematischen, physikalischen und optischen Instrumenten; die Erzeugung von Musikinstrumenten und zwar Blasinstrumenten von Holz (namentlich Flöten und Klarinetten) und Metall, Streichinstrumenten, Zithern, Klavieren (108 Unternehmungen, jedoch meist ohne Maschinenbetrieb), Hand- oder Zugharmoniken und Mundharmoniken; die Erzeugung von Eisenwaren, insbesondere feuerfesten Geldschränken, eisernen Möbeln, Waffen und Kriegsmaterial; die Erzeugung von Bronzewaren (245 Etablissements mit 680 Arbeitern), namentlich in Beleuchtungsgegenständen, Uhr- und Kamingarnituren hervorragend; ferner die Fabrikation von Zinkwaren, Pakfong- und Chinasilberwaren, Lampen und verschiedenen Metalllegierungen (erwähnenswert namentlich zwei Kunstgießereien für größere plastische Werke); die Erzeugung von Gold-, Silber- und Juwelenarbeiten (660 Unternehmungen mit 2500 Arbeitern, sehr bedeutende Produktion in allen Artikeln, namentlich Ketten, Ringen, emailliertem Silberschmuck, Rokokowaren und Juwelierarbeiten); die Anfertigung von Stock- und Pendeluhren; die Fabrikation von Ziegeln und Terrakotten (in der Umgebung von W. fabrikmäßige Etablissements von bedeutendem Umfang, welche außer Ziegeln architektonische Verzierungen und Figuren aus Terrakotta liefern); die Porzellan- und Glasmalerei; die chemische Industrie (größere Fabriken in der Umgebung); die Erzeugung von Stearinkerzen und Seifen (mit bedeutendem Export), Fetten, Ölen, Parfümerie- und Zündwaren; die Gaserzeugung (zwei Gesellschaften); die Unternehmungen für elektrische Beleuchtung (Ende 1887 gab es in W. 80 mit Elektrizität beleuchtete Anlagen); die Petroleumraffinerie; die Fabrikation von Lack und Firnis; die Bierbrauerei (in W. und Umgebung bestehen die größten Brauereietablissements der Monarchie, darunter die zu Schwechat, St. Marx, Liesing, Hütteldorf, Ottakring, Nußdorf, Brunn, Simmering, Schellenhof, mit einer Jahresproduktion von je 1-450,000 hl); die Fabrikation von Spiritus, Likör und Preßhefe; die Erzeugung von moussierenden Getränken, Brot, Luxusgebäck und Konditorwaren; die Fabrikation von Tabak und Zigarren (zwei ärarische Fabriken mit zusammen über 1000 Arbeitern); die Seidenweberei und Bandfabrikation; die Fabrikation von Schafwollwaren; die Produktion von Baumwollwaren, namentlich Weißwaren; die Jutespinnerei und -Weberei; die Erzeugung von Posamentierwaren, Shawls, Teppichen und Möbelstoffen, Decken, Tüll und Vorhängen, Maschinenspitzen, Kunststickereien, feinen Wirkwaren, Gummiwebwaren, Wachstuch, Miedern, Wäsche, Halsbinden, Sonnen- u. Regenschirmen, künstlichen Blumen, Schmuckfedern; die Fabrikation von Herrenkleidern (bedeutender Export, namentlich nach dem Orient), dann von Damenkleidern; die Lederwarenindustrie, insbesondere Erzeugung von Schuhwaren (großer Export, besonders in feinen Damenschuhen), Ledergalanteriewaren, Handschuhen (in Lammleder, 210 Unternehmungen mit ca. 6000 Arbeitskräften), Taschner-, Riemer- und Sattlerarbeiten; die Filz- und Strohhuterzeugung; die Fabrikation von Papier und Papierwaren, als: Spielkarten, Kartonagen, Eisenbahnfahrkarten, Briefkouverte, Luxus- und Phantasiepapiere, Buntpapier, Papiertapeten und Buchbinderarbeiten; die Möbelindustrie (40 größere und 2000 kleinere Unternehmungen für verschiedene Tischlerwaren mit mehr als 10,000 Arbeitern); die Herstellung von Tapezier- und Dekorateurarbeiten; die Erzeugung von Holzgalanteriewaren, Fächern (bedeutender Export, Beschäftigung von gegen 4000 Personen), Drechslerwaren, namentlich Meerschaum- und Bernsteinarbeiten, Pfeifen und Pfeifenrohren, insbesondere aus Weichselholz, Stöcken, Knöpfen aus Perlmutter und andern Materialien (im ganzen 1700 Unternehmungen für Drechslerwaren mit über 11,000 Hilfsarbeitern), die Buch- und Steindruckerei (große Etablissements, zusammen 110; darunter als hervorragendstes Institut die Hof- und Staatsdruckerei; dann 130 Steindruckereien); die Photographie (116 Unternehmungen); endlich die Chromolithographie. Die Zahl der in W. vorhandenen Gewerbebetriebe belief sich 1888 auf 54,400, darunter 28,557 industrielle, 21,847 Handels-, 3566 Verkehrs- und Versicherungsunternehmungen. Kraftmaschinen standen nach der letzten Erhebung für 1880 in W. und Umgebung 493 mit 6243 Pferdekräften in Thätigkeit. Der Jahreswert der industriellen Produktion wird auf mehr als 300 Mill. Guld. veranschlagt.

In noch viel höherm Maß als in Bezug auf die Industrie bildet W. in Bezug auf den Handel das wirtschaftliche Zentrum Österreichs. Die Hauptgegenstände des Handels sind: Getreide und Mehl, Wein, Sämereien, Vieh, Kaffee, Thee, Südfrüchte, Brenn- und Werkholz, Steinkohlen, Eisen- und Metallwaren, Öl, Petroleum, Chemikalien und Farbewaren, Schweineschmalz, Zucker, Spiritus, Heringe, Seide, Schafwolle, Baumwolle, Garne, Web- und Wirkwaren, Wäsche und Weißwaren, Kleider, Häute und Felle, Leder, Gerbstoffe, Schuhwaren, Handschuhe und verschiedene Lederwaren, Papier, Möbel, Drechslerwaren, Spiel- u. Kurzwaren, Bücher, Kunstartikel. Der Konsum von W. umfaßte im J. 1888 folgende Quantitäten. An Vieh wurden aufgetrieben 252,527 Rinder, 188,018 Kälber, 53,354 Lämmer, 304,249 Schafe und 558,249 Schweine. Außerdem wurde konsumiert: frisches Fleisch 189,172 metr. Ztr., Geflügel 2,300,000 Stück, Hasen 201,284 Stück, Federwild 154,000 Stück, Fische 12,800 metr. Ztr., frisches Obst 252,000 metr. Ztr., Mehl, Kartoffeln, Grieß, Stärke 536,000 metr. Ztr., Brot und Bäckerwaren 177,000