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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Wohnhaus

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Wohnhaus (Mittelalter und neuere Zeit).

mit Erker und Nebenzimmern, nach hinten eine Galerie, bisweilen eine lange, meist tiefe Banketthalle, Küche und Zubehör enthielt. Miethäuser und die in den Hintergassen liegenden Wohnhäuser erhielten kleine Hausfluren und in jedem Stockwerk die gemeinschaftliche Halle, worin die Familie wohnte, arbeitete, speiste und Besuche empfing, inmitten der erforderlichen Schlaf- und Wirtschaftsräume. Der Stil des mittelalterlichen Wohnhauses entwickelte sich aus den verschiedenen, besonders an Kirchenbauten erkennbaren Stilrichtungen des Mittelalters und ging von den romanischen durch die Formen des Übergangsstils allmählich zu den gotischen Formen über, welche sich nach den einzelnen Ländern und nach dem Baumaterial verschieden gestalteten. Beispiele gotischer Wohnhäuser geben die Figuren 1, 2, 4 u. 5 der Tafel I, wovon die beiden erstern deutsch-gotische Wohnhäuser, bez. einen Backstein- u. Hausteinbau, Fig. 4 einen französisch-gotischen Holzbau und Fig. 5 einen italienisch-gotischen Palast in Steinbau darstellen. Die Haupteingangsthüren der steinernen Wohnhäuser dieser Periode sind meist spitzbogig überwölbt (Fig. 1, 2 u. 5), während die Fenster teils spitzbogig (Fig. 1 u. 5), teils gerade (Fig. 2), überdeckt und im letztern Fall bei größern Fensteröffnungen mit steinernen Fensterkreuzen versehen sind. Die Thür- und Fensteröffnungen der hölzernen Wohnhäuser der gotischen Zeit zeigen diesem Baumaterial am meisten entsprechende gerade Überdeckung (Fig. 4). Zur Erzielung schlanker Verhältnisse wird die Vertikalteilung bevorzugt und bei Steinbauten durch hervortretende Lisenen (Fig. 1), bei Holzbauten durch Hervorheben der Pfosten und Ständer (Ständerhaus, Fig. 4) erzielt. Hierbei ist das Dach der gotischen Wohnhäuser in nordischen Ländern steil ansteigend und entweder nach vorn abgewalmt und dann durch ein kräftiges, zeitweise mit Zinnen gekröntes Hauptgesims verdeckt (Fig. 2), oder an der Straßenseite meist durch einen Giebel abgeschlossen (Fig. 1 u. 4), welcher in mehr oder minder lebendiger Gliederung nicht selten das Dach weit überragt (Fig. 1). In südlichen Ländern bleibt das Dach flach und wird durch ein wagerechtes Gesims abgeschlossen, welches bei reicherer Ausstattung oft durch einen Spitzbogenfries unterstützt und durch einen fortlaufenden verzierten Aufsatz bekrönt wird (Fig. 5). Erker, Ecktürmchen sowie Figuren auf Kragsteinen und unter zierlichen Verdachungen (Fig. 2) dienten dem W. zum Schmuck, während man den vordern Teil desselben nicht selten auf überwölbte oder flach gedeckte, nach außen offene Bogenhallen, die sogen. Lauben, stützte, wodurch in einzelnen Städten, z. B. in Braunschweig und Bern, ein ununterbrochener, längs der Straßen hinziehender Bogengang entstand. Die zuvor bezeichnete Anordnung des Wohnhauses erhielt sich in Deutschland fast durch das ganze Mittelalter mit nur geringer Abänderung in den Städten, während sich auf den Dörfern die Wohnhäuser der Bauern nach den einzelnen Provinzen und Stämmen sehr verschieden gestalteten. Als hervorragende Typen sind hier das westfälische oder sächsische, das slawische, das schwäbische und schweizerische sowie das mitteldeutsche Bauernhaus, das bayrische Alpenhaus und der thüringische Bauernhof hervorzuheben, unter welchen das erstere sämtliche Wohn- und Wirtschaftsräume unter einem Dach, das letztere dieselben getrennt und um einen Hof gereiht enthielt; s. Bauernhaus. In Italien behielt man im Anfang des Mittelalters die räumliche Anordnung teils des byzantinischen, teils des römischen Wohnhauses bei, bis im Lauf des 15. Jahrh., besonders in Oberitalien, viele deutsche Elemente eindrangen. Hierzu gehören die in Bologna, Verona, Genua etc. erbauten Bogengänge, während der von Säulenhallen umgebene, zugleich als Saal und Familienplatz dienende Hof in Unteritalien herrschend blieb. Als Mittelglied zwischen dem bürgerlichen W. und den Burgen sind die Paläste der Großen anzusehen. Während ähnliche Schwankungen in der Raumordnung auch das spanische W. berührten, nahm dasselbe in England einen bestimmten Entwickelungsgang. Bis zum 12. Jahrh. hatten die ländlichen Wohnhäuser rechteckige Grundrisse und zwei Stockwerke, wovon das untere gewölbt, das obere durch eine Freitreppe zugänglich und mit dem einzigen heizbaren Raum versehen war. Die städtischen Wohnhäuser hatten in der Mitte eine durch alle Geschosse reichende, meist gewölbte, oft auch mit Holzdecke versehene Halle und viereckige Fenster, in deren Nischen Sitze angebracht waren. Im Anfang des 13. Jahrh. wurden die Wohnhäuser oft sehr unregelmäßig gruppiert, erhielten entweder zu beiden Seiten ummauerte Höfe mit Wall und Graben sowie Freitreppen, welche zu dem mit 2-3 heizbaren Räumen versehenen Obergeschoß führten, oder unten den Eingang in das nur teilweise gewölbte Untergeschoß, während die Haupträume oben und durch eine Turmtreppe zugänglich waren. Dieser Festungscharakter wurde im 14. Jahrh. wenigstens bei allen vor der Stadt liegenden Wohnhäusern durch den Zusatz eines Turms noch gesteigert, während noch die in den Städten liegenden Gebäude oft mehrere Einen gemeinschaftlichen Hof mit schmalem Eingang und vorgebautem Obergeschoß hatten. Im 15. Jahrh. verschwand der Festungscharakter, die große Halle erhielt ein Einfahrtsthor; oft waren die Untergeschosse hallenartig nach der Straße geöffnet; kleinere Besitzer begnügten sich mit einem turmartigen Bau; Decken wurden zum Teil ganz aus Holz hergestellt, die Wände vielfach mit Holz bekleidet oder bemalt. Im 16. Jahrh. wurde die Holzarchitektur des Innern vielfach mit Stuckverzierung vereinigt, auch solche zu den Treppengeländern und Kamindekorationen verwendet. Die Holzhäuser, welche schon im 14. Jahrh. vereinzelt auftraten, vorspringende Obergeschosse und durchgehende Fensterreihen hatten, erhielten jetzt nur noch an den Ecken Vorsprünge, während sie in der Mitte glatt blieben und eine nicht mit Feuerstelle versehene offene Halle bildeten. Erst gegen das Ende des 16. Jahrh. wurden dieselben mit Galerien versehen, bewahrten aber noch lange ihren mittelalterlichen Charakter. An den deutschen Wohnhäusern des 16. und 17. Jahrh. gewahren wir vorzugsweise diejenigen äußerlichen Veränderungen, welche mit der Rückkehr von den gotischen Formen zu den antiken verbunden waren (s. Tafel I, Fig. 3, 6, 8 u. 9) und durch die Stilformen der Früh-, Hoch- und Spätrenaissance ihren Ausdruck fanden. Während Fig. 3 einen Holzbau aus der Übergangszeit darstellt, bei welchem die obern Geschosse, um bei beschränktem Bauplatz deren Innenraum zu vergrößern, auf Balkenköpfen und Kraghölzern vorgebaut sind, stellen die Figuren 6-9 bereits entwickelte Wohnhausbauten der Frührenaissance in Italien und der Spätrenaissance in Deutschland dar. Der in Fig. 7 wiedergegebene venezianische Palast zeigt in der Verbindung von Vertikal- und Horizontalgliederung und in der gleichzeitigen Anwendung romanischer und römischer Bauformen die Verschmelzung mittelalterlicher und antiker Motive. Auch die beiden in Fig. 6, 8 u. 9 dargestellten deutschen, bez. in Stein und Holzfachwerk ausgeführten Wohnhäuser lassen