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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Wunder - Wunderlich.

bildet sich ein trockner Schorf über den Wundrändern, unter welchem die W. ohne Störung heilt (Heilung unter dem Schorf). Bei großen Höhlenwunden dagegen vereinigt man die Ränder gar nicht, sondern stopft die ganze Wundhöhle mit Jodoformgaze aus, die bei öfterm Verbinden erneuert werden muß. Ganz neuerdings läßt man diese Höhlen sich mit einem Blutgerinnsel füllen, welches die Heilung günstig beeinflussen soll (Heilung unter dem feuchten Blutschorf), doch ist der Erfolg dieser Behandlung noch nicht allgemein anerkannt. Der früher vielgebrauchte Karbolspray wird heute gar nicht mehr angewandt.

Die Allgemeinbehandlung eines Verwundeten besteht in kräftiger, leichtverdaulicher Diät, Milch, Eiern, Bouillon, Wein etc. Ein ganz geringes (sogen. aseptisches) Fieber tritt zuweilen in den ersten Tagen auch bei normalem Wundverlauf auf und rührt von einer Aufsaugung des normalen Wundsekrets in das Blut her. Es ist bedeutungslos. Wichtig sind Vergiftungserscheinungen, die sich nach Aufnahme gewisser antiseptischer Stoffe, besonders Karbol, Sublimat und Jodoform, einstellen. Dieselben zu beurteilen, ist Sache des Arztes, der in derartigen Fällen ein andres Desinficiens, Salicyl oder Borsäure, wählt. Außer den gewöhnlichen Fäulnis- oder Eiterung erregenden Bakterien können in einer W. auch die Bacillen des Starrkrampfes, des Rotzes, Milzbrandes, der Tuberkulose sowie das Gift der Syphilis und der Hundswut eindringen und durch Vermehrung diese Krankheiten hervorrufen (s. Starrkrampf). Wunden, welche durch Bisse toller Hunde, rotz- und milzbrandkranker Tiere, giftiger Schlangen erzeugt sind, müssen sofort energisch mit rauchender Salpetersäure ausgeätzt oder mit dem Glüheisen ausgebrannt werden, um das Gift in der W. zu zerstören. Vgl. Thiersch, Klinische Ergebnisse der Listerschen Wundbehandlung (Leipz. 1875); Bardeleben, Über die Theorie der Wunden etc. (Berl. 1878); Billroth, Allgemeine chirurgische Pathologie und Therapie (13. Aufl., das. 1887); Nußbaum, Leitfaden zur antiseptischen Wundbehandlung (5. Aufl., Stuttg. 1887; daneben eine populäre kleinere Schrift); Neuber, Anleitung zur Technik der antiseptischen Wundbehandlung (Kiel 1883).

Wunder (lat. Miraculum), nach scholastischer, auch von der protestantischen Orthodoxie adoptierter Bestimmung ein Ereignis, welches den gewöhnlichen Lauf der Dinge durchkreuzt, aufhebt, suspendiert und daher auf das außerordentliche Eingreifen einer über die Natur erhabenen Gottheit zurückgeführt werden muß. Von diesem mit Hintansetzung der Ordnung des natürlichen Geschehens sich vollziehenden, dem absoluten W., unterscheidet man die aus unsrer jeweiligen Kenntnis der Naturgesetze nicht erklärbaren Begebenheiten als relative W. Für die ganze antike Weltbetrachtung verstand sich die Möglichkeit des Wunders durchaus von selbst, und als W. galt alles, was, weil das religiöse Gefühl erregend, auf unmittelbares Einwirken der Gottheit zurückwies, wobei es dem gesunden religiösen Gefühl weniger auf die Durchbrechung des Naturzusammenhangs als auf die Vergegenwärtigung des zwecksetzenden Willens Gottes ankam. So erschien dem Volk Israel wenigstens die eigne Geschichte und erscheint dem Katholizismus die Geschichte der Kirche als wunderbar. Der protestantische Supernaturalismus endlich hat das Gebiet des Wunders auf den Verlauf der biblischen Geschichte, ja in neuesten Zwittergestalten fast bloß noch auf die sogen. Heilsthatsachen, d. h. namentlich auf die im apostolischen Symbol namhaft gemachten Ereignisse, beschränkt, wozu noch einige die W. der evangelischen Geschichte (s. Jesus Christus und Evangelium) als Hauptbeweis für den übernatürlichen Ursprung des Christentums beifügten. Als Gegner der Wundertheorie traten Spinoza aus philosophischen, Hume und der englische Deismus teilweise auch aus historischen Gründen auf (s. Woolston). Im Gegensatz dazu übernahm die theologische Apologetik seit Mitte des vorigen Jahrhunderts die schwierige Aufgabe der Verteidigung des Wunders in historischer wie philosophischer Hinsicht. Vgl. Bender, Der Wunderbegriff des Neuen Testaments (Frankf. 1871). Ein Lexikon der biblischen und andern W. schrieb Brewer (»Dictionary of miracles«, Philad. 1884).

Wunder, Eduard, Philolog und Schulmann, geb. 4. Mai 1800 zu Wittenberg, daselbst und in Meißen gebildet, studierte seit 1818 in Leipzig, ward an der Landesschule zu Grimma 1823 Adjunkt, 1826 Professor, 1843 Direktor, trat 1866 in den Ruhestand und starb daselbst 24. März 1869. Außer Ausgaben von Ciceros »Oratio pro Plancio« (Leipz. 1830) und des Sophokles (das. 1825, 1 Bd.; sodann Gotha und Erf. 1831-37, 7 Bde.; öfter einzeln wiederholt, zuletzt von Wecklein, Leipz. 1875 ff.) sind von seinen Schriften noch hervorzuheben: »Adversaria in Sophoclis Philoctetem« (das. 1823), »Emendationes in Sophoclis Trachinias« (Grimma 1841), »De Aeschyli Eumenidibus« (das. 1854).

Wunderapfel, s. Momordica.

Wunderbaum, s. v. w. Ricinus und Robinia.

Wunderblau, s. Indigo, S. 919.

Wunderblume, s. Mirabilis.

Wunder der Welt, s. Sieben Wunder der Welt.

Wundererde, sächsische, s. Teratolith.

Wunderkammer, s. Megaskop.

Wunderkinder, s. Frühreife.

Wunderlich, Karl August, Mediziner, geb. 4. Aug. 1815 zu Sulz am Neckar, studierte seit 1833 in Tübingen, ging 1837 nach Paris, ward im folgenden Jahr Assistenzarzt am Katharinenspital in Stuttgart und schrieb hier: »Die Nosologie des Typhus« (1839), eine Beleuchtung der wichtigsten Ansichten über diese Krankheit. 1840 habilitierte er sich als Privatdozent in Tübingen und ward 1843 außerordentlicher, 1846 ordentlicher Professor und Direktor der Klinik daselbst. Durch eine geistvolle Parallele: »Wien und Paris. Ein Beitrag zur Geschichte und Beurteilung der gegenwärtigen Heilkunde in Deutschland und Frankreich« (Stuttg. 1841), lenkte er die Aufmerksamkeit der weitesten ärztlichen Kreise auf die junge Wiener Schule. 1841 gründete er mit Roser das »Archiv für physiologische Heilkunde«, in welchem er für seine neue Richtung auch mit eignen Arbeiten eintrat. In kurzer Zeit gewann er zahlreiche Anhänger, und die physiologische Heilkunde wurde das Stichwort des medizinischen Fortschritts. 1843 begann er sein »Handbuch der Pathologie und Therapie« (Stuttg. 1846-54, 4 Bde.; 2. Aufl. 1855-57), welches sich besonders durch die streng naturwissenschaftliche Methode auszeichnet. 1850 folgte er einem Ruf nach Leipzig und begann hier seine Untersuchungen über den Fieberprozeß und die Körperwärme der Kranken. Durch zahlreiche Abhandlungen und sein vielfach übersetztes Werk »Das Verhalten der Eigenwärme in Krankheiten« (Leipz. 1868, 2. Aufl. 1870) bewirkte er, daß heute das Thermometer als unentbehrliches Hilfsmittel der Diagnostik bei fiebernden Kranken gilt und der Umfang und die Kenntnis der Fieberlehre in zwei Jahrzehnten eine völlige Umgestaltung erfuhren. 1866 gab er mit Griesinger und Pettenkofer