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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Französische Litteratur - Frapan

des gesellschaftlichen Treibens, die Emile Blavet zuerst im "Figaro" zu veröffentlichen pflegte. "La vie à Paris" von Anatole France als Nachfolger J. Clareties im "Temps"; "Paris qui danse", das lichtscheue Paris der untersten Bohême, von Bloch und Sagari, "Paris qui roule", die ergötzliche Geschichte der Pariser Verkehrsmittel seit zwei Jahrhunderten, von Georges Bastard; "Les modèles d'artistes", Skizzen aus der Atelierwelt, von Paul Dollfus.

Tagespresse, Zeitschriften.

Auf keinem andern Gebiet hat die Demokratisierung der Massen so empfindliche Wirkungen geübt wie im Bereich der Tagespresse, wo die Blätter zu zählen sind, die es wagten, an ihren herkömmlichen Preisen festzuhalten: "Débats", "Temps" und der "Siècle", welche ihre Abonnenten haben, sodann die Boulevardblätter: "Figaro", "Gil Blas", "Gaulois", "Événement", die mehr litterarisch als politisch sind oder sein wollen, und endlich die paar alten legitimistischen Organe, die man im Straßenverkauf nicht sieht: "Gazette de France", "Univers", "Monde", "Moniteur Universel" und die gleichgestimmte jüngere "Défense". Die übrigen täglich erscheinenden Zeitungen aller Schattierungen behielten ihr großes Format bei oder vergrößerten das bisherige, gingen aber, obwohl die Annoncen beharrlich hinter frühern Zeiten zurückblieben, im Preis herunter, von 15 auf 10, ja sogar auf 5 C., und von 10 auf 5, wie ursprünglich nur das "Petit Journal" und seine Nachahmer "Petit Moniteur" verkauft wurden. Die streitbaren Parteiorgane zu allererst fügten sich dieser Notwendigkeit: die "République française" wie der "Soleil" des Akademikers Edouard Hervé, hinter dem der Graf von Paris steht, wie die "Autorité" Cassagnacs, der "Intransigeant" Rocheforts, der "Rappel", der "XIX. Siècle" u. a. Jedermann will lesen, viel lesen und billig die neuesten Kammernachrichten, Verbrechen und mindestens einen Feuilletonroman, wenn nicht zwei oder drei zugleich verschlingen können, und wer die Masse für sich haben will, muß ihr reichliches Zeitungsfutter verabreichen. Darum werden in wichtigen Augenblicken zwei, drei boulangistische Blätter zusammen für 5 C. angeboten und entschlossen sich die gemäßigten Republikaner beim Nahen des Wahlkampfes zur Gründung von Soublättern, die ihre Richtung ausschließlich vertreten, "Le Parti national" diejenige des linken Zentrums, "L'Estafette" die Politik Jules Ferrys. Daß Haltung und Sprache unter solchen Verhältnissen leiden, versteht sich von selbst. Die Polemik ist von einigen Führern, Rochefort und Cassagnac an der Spitze, auf einen Ton gestimmt worden, den man für unmöglich gehalten hätte, die unbeschränkte Preßfreiheit kommt diesem Unfug noch durch die Begünstigung der gemeinsten Schmäh- und Verleumdungssucht zu statten, und endlich spreizen sich, was früher nicht der Fall war, Unflätereien auch in der kleinen Tagespresse.

In den großen politischen Organen hat die telegraphische Berichterstattung solche Bedeutung gewonnen, daß die "Débats" z. B. ihr eine ehrwürdige Einteilung opferten und dem eben in sein 101. Lebensjahr getretenen Blatt ein neues Aussehen gaben. Eine lebhaftere Gangart hat es schon seit mehreren Jahren in dem Maß eingeschlagen, als jüngere Kräfte die im Kampf gegen das Kaiserreich alt gewordenen ersetzten und im unpolitischen Teil der Aktualität mehr Beachtung geschenkt wurde. Der "Temps" seinerseits, der als Abendblatt erscheint, widmet den "letzten Nachrichten" seiner vierten Seite immer größere Sorgfalt, während er sich zugleich anstrengt, in litterarischer Hinsicht mannigfaltiger zu sein. So hat er zu Anatole France und Hugues Le Roux auch noch Jules Lemaître gewonnen, der (anonym) in fein gedrechselten, launig gedachten "billets du matin" alle erdenklichen Fragen erörtert, wie Francis Magnard im "Figaro" vorwiegend die mit der Politik verwachsenen. In der Boulevardpresse steht der "Figaro" unangefochten obenan. Litterarisch macht ihm nur der "Gil Blas" den Rang streitig, der seit seinem Bestehen schon eine ganze Phalanx glänzender Talente zeitigte, Henry Fouquier, Catulle Mendès, Paul Arène, Armand Silvestre, Théodore de Banville, und vorübergehend auch die. besten Stilisten unter den Romanciers, Ferdinand Fabre, Barbey d'Aurevilly, Villiers de l'Isle-Adam, de Maupassant, zu seinen Mitarbeitern zählte. Nur geht er in der Pflege der leicht geschürzten Novelle nach dem Vorbild der Italiener und der Fabliauxdichter beharrlich so weit, daß der "Gil Blas" vom Familientisch ausgeschlossen bleiben muß. Durch das von bisherigen Mitarbeitern des "Gil Blas" jüngst begründete Konkurrenzblatt "L'Écho de Paris" hat jener schließlich mehr gewonnen, als Einbuße erlitten, indem die angeworbenen neuen Kräfte des "Gil Blas" ihm frisches Leben einflößten und das Erotische mehr in den Hintergrund drängten. Henry *Fouquier, der die Charaktermaske "Colombine" nach dem "Écho" zu verpflanzen suchte, wurde durch richterlichen Spruch gezwungen, sie seinem Nachfolger beim "Gil Blas" zu überlassen. Ernest Leblanc, der nun seine formgewandten, muntern, von Esprit übersprudelnden Sonntagschroniken mit dem Namen der Frau Arlecchinos zeichnet, während der Bühnendichter Louis *Davyl, der Verfasser der "Maîtresse légitime", am Dienstag als Arlequin misanthropisch über ein Tagesereignis philosophiert. Die größern Zeitschriften verharren seit Jahren in ihren schon gekennzeichneten Stellungen: Die "Revue des Deux Mondes", unausrottbar, führt den Reigen, die "Nouvelle Revue" folgt hinkend an den Krücken "diplomatischer Enthüllungen", mit denen sie gelegentlich prahlt, die "Revue bleue" ("Revue politique et littéraire") hat durch den Tod ihres Direktors Yung viel verloren, wahrt aber noch ihren Einfluß, ohne Zweifel vermöge der Endgeschwindigkeit, die man nicht an der Materie allein beobachtet. Neben diesen Veröffentlichungen leben die "Revue de famille", die vor zwei Jahren der Leitung des immer geistesfrischen Jules Simon anvertraut wurde, und die bescheidenen "Annales littéraires" sicher und friedlich dahin, während andre ähnliche Unternehmungen, bei deren Gründung mehr Jugendfeuer oder Sekteneifer als Geld mitwirkt, ebenso unbemerkt verschwinden, als sie gekommen sind. Weit mehr der bildenden Kunst als dem Schrifttum gehören die "Revue illustrée" und die "Revue des lettres et des arts" an, welche beide, namentlich aber die letztere, mit großem Luxus ausgestattet sind und ihren Lesern reiche Augenweide in den Zeichnungen geschätzter Künstler zu den Romanen und Novellen beliebter Schriftsteller bieten.

*Frapan, Ilse (ursprünglich Ilse Levien), Schriftstellerin, aus Hamburg gebürtig, widmete sich, nachdem sie einen vorzüglichen Unterricht und die mannigfachen Anregungen eines gebildeten Hauses genossen, in ihrer Vaterstadt dem Lehrerinnenberuf und ließ sich nach größern Reisen in Stuttgart nieder, wo sie litterarisch thätig lebt. Außer lyrischen Gedichten und kritischen Essays in Zeitschriften veröffentlichte sie die vorzüglichen "Hamburger Novellen"