630
Österreich (Kaisertum: Geschichte 1889).
sie nicht als Feinde der Regierung erscheinen, auch für das Gesetz stimmen. Dennoch gelang es ihnen, von dem Landesverteidigungsminister Graf Welsersheimb das Zugeständnis zu erpressen, daß die Kenntnis der deutschen Armeesprache bei den Reserveoffiziersprüfungen aufs äußerste eingeschränkt werden solle. Dennoch stimmten die Jungtschechen gegen das Wehrgesetz, das 18. Dez. mit 182 gegen 23 Stimmen vom Abgeordnetenhaus genehmigt wurde. Auch der Ausschuß des ungarischen Reichstags billigte das Wehrgesetz, im Plenum kam es aber erst im Januar 1889 zur Verhandlung, und hier beutete die Opposition die Bestimmung des Gesetzes über die Armeesprache aus, um die Pester Bevölkerung, besonders die Studenten, aufzureizen und im Januar und Februar tumultuarische, chauvinistische Demonstrationen vor dem Parlament und gegen Tisza zu veranstalten, gegen welche sogar das Militär einschreiten mußte. Schließlich begnügte sich das Unterhaus mit einigen formalen Änderungen und beschwichtigenden Versicherungen der Regierung und nahm das Gesetz an.
Die Enthüllung des prächtigen Denkmals der Kaiserin Maria Theresia in Wien und das vierzigjährige Regierungsjubiläum des Kaisers Franz Joseph I. (2. Dez. 1888) gaben der Bevölkerung Gelegenheit, ihre Anhänglichkeit an die Dynastie in deutlicher, lebhafter Weise zu bekunden; ist sie doch, seitdem die Deutschen und die deutsche Sprache und Kultur systematisch zurückgedrängt werden, fast noch das einzige feste Band, welches das gelockerte Reichsgefüge zusammenhält. Der Kaiser feierte den Tag in stiller Zurückgezogenheit in Miramar und sprach den Wunsch aus, daß sein Ehrentag nur durch Handlungen der Wohlthätigkeit gefeiert werden möchte. Mehr als 16 Mill. wurden in Cisleithanien für Humanitätsanstalten, für wohlthätige Stiftungen und sonstige gemeinnützige Akte gesammelt. Eine um so schmerzlichere Prüfung für den Kaiser und ein schwerer Schlag für die Monarchie selbst war der schreckliche Tod des Kronprinzen Rudolf (30. Jan. 1889). Das furchtbare Ereignis erschütterte die Bevölkerung um so stärker, als anfangs der Versuch gemacht wurde, den wahren Sachverhalt zu verbergen, und, nachdem der Selbstmord des Kronprinzen eingestanden worden, doch Gerüchte umliefen und nicht verstummen wollten, daß sich das Ereignis noch ganz anders zugetragen habe. Über das nunmehr eintretende Thronfolgerecht des Bruders des Kaisers, Erzherzog Karl Ludwig, und seiner Deszendenz konnte kein Zweifel obwalten, doch mochte die klerikale Gesinnung des Erzherzogs Bedenken einflößen. Nachdem sich die durch die gleichzeitigen Unruhen in Pest gesteigerte Aufregung gelegt hatte, nahm der Reichsrat seine Verhandlungen über das Budget wieder auf. Bei der Beratung des Unterrichtsbudgets drang Prinz Liechtenstein auf Beratung seines Schulantrags, und Minister Gautsch sah sich daher veranlaßt, Anfang Mai 1889 ein Schulgesetz im Reichsrat einzubringen, welches zwar die Klerikalen und die Tschechen nicht befriedigte, aber durch die Bestimmung, daß die Verfügungen über den Religionsunterricht, auch die Festsetzung der Stundenzahl durch die kirchlichen Behörden zu treffen seien, wo klerikale Privatschulen dem Bedürfnis genügten, die Errichtung öffentlicher Schulen unterbleiben könne, und die Landtage eigne Gesetze über die Befreiung von den Schullasten machen könnten, der Regierung die Möglichkeit gewährte, auf dem Verordnungsweg das liberale Schulgesetz von 1868 allmählich abzubrechen und ihre klerikalen und slawischen Anhänger durch Zugeständnisse in der [^<spaltenwechsel/>]Schulfrage für andre Wünsche sich geneigt zu machen. Übrigens war die Regierung ganz damit zufrieden, daß der Reichsrat geschlossen wurde, ehe ihr Schulgesetz zur Beratung gelangte. Um so mehr behielt sie für alle Transaktionen freie Hand. Die deutsche Linke erklärte sich aufs entschiedenste gegen Gautsch' »Schulverschandelungen«. So ehrenwert dies Beharren bei den liberalen Anschauungen war, welche das deutsche Bürgertum in Ö. seit Josephs II. Zeiten hochgehalten hatte, so schädigte es doch die nationalen Bestrebungen der deutschen Partei, weil es ihr den Bauernstand entfremdete, der einmal, durch seine ökonomische Lage bedrängt, nach Erleichterung der Schullasten seufzte. Auch war es der deutschen Opposition nicht von Nutzen, daß die mächtige jüdische Finanzwelt und die verderbte jüdische Presse äußerlich zu ihr hielten. Die Erbitterung über die rücksichtslose Ausbeutung der Macht des Kapitals war in der niedern Bevölkerung so hoch gestiegen, daß es Ostern 1889 in Wien aus Anlaß eines Ausstandes der Pferdebahnkutscher zu Straßenunruhen kam und die Liberalen bei den Gemeinderatswahlen empfindliche Niederlagen durch die Antisemiten erlitten. Die Ultramontanen versäumten nicht, sich das zu nutze zu machen, um ihre Anhängerschaft zu vermehren, und der Katholikentag, der im Mai in Wien versammelt war, erklärte sich außer für die weltliche Herrschaft des Papstes hauptsächlich für die Befreiung des Volkes von der Judenherrschaft.
Die auswärtige Lage Österreich-Ungarns wurde durch die Vorgänge auf der Balkanhalbinsel wesentlich beeinflußt. Hatte die Vollendung der Bahn nach Saloniki dem österreichischen Handel 1888 einen wichtigen Weg eröffnet und der Besuch des kronprinzlichen Paars in Bosnien die vortrefflichen Wirkungen der österreichischen Verwaltung und die Zufriedenheit der Bevölkerung mit den neuen Verhältnissen gezeigt, so schien der Sturz des Ministeriums Bratianu in Rumänien und seine Ersetzung durch Minister aus der russenfreundlichen Bojarenpartei das gute Verhältnis zu diesem Nachbarstaat stören zu sollen. Noch empfindlicher wurde Ö. berührt durch die Vorgänge in Serbien 1889. Die Abdankung des Königs Milan, welche man von Wien aus vergeblich zu hindern suchte, und das Emporkommen der radikalen Partei entfesselten in Serbien auf einmal die lange durch die Rücksicht auf Ö. zurückgedrängten großserbischen Gelüste. Rußland beeilte sich, sie zu nähren und zu steigern, indem es den Fürsten von Montenegro als seinen Kandidaten für den großserbischen Thron, dem außer Serbien und Montenegro auch Bosnien, die Herzegowina und das ungarische Serbien Unterthan sein sollten, bezeichnete. Der Kaiser nahm daher Gelegenheit, in seiner Antwort auf die Ansprache des Präsidenten der ungarischen Delegation in Wien 23. Juni 1889 eine Warnung nach Belgrad zu richten: »Der bedauerliche Entschluß des Königs Milan von Serbien, dem Thron zu entsagen, hat während der Minorennität des Königs Alexander die Macht in die Hände einer Regentschaft gelegt, von welcher Uns in förmlichster Weise die Versicherung gegeben wurde, die bisherigen freundschaftlichen Beziehungen zu Ö.-Ungarn fortsetzen und pflegen zu wollen. Von wohlwollenden Gefühlen für das benachbarte Königreich erfüllt, wünsche Ich dieses auch Meinerseits und hoffe, daß die Klugheit und der Patriotismus der Serben das Land vor ernsten Gefahren bewahren werden.« Einen Wink nach Rußland hin enthielten die folgenden Worte: »In Bulgarien herrscht Ordnung, Ruhe, und es ist