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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Explosivstoffe

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Explosivstoffe (Theorie).

per benutzt, wie das Diazobenzol und das Stickstoffsulfid, Körper, die, da sie unter Wärmeabsorption aus ihren Elementen entstanden, einen Vorrat von Energie enthalten, der bei ihrer plötzlichen Zersetzung frei werden kann.

Erst nachdem die neuen E. entdeckt waren, gelang es allmählich, an Stelle des bisherigen empirischen Herumprobierens eine auf die allgemeinen Prinzipien der Chemie und Thermochemie gegründete exakte Theorie der E. zu setzen, eine Theorie, die die Kraft der explosiven Substanzen ableitet allein aus der Kenntnis ihrer chemischen Reaktionen.

Die Anwendung der E. gründet sich auf den Druck und die Arbeit, die sie entwickeln. Der Druck hängt hauptsächlich ab von der Natur der gebildeten Gase, von ihrem Volumen und ihrer Temperatur, die Arbeit hauptsächlich von der entbundenen Wärme, die ein Maß für die entwickelte Energie ist. Mit andern Worten, das Arbeitsmaximum, welches eine explosive Substanz leisten kann, ist proportional der durch ihre Zersetzung entwickelten Wärmemenge. Bezeichnet. A diese Wärmemenge, ausgedrückt in Kalorien, so ist die entsprechende Arbeit, in Kilogrammetern ausgedrückt = 425 A, nach dem mechanischen Wärmeäquivalent. Diese Zahl drückt die potenzielle Energie der explosiven Substanz aus; sie wird in der Praxis natürlich niemals erreicht, aber man muß sie kennen als die einzige absolute Vergleichungsgrenze. Die thatsächliche Umwandlung dieser Energie in Arbeit ist abhängig von dem Volumen der Gase und dem Gesetz der Expansion. Diese Umwandlung ist immer unvollständig, ja nur ein Teil derselben wird ausgenutzt. Bei den Waffen z. B. ist die Arbeit, die dem Geschoß seine lebendige Kraft verleiht, allein von Nutzen, während die auf Kosten der Waffe sowie zur Fortschleuderung der Gase und der Luft aufgewandte Arbeit verloren ist. Außerdem bleibt ein beträchtlicher Bruchteil der Energie ungenutzt unter der Form von in den Gasen aufgespeicherter oder dem Geschoß, der Waffe etc. mitgeteilter Wärme.

Entsprechend den verschiedenen Arbeiten, die mittels der explosiven Substanzen geleistet werden sollen, verwendet man Pulver, deren Kraftentwickelung eine verschiedene ist. Die Kraft der E. gibt sich aber kund durch den Druck, welche dieselben ausüben, und die Arbeit, die sie leisten. Der Druck resultiert von dem Volumen, welches die Gase bei der Explosionstemperatur einnehmen, die Arbeit von der Wärmemenge, die entbunden wurde, und die Verteilung dieser auf die E. und die diese umgebenden Massen hängt von der Geschwindigkeit ab, mit der die Gase sich entwickeln. Diese fundamentalen Bedingungen, Gasvolumen und Wärme, sind die Folgen der chemischen Reaktion. Jede Reaktion, die Gase entbindet oder das Volumen eines bereits vorhandenen Gases vergrößert, kann eine Explosion veranlassen. Zur Bestimmung der Kraft einer explosiven Substanz muß man also ihre chemischen Reaktionen kennen, die von ihr entwickelte Warme und das Gasvolumen sowie die Geschwindigkeit der Reaktion.

Die chemische Reaktion ist bekannt, wenn die chemische Zusammensetzung der explosiven Substanz sowie die Zusammensetzung der Explosionsprodukte bekannt ist, da aber die letztere infolge des Temperaturwechsels, der während des Explosionsvorganges sich vollzieht, sich ändern kann, so muß auch die Dissociation in Rechnung gezogen werden.

Die chemische Zusammensetzung einer explosiven Substanz bestimmt ihre Eigenschaften. Bald besteht dieselbe aus einem Gemisch verschiedener Substanzen, die durch ihre gegenseitigen Wirkungen die Explosion hervorrufen. In diesem Falle mischt man möglichst innig brennbare Substanzen, wie Schwefel und Kohle, mit sauerstoffreichen, die Verbrennung bewirkenden Substanzen, wie Kaliumnitrat oder Kaliumchlorat. Bald erfolgt die Explosion durch die Zersetzung eines Körpers von bestimmter Zusammensetzung, wie Schießbaumwolle, Nitroglycerin, Kaliumpikrat, Knallquecksilber u. a. m. Bei diesen Körpern finden sich im allgemeinen die verbrennenden und verbrennlichen Elemente vereinigt und gewissermaßen im Innern des Moleküls nebeneinander gelagert, so daß eine Art innerer Verbrennung erfolgen kann und infolge hiervon eine viel energischere und viel schnellere Aktion eintritt als bei mechanischen Gemengen. Die explosive Substanz kann entweder allein Verwendung finden, oder im Gemisch mit einem trägen Körper, welcher die Heftigkeit der Explosion abzuschwächen, d. h. einen brisanten Explosivstoff in einen einfach treibenden oder dislozierenden zu verwandeln, bestimmt ist. Dies ist z. B. beim gewöhnlichen Dynamit, dem Gemisch aus Nitroglycerin und Kieselgur, oder der nassen sowie paraffinierten Schießbaumwolle der Fall. Umgekehrt kann man die explosive Substanz mit einer ähnlichen mischen, um ihre Wirkung zu verstärken, wie bei den Dynamiten mit aktiver Basis (Nitroglycerin und Schießbaumwolle). Dem entsprechend kann eine vollständige Verbrennung bei der Explosion erfolgen, z. B. beim Silberoxalat, das in Kohlensäure und metallisches Silber zerfällt; oder es fehlt an Sauerstoff, wie beim Kaliumpikrat und der Schießbaumwolle, oder endlich Sauerstoff ist im Überschuß vorhanden, wie beim Nitroglycerin. In letzterm Falle kann man die gesamte Energie der explosiven Substanz ausnutzen, wenn man ihr einen verbrennlichen Körper in geeigneter Menge beimischt, wie Kohle oder noch besser Schießwollpulver. Fehlt der explosiven Substanz Sauerstoff, so kann ihr ein sauerstoffreicher Körper, wie Kaliumchlorat oder Kaliumnitrat, beigemischt werden.

Die Zusammensetzung der Explosionsprodukte einer explosiven Substanz ist im voraus bekannt, wenn dieselbe genug Sauerstoff enthält, um ihre Elemente in beständige Verbindungen umzuwandeln und auf den höchsten Grad der Oxydation zu bringen, was z. B. beim Nitroglycerin der Fall ist. Genügt der Sauerstoff zu einer vollständigen Oxydation nicht, so variieren gewöhnlich die gebildeten Zersetzungsprodukte mit den Explosionsbedingungen, d. h. mit der Temperatur, dem Druck etc. Dies ist z. B. der Fall beim gewöhnlichen Schießpulver, der Schießbaumwolle und dem Kaliumpikrat, dann muß für jeden speziellen Fall durch besondere Analyse die Zusammensetzung der Explosionsprodukte ermittelt werden. Daß dieselbe explosive Substanz sich in sehr verschiedener Weise zersetzen kann, das hängt ab von der relativen Geschwindigkeit, mit der die Zersetzung erfolgt, und von der Temperatur, bei der dieselbe sich vollzieht. Außer den Zersetzungsprodukten, die nach erfolgter Abkühlung auftreten, müssen auch noch die Zersetzungsprodukte untersucht werden, die entstehen während der Dauer der Explosion und im Augenblick, bei welchem die explosive Substanz die höchste Temperatur erreicht hat, d. h. es muß die Dissociation berücksichtigt werden.

Die gesamte Wärmemenge, die während einer explosiven Reaktion entwickelt wird, kann auf experimentellem Wege in einem Kalorimeter gemessen werden. Sie kann berechnet werden, wenn man von den mechanischen Wirkungen absieht, immer dann, wenn