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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Französische Litteratur

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Französische Litteratur (Kritik, Memoiren etc.).

Kritik. Memoiren. Briefwechsel.

Armand de Pontmartin, der Doyen der Kritiker, starb im Laufe des Jahres, aber er hatte die Gewohnheit, die »Gazette de France«, wo er unter dem Striche das Zepter schwang, so reichlich mit Vorräten zu versehen, daß sie noch drei Monate nach seinem Tode seine Bücherbesprechungen fortsetzen konnte, worauf erst die lange Reihe der »Souvenirs d'un vieux critique« durch den letzten (10.) Band abgeschlossen wurde. Nicht so Francisque Sarcey, der »roi des critiques«, welcher kein dramatisches und kein litterarisches Ereignis vorübergehen läßt, ohne es in einem seiner Blätter, »Temps«, »Parti national«, »XIX. Siècle«, »France«, »Annales littéraires«, und manchmal in zwei oder drei zugleich eingehend zu besprechen, aber der Ansicht huldigt, was unter einem augenblicklichen Eindruck für ein Eintagsblatt geschrieben wurde, dürfe nicht in die Buchform gebannt werden. Wenn diese Auffassung weitere Verbreitung fände, so würden zahlreiche, regelmäßig wiederkehrende Beiträge zur und über die Jahreslitteratur unterbleiben, wie die »Histoire et littérature« von Brunetière, dem Kritiker der »Revue des Deux Mondes«, die »Vie littéraire« von Anatole France (Wochenübersicht im »Temps«), die »Année littéraire« von Paul Ginisty (5. Jahrgang), die »Annales du théâtre et de la musique« von Edouard Noël und Edmond Stoullig (15. Jahrgang mit einer Vorrede von Henri Meilhac), ferner »L'Année politique« von André Daniel (17. Jahrgang) u. a. m. Daneben beschäftigen sich Jules Lemaître, Bertin und Paul Desjardins im »Journal des Débats«, Paul Perret in der »Liberté«, Judith Gautier im »Rappel«, Charles Bigot im »Siècle«, Canivet (Jean de Nivelle) im »Soleil«, Jean Lorrain im »Événement« mit der Tageslitteratur, während der Marquis de Vogüé, der seine Abhandlungen über die neuesten Zeitereignisse unter dem Titel: »Spectacles contemporains« veröffentlicht, die modernen russischen Schriftsteller, Paul Stapfer die Engländer in Frankreich heimisch zu machen sucht, zur Abwechselung aber auch aus »Rabelais, sa personne, son genre et son œuvre« überspringt. Ein schönes biographisches Denkmal setzte der Akademiker Octave Gréard seinem verstorbenen Freunde Edmond Schérer, dem vortrefflichen Kritiker, und ein nicht minder vollendetes Maxime du Camp dem Dichter und Sprachkünstler Théophile Gautier in der Sammlung: »Les grands écrivains français«. In »Figures littéraires« sind einige gelungene Charakterzeichnungen des jungen Abgeordneten Paul Deschanel vereinigt, in »Les artistes littéraires« von Maurice Spronck Schattenrisse von Schriftstellern, denen die Form über den Inhalt zu gehen pflegt. Henri Houssaye verjüngt die Zauberinnen »Aspasie, Cléopâtre, Théodora« durch ein bekanntes Verfahren, bei dem eine rege Phantasie mehr beteiligt ist als die Gelehrsamkeit. Hier ist neben den in Form und Inhalt mit Rabelais verwandten »Truandailles« von Richepin auch noch »Le rire de Caliban« einzuschalten, eine Sammlung von philosophisch-humoristischen Abhandlungen, in denen Emile Bergerat als der Caliban des »Figaro« seine Eindrücke und Beobachtungen auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens wie in seiner häuslichen und künstlerischen Umgebung mit Witz erzählt, solange er nicht auf seine eignen Mißhelligkeiten mit den Theaterdirektoren zu sprechen kommt. »Fleurs d'hiver - Fruits d'hiver« nennt der greise Akademiker Ernest Legouvé den neuesten Band der Denkwürdigkeiten aus seinem Leben, »Toute une jeunesse« ein andrer Akademiker, François Coppée, die seinigen, während Pierre Loti der Königin von Rumänien im »Roman d'un enfant« ein Gemisch von Wahrheit und Dichtung über seine Kindheit widmet. Mitten in die grausame Wirklichkeit des belagerten und dann noch von der Kommune heimgesuchten Paris versetzt Edmond de Goncourt den Leser mit der zweiten Serie des »Journal des Goncourt«, die bis zu Ende des Jahres 1871 reicht. Zwischenhinein hatte der Verfasser den schon erschienenen »Schauspielerinnen des 18. Jahrhunderts« (»Sophie Arnould« und »Mme. Saint-Huberty«) die dritte beigefügt: »Mademoiselle Clairon, d'après ses correspondances et les rapports de police du temps«. Fünf andre sollen die Sammlung vervollständigen: Mlle. Lecouvreur, Camargo, La Guimard, Mlle. Contat, Mme. Favart. Ein Maler, welcher zugleich ein Dichter ist, Jules Breton, hat in der »Vie d'un artiste. Art et nature« seine Künstlerlaufbahn gezeichnet und es dem Bande an einer kunstvollen Ausstattung nicht fehlen lassen. Minder anziehend, aber nichtsdestoweniger lehrreich ist die mit Dokumenten versehene Musikerbiographie: »Charles Gounod et ses œuvres« von Pagnerre. Bis in die Tage der französischen Revolution zurück führt: »Journal d'un étudiant pendant la Révolution« (1789-93) von Gaston Maugras. Der Student ist der Sohn eines reichen Reeders in Bordeaux und berichtet mit jugendlicher Frische über seine Eindrücke und Erlebnisse im Gegensatz zu dem ängstlichen Schreiber eines andern Tagebuchs aus jener Zeit: »Journal d'un bourgeois de Paris pendant la Révolution« (hrsg. von H. Monin). Die Rousseau-Litteratur wurde durch eine höchst wertvolle, den Hauptpersonen keineswegs schmeichelnde Arbeit bereichert: »Madame de Warens et J. J. Rousseau; étude historique et critique« von François Mugnier, Rat am Appellhof zu Chambéry, welcher in dieser Eigenschaft eine Menge amtlicher Dokumente zu seiner Verfügung hatte, und die Stendhal-Litteratur ihrerseits, abermals durch die Fürsorge des Enthusiasten Casimir Stryienski, um einen neuen Band: »Vie de Henri Brulard«, unter welchem Titel der Verfasser der »Chartreuse de Parme« sein Leben für die Leser von 1880 zu schreiben unternommen hatte, es aber nicht über die Jugendzeit, 1798-1800, hinausbrachte. Erwähnenswert ist eine neue, verbesserte und durch 150 Briefe vermehrte französische Ausgabe des bekannten Briefwechsels der Herzogin von Orléans (Elisabeth Charlotte von der Pfalz), Mutter des Regenten.

Geschichtschreibung. Reisebilder.

In dem 3. Bande der »Histoire du peuple d'Israël« behandelt Ernest Renan die Epoche zwischen der Zerstörung Samarias und der Heimkehr der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft. »L'avenir de la science« ist eine Sammlung von Aufsätzen aus der Zeit, da der spätere Verfasser der »Vie de Jésus« den Kampf mit seinem Gewissen angefochten, das Priesterseminar St.-Sulpice verlassen hatte und sich selbst über seine Stellung zur Wissenschaft, seinen Glauben an sie und ihre Wohlthaten klare Rechenschaft ablegen wollte. Wegen Anwandlungen ähnlicher Art war der Pater Didon vor einigen Jahren gemaßregelt und von seinen Obern nach Corsica verbannt worden, wo er sich unterwarf und die Erlaubnis zu einem Studienaufenthalt in Deutschland erhielt. Der Dominikaner wollte sich die deutsche Sprache gründlich aneignen, um theologische Quel-^[folgende Seite]