Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Großbritannien

384

Großbritannien (Geschichte).

daß Davitt und einige andre die Landliga zu diesem Zwecke organisiert hätten. Alle Angeklagten hätten aber einer Verschwörung angehört, welche es darauf abgesehen hätte, die Großgrundbesitzer durch Gewaltmittel und Terrorismus zu schädigen und aus dem Lande zu treiben. Die Dubliner Mordthaten hätten die Angeklagten mißbilligt, und die angeblichen Briefe Parnells seien als gefälscht anzuerkennen. Aber das System des Terrorismus hätten die Angeklagten nicht verurteilt, sondern auf demselben bestanden, obwohl sie wissen mußten, daß dadurch Verbrechen hervorgerufen wurden. Nicht erwiesen sei, daß die Angeklagten mit bekannten Verbrechern oder den Invincibles in Verbindung gestanden hätten, erwiesen aber, daß sie Unterstützungen auch von Revolutionären angenommen hätten. Daß gerade die wichtigsten Anklagen gegen die Parnelliten zu Boden gefallen waren, ergab sich danach klar; und die Regierung hatte denn auch nicht die Absicht, an den verklausulierten Bericht irgend eine weitere Aktion zu knüpfen, sondern begnügte sich mit dem Antrag, die Eintragung desselben in die Bücher des Hauses anzuordnen und den Richtern für ihr unparteiisches Verfahren den Dank des Parlaments auszusprechen, wogegen die Opposition den Gegenantrag stellte, das Haus möge ausdrücklich ein Verdammungsurteil über die gegen Parnell und Genossen auf Grund falscher und verleumderischer Angaben erhobenen Anklagen aussprechen und sein Bedauern über das den Angeklagten durch diese Bosheit zugefügte Unrecht zu erkennen geben. Mit heftigen Debatten über diese Angelegenheit und über die Adresse auf die Thronrede wurden hauptsächlich die ersten Wochen der Session ausgefüllt; in dieselben hinein fiel 4. März ein neuer, bedeutungsvoller Wahlsieg der Opposition in dem bisher konservativ vertretenen Londoner Wahlkreis von St. Pancras. In der Adreßdebatte wurde 18. Febr. das übliche Tadelsvotum Parnells über die irische Politik der Regierung mit 307 gegen 240 Stimmen, zwei Tage darauf ein liberaler Antrag auf Gewährung von Homerule für Schottland mit 181 gegen 141 Stimmen abgelehnt; in der Debatte über die Parnellkommission machte es großen Eindruck, daß Lord R. Churchill in einer heftigen Rede seine vollständige Mißbilligung der Politik der Regierung aussprach, aber der Sieg blieb der letztern auch hier; 10. März wurde der Gegenantrag Gladstones mit 339 gegen 268 Stimmen abgelehnt, 11. März derjenige der Regierung angenommen; 21. März ging der letztere auch im Oberhaus durch. Jetzt erst war Raum für die Landankaufs-Vorlage der Regierung gewonnen; nachdem 20. März Lord Salisbury eine Versammlung der konservativen Partei im Carltonklub abgehalten und dieselbe in nachdrücklichen Worten zur Eintracht ermahnt hatte, wurde die Bill 24. März eingebracht und zum erstenmal gelesen. Unleugbar war es eine höchst umfassende und durchgreifende Maßregel, welche dadurch in Aussicht genommen wurde. Zum Behuf der Förderung des Güterkaufs durch die irischen Pachter sollte unter Aufhebung aller früher in dieser Beziehung getroffenen Bestimmungen ein Garantiefonds von nicht weniger als 33 Mill. Pfd. Sterl. geschaffen werden. Der Kaufpreis für Landgüter sollte auf den 20fachen Betrag des Reinertrags der Pacht festgesetzt werden; eine Regierungsbehörde sollte den Kaufpreis vorschießen, die Käufer sollten jährlich 4 Proz. dieses Preises an Zinsen, Amortisationsquote und Beitrag zu dem Garantiefonds zahlen und, wenn sie diesen Betrag von 4 Proz. des Kaufpreises 49 Jahre lang entrichtet hätten, freie Eigentümer werden. Die Verkäufer sollten den Kaufpreis in Staatspapieren erhalten, welche mit 2¾ Proz. verzinslich wären. Der Antrag kam den Wünschen und Bedürfnissen der Irländer so weit entgegen, daß selbst unter den Anhängern der Regierung viele Grundbesitzer nur zögernd und nicht ohne Bedenken für denselben eintraten; nichtsdestoweniger wurde er von Parnell und seiner Partei, der im Interesse seiner Homerule-Pläne die Schaffung eines ruhigen und zufriedenen Bauernstandes in Irland durch die englische Regierung nicht wünschen konnte, heftig bekämpft, und Gladstone und die Seinen schlossen sich in diesem Widerstand ihren irischen Freunden aufs entschiedenste an. Trotzdem wurde natürlich die zweite Lesung der Regierungsvorlage 1. Mai mit 348 gegen 268 Stimmen beschlossen; nun aber begann die Einzelberatung, bei der die Opposition mit größter Rücksichtslosigkeit von ihrer Verschleppungstaktik Gebrauch machen konnte.

Inzwischen waren der Regierung auch auf einem andern Gebiet, auf dem sie eigentlich die größten Erfolge hätte erwarten können, ernste parlamentarische Schwierigkeiten erwachsen. Die Finanzlage Großbritanniens war unter der geschickten Verwaltung Göschens eine glänzende. Obwohl in den letzten drei Jahren eine Summe von etwa 23 Mill. Pfd. Sterl. auf Schuldentilgung hatte verwandt werden können, ergab der Rechnungsabschluß für das 1. April 1890 ablaufende Finanzjahr einen Überschuß der Einnahmen über die Ausgaben von rund 3,150,000 Pfd. Sterl.; und für das Finanzjahr 1890/91 berechnete der Voranschlag des Budgets, den der Schatzkanzler 17. April dem Unterhaus vorlegte, die Ausgaben auf rund 86,900,000, die Einnahmen auf rund 90,500,000 Pfd. Sterl., so daß sich ein Überschuß von mehr als 3,500,000 Pfd. Sterl. herausstellte. So konnte Göschen nicht nur eine Ermäßigung einiger Einfuhrzölle (namentlich des Theezolles um 2 Pence für das Pfund), sondern auch die lange ersehnte Herabsetzung des Portos für Briefe nach Indien und den Kolonien zugestehen. Weiter beantragte er, die den lokalen Grafschaftsbehörden zu überweisenden Einnahmen um 1,300,000 Pfd. Sterl. zu erhöhen und die Mittel dafür unter andern durch eine Erhöhung der Abgabe auf Sprit um 6 Pence für die Gallone aufzubringen. Damit in Verbindung standen dann Vorschläge für die Regelung des Konzessionswesens der Schankwirtschaften, die im wesentlichen darauf hinausliefen, einerseits die Zahl der Schankkonzessionen erheblich zu vermindern, anderseits aber die Wirte, denen infolgedessen die Erneuerung ihrer Konzessionen verweigert werden mußte, aus Staatsmitteln zu entschädigen. Diese letztern Vorschläge stießen nun aber auf den allerheftigsten Widerstand. Die in England und Schottland so einflußreiche Temperanz- (Mäßigkeits-) Partei, zu deren Organ sich vor allen die Gladstonianer machten, die aber auch innerhalb der konservativen Partei viele Anhänger zählte, war zwar mit der Verminderung der Zahl der Schankwirtschaften ganz einverstanden, wollte aber von einer Entschädigung der dadurch betroffenen Wirte durchaus nichts wissen. Indem nun die Opposition nicht nur die Landankaufs- und die Schankwirtschaftsbill aufs lebhafteste bekämpfte, setzte sie zugleich bei der Budgetberatung ihre Obstruktionstaktik so erfolgreich fort (in einer Sitzung des Hauses, die von 3 Uhr nachmittags am 19. Mai bis 4 Uhr morgens am 20. Mai dauerte, wurden z. B. nur zwei unbedeutende Positionen des Staatshaushaltsetats angenommen), daß die parlamentarische Geschäftslage eine höchst unerfreuliche wurde. Im