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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Naturforscherversammlung

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Naturforscherversammlung (Bremen 1890).

lagen zu einem tiefern Eingehen auf dieselbe mangelt. Indessen lassen sich doch Vermutungen äußern, die auf eine mögliche Lösung hinweisen. Erwägt man, daß die Wärme nicht allein den Zerfall chemischer Verbindungen, sondern auch den von Elementarmolekülen herbeiführt, so muß man sie als eins der kräftigsten analytischen Mittel betrachten, über welches wir freilich in sehr unzureichendem Maße verfügen. Die höchsten Temperaturen, welche wir hervorbringen können, verschwinden gegenüber den auf andern Himmelskörpern herrschenden. Schon die Temperatur der Sonne, welche doch zu den kühlern Fixsternen gerechnet wird, geht über menschliche Vorstellung hinaus. Chemische Verbindungen können sich dort kaum bilden, vielmehr muß dort eine fast schrankenlose Dissociation herrschen. Trotzdem stimmt die Spektralreaktion des Sonnenlichts noch mit derjenigen überein, welche unsre Elemente in unsern Flammen geben. Dagegen zeigen die Spektren heißerer Fixsterne eine auffallende Vereinfachung. Da man z. B. auf dem Sirius nur Wasserstoff, Natrium Magnesium, Eisen entdeckt hat, während Nebelflecke, sogar ein aus nur wenigen Linien bestehendes, auf das Vorhandensein von Wasserstoff, Stickstoff und einem noch unbekannten Körper hindeutendes Spektrum geben. Hieraus darf man vielleicht schließen, daß die Elemente aus noch einfacherer Materie hervorgegangen sind, daß zwischen ihren Eigenschaften und dem Alter der Erde eine gewisse Beziehung besteht, daß vielleicht die Neubildung sogen. Elemente in dem Maße vorwärts schreitet, als unser Planet weiterer Abkühlung anheimfällt. Für eine solche Möglichkeit sprechen das so ungleiche Mengenverhältnis, in welchem die uns bekannten Elemente auf der Erde vorkommen, das Fehlen mancher derselben in den Meteoriten, die merkwürdigen Aufschlüsse, welche das Gesetz der Periodizität ergeben hat, endlich die große Zahl unsrer Elemente selbst. Solche Vielfältigkeit des Stoffes steht nicht im Einklang mit der Einheit der Kraft und der aus dieser zu folgernden Universalität der Schöpfung. Sie führt zu der Annahme, daß die Elemente nicht von Anbeginn vorhanden gewesen, sondern daß sie Umwandlungsprodukte sind, hervorgegangen aus der im allmählichen Fortschreiten begriffenen Verdichtung eines uns unbekannten Urstoffes. Ist nun dieser Urstoff völlig beim Aufbau des Weltgebäudes verbraucht oder ist er noch vorhanden? Auf diesem Gebiet ist größte Vorsicht geboten. Aus der Verschiedenheit des Entwickelungszustandes der Gestirne kann geschlossen werden, daß das Weltall noch genug derartigen Urstoff enthält, der fortwährend in Aufarbeitung begriffen ist, dessen Verdichtung zu sogen. Elementen unaufhörlich fortschreitet. Von dem Wesen dieses Urstoffes, von der Art und Weise, wie er in chemisch nachweisbare Substanz übergeht, haben wir keine Ahnung. Vielleicht dürfen wir annehmen, daß der Weltenäther selbst, mit dem wir den gesamten Weltenraum erfüllt denken, und dessen Schwingungen wir Licht und Wärme nennen, dieser geheimnisvolle Urstoff in einer weit über die atomistische hinausgehenden Zerteilung sei, indes bietet der gegenwärtige Stand der Forschung hierfür noch keine gesicherte Unterlage, und einer spätern Zeit muß die Lösung des Rätsels vom Urstoff vorbehalten bleiben.

Warberg (Hamburg) sprach über die Flora des asiatischen Monsungebietes. Nach einer allgemeinen Schilderung der genannten Flora verbreitete sich Redner eingehender über die Pflanzengeschichte jenes Gebietes, über die Möglichkeiten des Auftretens und Verschwindens gewisser Arten und Gattungen. Er legte Wert auf die Beziehungen der Pflanzenwelt zur Tierwelt und zum Menschen, welche nach der erwähnten Seite hin bemerkenswerte Parallelen zeigen. Die Pflanzenbiologie gibt dazu die Anhaltspunkte, namentlich als Biologie der Pflanzengemeinschaft, wie sie der Pflanzengeographie erst die rechte Deutung verleiht. Ein Urwald, eine Savanne, ein Scrub, ja selbst eine Alpenmatte sind keine zusammengewürfelten Pflanzenversammlungen, sondern ganz bestimmte, mehr oder minder beständige, aneinander abgetönte, biologisch-symbiotische Pflanzenassociationen, die ihre eignen Verteidigungsmittel und Verbreitungsbedingungen, ihre eignen Entwickelungsgesetze, dieselbe Vergangenheit und eine gemeinsame Zukunft haben, deren Teile für- und durcheinander leben und allein ohne künstliche Pflege ebenso verkümmern müssen wie eine Biene außerhalb eines Schwarmes. In diesem Sinne sind es also Pflanzenstaaten und Pflanzenvölker. Wie es nun das wichtigste und höchste Ziel der Ethnologie ist, die natürliche Entwickelung der Völkerschaften kennen zu lernen, nicht nur ihre äußere Geschichte, sondern den innern naturgemäßen Gang ihrer Entwickelung selbst, ebenso ist es die höchste Aufgabe der Pflanzengeographie, die natürliche Entwickelung und das innere Wesen dieser Pflanzengemeinschaft zu studieren. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtete Redner das südasiatische Florengebiet im Vergleich mit den ethnologischen Verhältnissen desselben Gebietes. Hinterindien und der Malaiische Archipel sind bewohnt von der großen Völkergruppe der malaiischen Stämme, die, wenn man die Polynesier hinzurechnet, von Neuseeland bis Madagaskar, im Norden bis Südchina und Formosa reichen; vielleicht sind auch in den Singhalesen und Japanern malaiische Beimengungen enthalten; ferner finden sich hier und da zerstreut die Reste dunkelfarbiger Urrassen, die nur in Neuguinea und Australien und, vielleicht etwas vermischt, auf den kleinern melanesischen Inseln eine geschlossene Bevölkerung bilden. Wollten wir nun die malaiischen Stämme der großen alttropischen Flora Südasiens im allgemeinen vergleichen, so würden die schwarzen Stämme den vielfach zersprengten Florenresten früherer Zeiten entsprechen, die ja, wie die Koniferen zeigen, auch gerade besonders auf den abgelegenen malaiischen und melanesischen Inseln eine Zuflucht gefunden haben. An den nordischen Grenzen Südasiens breiten sich große Pflanzengemeinschaften aus, hauptsächlich vertreten durch unsre Waldbäume, die sich im Osten schon unter die Tropenflora Chinas mischen, im Westen nach Indien hineindringen, wie sie wiederum gleichsam als Vorpostenkette Kiefernwälder nach Sumatra, in die Philippinen und in die tiefern Gegenden des Himalaja gesandt haben. Dem entsprechend haben sich nordische Volksstämme in Vorderindien angesiedelt und die Urrassen unterworfen. Die Chinesen vermischten sich mit den Malaien Südchinas und Formosas und dringen jetzt unaufhaltsam nach Hinterindien vor. Was also seit der Kreidezeit in langsamem Zuge von den Florenreichen, also von einer großen Gruppe von Pflanzenstaaten im biologischen Sinne, von unzähligen Gattungen oder Pflanzenstämmen im phylogenetischen Sinne, vollendet wurde, das hat sich beim Menschen, den Varietäten einer einzigen Art, vielmal schneller, aber in gleicher Richtung wiederholt. Dies sieht nicht wie Zufall aus. Der Naturmensch als Einzelwesen hat in seiner Verbreitungsfähigkeit vielfach Ähnlichkeit mit der Pflanze als Art. Kleinere