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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Vereinigte Staaten von Nordamerika

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Vereinigte Staaten von Nordamerika (Geschichte).

Zweifellos ist es Gesetz, argumentieren die Amerikaner, daß der Inhalt der hohen See öffentliches Eigentum ist, aber der Grund für ein solches Gesetz beruhe darauf, daß jener Inhalt, insgemein Fisch genannt, überall existiere und unerschöpflich sei. Es sei aber eine physische Unmöglichkeit, diesen Inhalt zum Privatbesitz zu machen, ebensowenig wie eine Nation, möge sie davon für sich entnehmen, soviel sie will, den Vorrat merklich zu verringern im stande sei. Diese Gründe fanden jedoch keine Anwendung auf die Vliesrobben, und wo der Grund für ein Gesetz aufhöre, da falle auch dieses selbst. Zuletzt führen die Amerikaner den Golf von Manaar an, der den südöstlichen Zipfel Ostindiens von Ceylon scheidet und das Arabische Meer mit dem Meerbusen von Bengalen verbindet. Hier betreibt England seit nahezu einem Jahrhundert seine Perlfischerei und beansprucht die nämlichen Rechte, welche die Vereinigten Staaten beim Beringsmeer geltend machen. Diese Frage, die unter Präsident Cleveland schon einen Krieg als nicht ganz unmöglich erscheinen ließ, wird immer drohender, denn Harrison will, wie es heißt, dem Kongreß demnächst eine Botschaft mit weitern Aktenstücken über den schwebenden Streit zusenden und mitteilen, daß er das Anerbieten Englands endgültig ablehne, wonach einer befreundeten und unparteiischen Macht die Frage zur Begutachtung unterbreitet werden sollte, ob die Beschlagnahme britischer Robbenfänger durch amerikanische Kreuzer in den Jahren 1886, 1887 und 1889 gesetzlich war oder nicht. Zugleich soll der Präsident beabsichtigen, den Kongreß um eine ansehnliche Bewilligung behufs Ausrüstung einer hinreichenden Anzahl von Kreuzern anzugehen, um alle unberechtigten Robbenfänger im Beringsmeer zu kapern und das Gesetz zum Schutze der Robben streng durchzuführen.

Die Zahl der Einwanderer, welche während der mit 31. Okt. 1890 zu Ende gegangenen 10 Monate in den Haupthäfen der Union anlangten, betrug 427,666 gegen 378,140 während desselben Zeitraums im J. 1889; die Mehrzahl kam aus Großbritannien und Irland, Deutschland, Italien, Österreich-Ungarn, Schweden und Norwegen und Rußland in dieser Reihenfolge. Die größte Zunahme in der Einwanderung zeigten Italien und Österreich-Ungarn. Deutschland und die Vereinigten Staaten haben einen Vertrag abgeschlossen, betreffend die Einrichtung schwimmender Postämter auf den Postdampfern behufs Bearbeitung der gesamten Post während der Fahrt. Die neue Einrichtung, welche eine große Verbesserung des Postdienstes darstellt, begann für Deutschland mit 1. April, für Nordamerika mit 15. April 1891 (vgl. Post, S. 733). Der Justizausschuß des Repräsentantenhauses hat über eine Vorlage berichtet, welche die Abänderung des Alien Land Act, des Gesetzes über den Grundbesitz von Ausländern, betrifft. Danach soll sich dasselbe nicht nur auf die einzelnen Fremden, sondern auch auf Geschäftshäuser, Gesellschaften und Korporationen erstrecken, die ganz oder teilweise aus Ausländern bestehen, die Eisenbahngesellschaften ausgenommen. Der Justizausschuß hatte bereits im September 1889 darauf hingewiesen, daß sich das ausländische Kapital, mehr als wünschenswert sei, in immer steigendem Maße des Grundes und Bodens bemächtigt habe. Mehr als 21 Mill. Acres befanden sich damals in den Händen von Fremden, die nicht amerikanische Bürger waren. Durch die vorgeschlagene Änderung des Alien Land Act soll der Bildung des Großgrundbesitzes und des Landlordsystems vorgebeugt werden, die dem Anwachsen und Gedeihen eines unabhängigen Bauernstandes so gefährlich sind. Abgesehen ist es dabei hauptsächlich auf die zahlreichen englischen Syndikate.

Die 20. Okt. 1890 geschlossene erste Tagung des 51. Kongresses war, mit einer einzigen Ausnahme, die längste in der Geschichte der Vereinigten Staaten und zugleich eine der folgenschwersten. Beide Hauser befanden sich in den Händen der republikanischen Partei. Der zum Sprecher des Repräsentantenhauses gewählte Thomas B. Reed (s. d.) aus Maine, ein willens- und thatkräftiger, aber auch herrschsüchtiger und ehrgeiziger Mann, zugleich ein fanatischer Republikaner, richtete zunächst sein Augenmerk auf die Frage der Beschlußfähigkeit, denn die Minorität hatte erklärt, ohne ihren Willen keine gesetzgeberische Arbeit zuzulassen und dieselbe ebenso zu beherrschen, als ob sie in der Mehrheit wäre. Nach der bisherigen Auslegung der Geschäftsordnung war sie dazu allerdings im stande, indem sie bei den Anträgen, deren Annahme sie verhindern wollte, sobald bei der Abstimmung die Namen aufgerufen wurden, schweigend auf ihren Sitzen verharrte. Alsdann stellte sie die Frage der Beschlußfähigkeit des Hauses, und diese mußte jedesmal verneint werden, wenn nicht von der Majorität jedermann auf seinem Platze war, was selbstverständlich nur selten zutraf. Auf diese Weise konnte sie den Gang der Gesetzgebung erfolgreich aufhalten und nur dasjenige zur Beschlußnahme gelangen lassen, was ihr beliebte. Der neue Sprecher führte nun die allgemein im Parlamentsleben übliche Auslegung ein und durch, daß jedes im Hause anwesende Mitglied, auch wenn es sich weigere, beim Namensaufruf zu antworten, bei der Feststellung der Beschlußfähigkeit mitzähle, und brachte dadurch die Majorität zur vollen Geltung. Andre Bestimmungen des Geschäftsordnungsausschusses, dessen Vorsitzender er war, dienten dazu, die an sich schon große willkürliche Macht des Sprechers noch zu steigern, den Rednern der Gegenpartei das Wort abzuschneiden, die öffentliche Einbringung der Bills und Anträge abzuschaffen und ihre Überweisung an die Ausschüsse dem Sprecher anheimzugeben, die Kontrolle der Gesetzgebung aus dem Hause ganz in die Komitees zu verlegen, die so wie so schon samt ihren Vorsitzenden vom Sprecher ernannt werden, etc. Reed und mit ihm die republikanische Partei, die er vollkommen in seine Gewalt gebracht hatte, setzten jetzt alles daran, um sich im festen Besitz der Macht zu erhalten, und der größte Teil der vom Kongreß erlassenen und vom Präsidenten genehmigten Gesetze und Maßnahmen zeugt unverkennbar von diesem Bestreben.

Frei von einseitigem Parteistandpunkt waren ein nationales Bankrottgesetz, das Antilotteriegesetz, welches die Vertreibung der Lose der berüchtigten Louisianalotterie der Bundespost gänzlich entzog, die Fleischbeschaubill, die eine bessere Behandlung der amerikanischen Fleischprodukte im Ausland herbeiführen soll, die Wahl Chicagos für die Weltausstellung im J. 1893 zur 400jährigen Jubelfeier der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus, die Bewilligung von Jahresausschüssen an die Ackerbauschulen der verschiedenen Staaten zur Hebung des landwirtschaftlichen und handwerklichen Unterrichts, die Vermehrung der Bundesflotte um drei Schlachtschiffe, die Erhöhung der Summen für die Küsten- und Hafenbefestigungen, die Nichtigkeitserklärung von Schenkungen unangebauter öffentlicher Ländereien, die an Eisenbahngesellschaften abgegeben worden waren, welche ihre Verpflichtungen nicht erfüllt hatten, im