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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Arbeiterschutzgesetzgebung (das deutsche Arbeiterschutzgesetz vom 1. Juni 1891)

Dünste und Gase sowie der dabei entstehenden Abfälle Sorge zu tragen; ebenso sind diejenigen Vorrichtungen herzustellen, welche zum Schutz gegen gefährliche Berührungen mit Maschinen oder Maschinenteilen oder gegen andre in der Natur der Betriebsstätte oder des Betriebs liegende Gefahren, namentlich auch gegen die Gefahren, welche aus Fabrikbränden erwachsen können, erforderlich sind; endlich sind diejenigen Vorschriften über die Ordnung des Betriebs und das Verhalten der Arbeiter zu erlassen, welche zur Sicherung eines gefahrlosen Betriebs erforderlich sind. Die Gewerbeunternehmer sind ferner verpflichtet, diejenigen Einrichtungen zu treffen und zu unterhalten und diejenigen Vorschriften über das Verhalten im Betrieb zu erlassen, welche erforderlich sind, um die Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Anstandes zu sichern; insbesondere muß, soweit es die Natur des Betriebs zuläßt, bei der Arbeit die Trennung der Geschlechter durchgeführt werden, sofern nicht die Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Anstandes durch die Einrichtung des Betriebs ohnehin gesichert ist; in Anlagen, deren Betrieb es mit sich bringt, daß die Arbeiter sich umkleiden und nach der Arbeit reinigen, müssen ausreichende, nach Geschlechtern getrennte Ankleide- und Waschräume vorhanden sein; die Bedürfnisanstalten müssen so eingerichtet sein, daß sie für die Zahl der Arbeiter ausreichen, daß den Anforderungen der Gesundheitspflege entsprochen wird, und daß ihre Benutzung ohne Verletzung von Sitte und Anstand erfolgen kann. Werden Arbeiter unter 18 Jahren beschäftigt, so müssen bei der Einrichtung der Betriebsstätte und bei der, Regelung des Betriebs diejenigen besondern Rücksichten auf Gesundheit und Sittlichkeit genommen werden, welche durch das Alter dieser Arbeiter geboten sind. Die Polizeibehörden können namentlich auch anordnen, daß den Arbeitern zur Einnahme von Mahlzeiten außerhalb der Arbeitsräume angemessene, in der kalten Jahreszeit geheizte Räume unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden. Aber den bei Erlaß des Gesetzes bereits bestehenden Anlagen gegenüber können, solange nicht eine Erweiterung oder ein Umbau eintritt, nach diesen Normen Anforderungen nur gestellt werden, welche zur Beseitigung erheblicher, das Leben, die Gesundheit oder die Sittlichkeit der Arbeiter gefährdender Mißstände erforderlich oder ohne unverhältnismäßige Aufwendungen ausführbar erscheinen. — Außerdem ist der Bundesrat ermächtigt worden, und das ist eine auch prinzipiell wichtige Neuerung, für solche Gewerbe, in welchen durch übermäßige Dauer der täglichen Arbeitszeit die Gesundheit der Arbeiter gefährdet wird, für alle Arbeiter Dauer, Beginn und Ende der zulässigen täglichen Arbeitszeit und der zu gewährenden Pausen vorzuschreiben und die zur Durchführung dieser Vorschriften erforderlichen Anordnungen zu erlassen. Diese Bestimmung ermöglicht es, in solchen Gewerbszweigen, in welchen es im Interesse der Arbeiter wünschenswert, bez. geboten ist, allgemein eine Maximalarbeitszeit vorzuschreiben; die in der Kommission und im Reichstag gestellten Anträge, nach dem Vorgang der Schweiz und Österreichs allgemein einen gesetzlichen Maximalarbeitstag von 11, bez. 10 Stunden einzuführen, wurden in der Kommission und im Reichstag mit Recht abgelehnt.

3) Obligatorisch ist gemacht für Fabriken und diesen gleichgestellte (§ 154) Betriebe (Hüttenwerke, Zimmerplätze und andre Bauhöfe, Werften, ferner Ziegeleien, über Tage betriebene Brüche und Gruben, welche nicht bloß vorübergehend oder in geringen: Umfang betrieben werden), sofern in ihnen in der Regel mindestens 20 Arbeiter beschäftigt werden, der Erlaß einer Arbeitsordnung, welche die Rechte und Verbindlichkeiten der Arbeiter bestimmt; zugleich ist in zweckmäßiger, allen berechtigten Anforderungen der Arbeiter entsprechender Weise der notwendige und zulässige Inhalt derselben, die Art ihres Erlasses und die Kontrolle durch Behörden, ob die Arbeitsordnung den gesetzlichen Vorschriften entspricht, gesetzlich geregelt worden. Die neuen Bestimmungen, die diesen Gegenstand besser regeln, als es in andern Staaten, welche eine solche Regelung haben (Schweiz, Österreich, Ungarn), geschehen ist, sind im einzelnen folgende: Für jede der betreffenden Unternehmungen ist innerhalb 4 Wochen nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes (1.April 1892) oder nach der Eröffnung des Betriebs eine Arbeitsordnung zu erlassen. Für die einzelnen Abteilungen des Betriebs oder für die einzelnen Gruppen der Arbeiter können besondere Arbeitsordnungen erlassen werden. Der Erlaß erfolgt durch Aushang. Die Arbeitsordnung muß den Zeitpunkt, mit welchem sie in Wirksamkeit treten soll, angeben und von demjenigen, welcher sie erläßt, unter Angabe des Datums unterzeichnet sein. Abänderungen ihres Inhalts können nur durch den Erlaß von Nachträgen oder in der Weise erfolgen, daß an Stelle der bestehenden eine neue Arbeitsordnung erlassen wird. Die Arbeitsordnungen und Nachträge zu denselben treten frühstens 2 Wochen nach ihrem Erlaß in Geltung (§ 134 a). Die Arbeitsordnung muß Bestimmungen enthalten: a) über Anfang und Ende der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit sowie der für die erwachsenen Arbeiter vorgesehenen Pausen; b) über Zeit und Art der Abrechnung und Lohnzahlung; (c) sofern es nicht bei den gesetzlichen Bestimmungen bewenden soll, über die Frist der zulässigen Aufkündigung sowie über die Gründe, aus welchen die Entlassung und der Austritt aus der Arbeit ohne Aufkündigung erfolgen darf; d) sofern Strafen vorgesehen werden, über die Art und Höhe derselben, über die Art ihrer Festsetzung, und, wenn sie in Geld bestehen, über deren Einziehung und über den Zweck, zu welchem sie verwendet werden sollen; e) sofern die Verwirkung von Lohnbeträgen nach Maßgabe der Bestimmung des § 134 (s. unten) durch Arbeitsordnung oder Arbeitsvertrag ausbedungen wird, über die Verwendung der verwirkten Beträge. Strafbestimmungen, welche das Ehrgefühl oder die guten Sitten verletzen, dürfen in die Arbeitsordnung nicht aufgenommen werden; Geldstrafen dürfen die Hälfte des durchschnittlichen Tagesarbeitsverdienstes nicht übersteigen; jedoch können Thätlichkeiten gegen Mitarbeiter, erhebliche Verstöße gegen die guten Sitten sowie gegen die zur Aufrechterhaltung der Ordnung des Betriebs, zur Sicherung eines gefahrlosen Betriebs oder zur Durchführung der Bestimmungen der Gewerbeordnung erlassenen Vorschriften mit Geldstrafen bis zum vollen Betrag des durchschnittlichen Tagesarbeitsverdienstes belegt werden; alle Strafgelder müssen zum Besten der Arbeiter der Fabrik verwendet werden; das Recht des Arbeitgebers, Schadenersatz zu fordern, wird durch diese Bestimmung nicht berührt. Dem Besitzer der Fabrik bleibt überlassen, neben den unter a—e bezeichneten noch weitere die Ordnung des Betriebs und das Verhalten der Arbeiter im Betrieb betreffende Bestimmungen in die Arbeitsordnung aufzunehmen.