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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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China (Kulturfortschritte, Pöbelaufstände 1891)

Nintschiang-Kirun, deren Kosten auf 150 Mill. Mk. veranschlagt werden. Am 31. Dez. 1890 fand die Eröffnung der Strecke Kaiping-Sinsi, etwa 3 deutsche Meilen in der Verlängerung über Kaiping hinaus, statt, und Anfang 1891 der Linie Kelung-Taipefuh auf der Insel Formosa, 7-8 deutsche Meilen lang. Die Tientsin-Bahn wird rüstig weiter gebaut: bis Schanghai-Kwang, dem Ende der großen Mauer, am Golf von Petschili, sind die Ausmessungsarbeiten bereits beendet und ist mit dem Bau von Brücken angefangen worden; man hofft bis Mitte oder Ende 1892 die Strecke fertigstellen zu können. Über Schanghai-Kwang hinaus wird die Fortsetzung bis Mokauging bei Niutschuang erfolgen, so daß also letzterer Ort in direkte Verbindung mit Peking kommen wird. Es ist somit zu erwarten, daß der Bau von Bahnen zwar langsam, aber beständig fortschreiten wird. Ein treibender Faktor wird dabei vor allem das transsibirische Eisenbahnunternehmen Rußlands und die nach Vollendung desselben von seiten des mächtigen Nachbars fortwährend drohende Invasionsgefahr sein.

Mit dem Telegraphen haben sich die Chinesen schneller ausgesöhnt. Seit dem Bau der ersten Linie Schanghai-Tientsin 1881 hat sich das Telegraphennetz über das ganze Reich ausgedehnt. 1890 messen die Linien mehr als 3000 deutsche Meilen, und zwar erstreckt sich das Netz von Helampo an der russischen Grenze bis zum Süden der Insel Hainan (50-18° nördl. Br.) und von Tingyneh an der Burmah-Jünnan-Grenze bis nach Ninguta Khoton in der Mandschurei (98-130° östl. L.). Andre, zum Teil sehr lange Strecken sind im Bau begriffen. Mitte 1890 zählte man etwa 160 Telegraphenstationen, darunter alle Vertragshäfen, mit Ausnahme von Wentschou. Die Linien sind teilweise kaiserlich, teilweise Eigentum von Privatgesellschaften. Allgemeinen Widerspruch unter der östlichen Handelswelt rief die Ende 1889 in Tschifu unterzeichnete chinesisch-dänisch-russische Telegraphenkonvention hervor, welche die Rate von 2 Doll. pro Wort auch nach Fertigstellung der Telegraphenlinie Peking-Kiachta aufrecht erhalten und ein 14jähriges Monopol schaffen wollte, wonach der Preis der Depeschen für Rußland sich bedeutend geringer stellte als für die übrigen Länder und der Handel erstern Landes einseitig auf Kosten der andern begünstigt wurde. Bei Gelegenheit des Weltpostkongresses in Wien im Mai 1891 wurde auch C. zur Teilnahme aufgefordert, und man erwartete, daß es sich dem Weltpostverein anschließen würde.

Doch schlug C. die Einladung ab, und es bleibt daher vorläufig noch beim alten.

Am 12. Dez. 1890 erschien ein kaiserliches Edikt, das eine neue Ära für den Verkehr des Hofes von Peking mit den Vertretern der ausländischen Mächte herbeizuführen schien. Schon längst hatten letztere darauf gedrungen, vom Kaiser in gebührender Weise in Audienz empfangen zu werden, doch hatten seit der letzten, 1873 für die Europäer unter ziemlich demütigenden Bedingungen stattfindenden Audienz die Verhandlungen zu keinem Resultat geführt. Obiges Edikt des jugendlichen Kaisers Kwang-sü, der bekanntlich im April 1889 mündig wurde und die Zügel der Regierung übernahm, ordnete den jährlichen Empfang der Repräsentanten der Vertragsmächte an. Das Tsunglijamen (Auswärtige Amt) bestimmte nun, daß der Empfang nicht im kaiserlichen Palast selbst, sondern wie 1873 außerhalb desselben im Tsekwangko (»Halle der Purpurhelle«) stattfinden sollte, welche Halle eigentlich für den Empfang der

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Gesandten der tributpflichtigen Vasallenstaaten bestimmt war. Auf den Protest des diplomatischen Korps ging das Tsunglijamen nicht ein, und um die ganze Frage nicht wieder bis auf unbestimmte Zeit zu vertagen, fügten sich die fremden Minister und wurden 5. März 1891 im Tsekwangko vom Kaiser in Audienz empfangen.

Ereignisse von größter Tragweite für den innern Frieden Chinas sowie für sein Verhältnis zu den Vertragsmächten traten im Mai 1891 und den folgenden Monaten ein. Nachdem schon Ende 1889 sich Feindseligkeiten des chinesischen Pöbels gegen die fremden Missionen gezeigt hatten und 10. März 1890 in Wutschang (gegenüber Hankeou) Plakate angeheftet worden waren, die zur Vernichtung der Ausländer aufforderten, erfolgte plötzlich 10. Mai 1891 in Wuhu, einem Vertragshafen am Jantsekiang, ein Pöbelaufstand, der 12. Mai zur Zerstörung der daselbstbefindlichen katholischen Mission, des englischen Konsulats und einer Anzahl andrer fremder Gebäude führte; die Fremden mußten sich der Wut des Pöbels durch die Flucht entziehen. Am 13. wurde die Ruhe wiederhergestellt. Anlaß zum Aufstand gaben falsche Beschuldigungen, die man gegen die Missionare, welche Kinder stehlen und töten und zu medizinischen Zwecken verwerten sollten, vorbrachte. Der fremdenfeindliche Geist verbreitete sich aber nach diesem ersten Ausbruch im Innern Chinas immer weiter und rief einen Aufstand nach dem andern im Jantsethal hervor. An fast allen Orten richteten sich die Störungen zuerst gegen die französischen Missionsanstalten. Die wahre Ursache der Unruhen wird von vielen in der Thätigkeit geheimer Gesellschaften, namentlich der berüchtigten Kolao-Huei, gesucht. Wie sehr in ihnen der Haß gegen die fremden »Barbaren« auch obwaltet, so seien doch die Angriffe auf Leben und Eigentum derselben nur Mittel zum Zweck, sie würden nämlich zugleich mit der Absicht ins Werk gesetzt, die Regierung in Konflikt mit den auswärtigen Mächten zu bringen, was notwendig zur Schwächung der Macht und des Ansehens der chinesischen Regierung führen würde; diese Machtlosigkeit soll dann dazu benutzt werden, die verhaßte Mandschudynastie zu stürzen und eine rein chinesische Dynastie an Stelle der letztern zu setzen. Das fremde diplomatische Korps richtete Anfang Juni an das Tsunglijamen eine Note, worin es die Zentralregierung darauf aufmerksam machte, daß sie für den Schutz oer Ausländer Sorge zu treffen habe, und darauf erfolgte am 13. ein Edikt des Kaisers, welches die Beamten zum Schutz der Fremden und Schadenersatz für die verursachten Verluste an Eigentum auffordert. Dies Edikt erwies sich jedoch als totes Schriftstück, dem die Regierung nicht die geringsten Thaten folgen ließ, weil sie selbst sich auf die Treue ihrer Truppen, namentlich in Hunan, dem Zentrum der Empörung, nicht verlassen kann. Unter dem Druck der fremden Minister wurde daher die Lage in Peking immer bedenklicher. Die Minister verlangten Unterdrückung der geheimen Gesellschaften, Eröffnung der Provinz Hunan für den Handel, Degradierung der bei den Aufständen beteiligten Mandarinen, vollen Schadenersatz und Garantie für die Zukunft. Im Ablehnungsfalle wurde eine feindliche Flottendemonstration der vereinigten Mächte England, Rußland, Frankreich, Deutschland und Amerika in Aussicht gestellt, und die nötigen Kriegsschiffe machten sich bereits zur Aktion fertig. Die chinesische Regierung war auf alle Weise thätig, die Flottendemonstration zu hintertreiben und Aufschub der For-