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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Chirurgenkongrcß (Berlin 1891)

über den angebornen muskulösen Schiefhals. Er ist bereits vor Jahren der von Stromeyer herrührenden Lehre von der mechanischen Entstehung des Schiefhalses während der Geburt entgegengetreten und spricht gegenüber den inzwischen gegen seine Auffassung laut gewordenen Stimmen von neuem seine Überzeugung aus, daß es sich um eine während des fötalen Lebens entstandene Anomalie handelt. Diese Überzeugung stützt sich vor allein auf die Beobachtung von unzweifelhaft angebornem Schiefhals. Es läßt sich aber auch theoretisch das Zustandekommen der Anomalie durch Verwachsungsvorgänge während des Fötallebens erklären. Rehn (Frankfurt a. M.) sprach über Kompression der Cauda equina durch einen Tumor; v. Zoege-Manteuffel (Dorpat) über angiosklerotische Gangräne.

In den Sitzungen im Hörsaal der chirurgischen Universitätsklinik fand eine Auseinandersetzung zwischen v. Bergmann und Liebreich über die Wirkung des kantharidinsauren Kalis bei Lupus statt. Ersterer bestritt die Wirkung des Mittels, während Liebreich die Hoffnung aussprach, bald zu einem überzeugendern Bilde der zweifellosen Besserung zu gelangen. Es folgte ein Vortrag von König über osteoplastische Behandlung der angebornen Hüftgelenkluxation. Vortragender hat versucht, eine dauernde Heilung bei der Operation des Hüftgelenks dadurch zu erreichen, daß er mittels Abspaltung einer Knochenplatte vom Betten eine künstliche Pfanne zur Festhaltung des Gelenkkopfes bildete. Leider ist über den Erfolg nichts Genaueres zu berichten, da von den zuerst operierten Kindern zwei an ansteckenden Krankheiten zu Grunde gingen. Hierauf wurden mehrere Fälle vorgestellt, in denen ein als geheilt angesehener Lupus sich als rückfällig erwies. Urban (Leipzig) zeigte dagegen einen Fall von ausgedehntem Lupus der linken Schläfe, der Wange und des Halses, welcher durch Entfernung der erkrankten Teile mit dem Messer und Überpflanzung mit gesunder Haut völlig geheilt worden war. Thiersch (Leipzig) knüpfte an den Fall Erörterungen über die von ihm schon seit längerer Zeit ausgeübte Hautüberpflanzung. Je dünner man die Schnitte der von andern Körperstellen zu entnehmenden gesunden Haut macht, desto leichter heilen diese Hautblätter auf, aber ein desto minder gutes Ansehen bekommt auch die verheilte Stelle. Nun hat Thiersch die wichtige Beobachtung gemacht, daß bei jungen, noch nicht ausgewachsenen Personen auch die aufgeheilten Hautlappen und zwar nach der Dicke wachsen, so daß hier selbst nach der kosmetischen Seite die Verwendung der bequemer verwachsenden dünnern Hautschnitte unbedenklich ist.

Sonnenburg (Berlin) und Hahn (Berlin) stellten hierauf Kranke vor, denen Lungenkavernen bei der Behandlung mit Tuberkulin eröffnet sind. Einer der Sonnenburgschen Fälle ist, soweit die entleerte Höhle in Betracht kommt, als geheilt zu betrachten, die beiden andern sind in fortschreitender Besserung begriffen, bez. der völligen Heilung nahe. Allerdings ist damit nicht gesagt, daß nunmehr bei den Kranken die Tuberkulose völlig beseitigt sei, indessen hat sich doch das Allgemeinbefinden der Leute derartig gehoben, daß mit der Beseitigung des schlimmsten Tuberkelherdes eine allmähliche, gänzliche und dauernde Genesung erwartet werden kann. Hahn hebt hervor, daß eine sehr sorgfältige Auswahl der Fälle die erste Vorbedingung des Gelingens sei. Im ganzen werden nur wenige Fälle zu finden sein. Das Vorhandensein mehrerer Höhlen in der Lunge schließt die Aussicht aug günstige Resultate aus. Westphal (Berlin)

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zeigte drei Fälle von Gelenktuberkulose, welche sich bei Behandlung nach Koch gebessert hatten. Benda (Berlin) stellte einen geheilten Fall von traumatischer Rindenepilepsie nach ausgedehnter osteoplastischer Trepanation und Abtragung eines Stückes Hirnrinde vor. Der Betreffende hatte sich durch Sturz vom Pferde eine Verletzung des Kopfes in der Gegend des linken Scheitelbeins zugezogen, litt später an gelegentlichen Kopfschmerzen, und nach 18 Monaten stellten sich Schwindelanfälle, Ohnmachten und hysterische Erscheinungen, später auch epileptische Anfälle ein, deren Heftigkeit rasch zunahm, und welche regelmäßig eine vorübergehende Lähmung des rechten Fußes zur Folge hatten. Da diese Erscheinungen auf eine Erkrankung der Hirnrinde am motorischen Zentrum des rechten Fußes hindeuteten, so wurde ein handtellergroßes Stück des Schädels unter Beibehaltung einer Ernährungsbrücke losgemeißelt und zurückgeklappt. Nach Ablösung der dura mater ermittelte man mit dem Poldraht einer galvanischen Batterie eine Stelle von der Größe eines Zehnpfennigstücks, aus welcher durch elektrischen Reiz Zuckungen in der großen Zehe des rechten Fußes hervorgebracht werden konnten. Obwohl an dieser Stelle äußerlich ersichtliche krankhafte Veränderungen nicht bemerkt werden konnten, entschloß man sich zur Abtragung einer Rindenschicht von einigen Millimetern Dicke. Sodann wurde das losgelöste Schädelstück wieder zurückgeklappt 2c. Die Heilung erfolgte anstandslos. Zunächst blieb eine Lähmung des rechten Beines und des rechten Armes zurück. Dieselbe wich indes bald, der Mann erholte sich und erlangte seine geistigen und körperlichen Fähigkeiten wieder bis auf eine leichte Schwäche im rechten Arm uud einen gewissen Mangel an Ausdauer bei geistiger Arbeit. Schönborn (Würzburg) berichtete über erfolgreiche Deckung eines Schädeldefekts nach der Königschen Methode. Ein Schlag hatte bei einem Arbeiter Zersplitterung des Stirnbeins und Zerquetschung darunter liegender Gehirnteile auf einer Fläche von 14x2 bis 4 cm bewirkt. Nach Abtragung der abgesprengten, resp. zerquetschten Teile trat Heilung und Vernarbung ein, allein die Schutzlosigkeit der betreffenden Stelle, starke Pulsion unter der Narbe und häufiger Kopfschmerz veranlaßte die Ausführung der Königschen Methode. Es wurde aus der weiter hinten liegenden Schädelgegend ein entsprechend großes Haut-Periost-Knochenstück abgelöst und auf die von der Hautnarbe befreite Fehlstelle gebracht, wo sie anstandslos fest einheilte. Als Ersatz des losgelösten Stückes wurde eine Deckel von überpflanzter Haut benutzt. Nach der Heilung wurde dann das behaarte Hautstück von der Stirn losgelöst und wieder an seine ursprüngliche Stelle gebracht, die Fehlstellen der Stirnhaut dagegen mit überpflanzten Hautlappen gedeckt. Hierdurch ist der Mann, abgesehen von der immerhin auffallenden Stirnnarbe, in eine durchaus befriedigende Verfassung versetzt worden. Die Stirn ist durch völlig festen Knochen geschützt, und sonstige Störungen haben sich nicht herausgestellt. v. Eiselsberg (Wien) berichtete über einen in der Billrothschen Klinik behandelteni Fall, bei welchem die von Fränkel (Wien) vorgeschlagene Methode der Einheilung einer Celluloidplatte mit bestem Erfolg ausgeführt worden ist. Küster (Marburg) sprach dann über Operationen an Prostata und Blase.

In der letzten Sitzung sprach Braatz (Heidelberg) über das Verhältnis der klinischen Chirurgie zur chirurgischen Bakteriologie und die Bedeutung der Anaerobiose. Er wies darauf hin, daß