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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Dämmerung (Erklärung der atmosphärisch-optischen Störung 1883-86)

öffnungszahl wächst. Dies gilt selbst dann noch, wenn die Öffnungen unter sich ungleich sind, vorausgesetzt, daß ihre Dimensionen eine gewisse Grenze nicht überschreiten, sondern so klein sind, wie oben angenommen wurde.

In der Atmosphäre haben wir es aber nicht mit einem undurchsichtigen Schirm zu thun, der von kleinen Öffnungen durchbohrt ist, sondern die in der Atmosphäre schwebenden Stäubchen und Dunstkörperchen wirken wie zahllose kleine undurchsichtige oder nur durchscheinende Schirmchen. Nun läßt sich zeigen, daß die Beugungserscheinung, welche durch ein dunkles Schirmchen oder durch eine Gruppe dunkler Schirmchen hervorgebracht wird, vollkommen identisch ist mit derjenigen, welche von einer gleichgestalteten Öffnung oder Gruppe von Öffnungen herrührt, mit alleiniger Ausnahme desjenigen Punktes, in welchem die direkten Strahlen sich vereinigen; hier sammelt sich nämlich stets alles direkte Licht, welches von den Schirmchen nicht aufgehalten wird. Die Wirkung eines durchlöcherten Schirmes unterscheidet sich daher von derjenigeneiner Schirmchengruppe, welche gleichsam das Negativ von jenem ist, dadurch, daß im ersten Fall sowohl das direkte als das gebeugte Licht von den lichtdurchlassenden Stellen des Schirmes abhängt, im zweiten Fall dagegen das direkte Licht von den hellen, das gebeugte Licht von den dunkeln Stellen. In jenem Fall schließt sich das gebeugte Licht seiner Intensität nach stetig an das direkte an, so daß kein scharf begrenztes Bild der Lichtquelle entstehen kann, in diesem aber findet ein solcher Anschluß nicht statt und die Lichtquelle wird scharf begrenzt gesehen. Vermehrt man die Öffnungen eines dunkeln Schirmes, so wird dadurch sowohl das direkte als das gebeugte Licht an Intensität gewinnen; vermehrt man aber ebenso die Schirmchen einer Schirmchengruppe, so wird dadurch das gebeugte Licht vermehrt, das direkte aber geschwächt.

Trifft also ein von einem unendlich fernen weißen Lichtpunkt herkommendes Bündel paralleler Strahlen senkrecht auf eine Gruppe sehr kleiner dunkler Schirmchen, so wird ein hinter der Gruppe befindliches Auge die direkten Strahlen zu einem weißen Bilde des Lichtpunktes vereinigen, welches ringsum von gebeugtem und, vielleicht nur unmerklich, rötlich gefärbtem Lichte umgeben erscheint. Die Schirmchengruppe ruft sonach neben der geschwächten weißen Lichtwelle noch rötlich gefärbte, schief einfallende Lichtwellen ins Dasein. Treffen diese, bevor sie zum Auge gelangen, neuerdings auf eine ähnliche Schirmchengruppe, so werden alle, die direkte sowohl als die gebeugten, von neuem die beugende Wirkung derselben erfahren. Die direkten Strahlen werden, indem sie die zweite Gruppe unmittelbar passieren, zwar an Lichtstärke, nicht aber an Weiße verlieren; außerdem werden sie von neuem zur Entstehung gebeugten rötlichen Lichtes Anlaß geben. Die gebeugten Strahlen werden durch die zweite Gruppe nochmals gebeugt; von jedem gebeugten Strahlenbündel wird namentlich ein Teil in die Richtung der direkten Strahlen zurückgebeugt; dasselbe hatte schon durch die erste Beugung an stärker brechbaren Strahlen Einbuße erlitten, bei der zweiten Beugung werden in ihm nochmals die stärker brechbaren Strahlen mehr geschwächt als die weniger brechbaren, seine Tendenz zur rötlichen Färbung wird daher zunehmen. Zu dem direkten, gegen vorhin schwächern weißen Lichte wird sich also jetzt in dieselbe Richtung gebeugtes rötliches Licht gesellen und so dessen Nuance rötlich erscheinen lassen. Durch Hinzukommen von weitern, mit den ersten parallelen

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Schirmchengruppen wird so das ursprünglich weißes direkte Licht mehr und mehr geschwächt, während immer mehr und durch die wiederholten Beugungen immer tiefer gerötetes Licht sich ihm beimischt. Die aufeinander folgenden Schirmchengruppen wirken gleichsam wie Siebe, welche das durchgehende Licht immer vollständiger von seinen stärker brechbaren Strahlen befreien. Der weiße Lichtpunkt wird also, durch eine genügende Anzahl solcher Schirmchengruppen betrachtet, nicht nur selbst rötlich gefärbt erscheinen, sondern auch noch von einer stärker rot gefärbten Aureole gebeugten Lichtes umgeben sein.

Aus diesen Betrachtungen erklärt sich nun die rote Farbe der Sonne bei ihrem Auf- und Untergang von selbst. In den untern Schichten der Atmosphäre schwebt eine Menge sehr kleiner Körperchen verschiedener Art. Steht die Sonne dem Horizont nahe, so haben ihre Strahlen in diesen Schichten einen hinlänglich weiten Weg zu durchlaufen, um die beugende Wirkung der Schirmchengruppen, welche man aus jenen Körperchen bilden kann, in merklichem Grade zu erfahren. Jeder Punkt der Sonne muß dadurch selbst rötlich und noch von stärker gerötetem gebeugten Lichte umgeben erscheinen; indem sich nun die roten Aureolen benachbarter Punkte übereinander lagern, wird sich dem direkten Lichte jedes Sonnenpunktes noch das gebeugte der Nachbarpunkte beigesellen und dadurch dessen Röte nochmals vertiefen. Darum muß bei einer Lichtfläche die rote Färbung noch auffallender hervortreten als bei einem vereinzelten Lichtpunkt. Während die Lichtscheiben der Sonne und des Mondes am Horizont in prächtigem Orangerot erglühen, bemerkt man deshalb die rötliche Färbung auf- und untergehender Fixsterne kaum. Entfernte weiße Flächen, wie die Gletscher und Firnfelder der Alpen, dem Horizont nahe Wolken, zeigen, von der untergehenden Sonne beleuchtet, oft ein ins Purpurne ziehendes Rot, während eine in der Nähe befindliche weiße Mauer, wie die Sonne oder der Abendhimmel selbst nur orangerot gefärbt erscheint.

Das von jenen Flächen reflektierte, bereits gerötete Licht erfährt nämlich auf seinem langen Rückweg bis zu unserm Auge nochmals die beugende Wirkung der in der Luft schwebenden Körperchen und wird dadurch tiefer gerötet.

Aus der Beugungstheorie erklärt sich die ganze Skala der Dämmerungsfarben vom Gelb und Orange bis zum Feuer- und Blutrot; grünliche Farbentöne erscheinen da, wo das Gelb des Abendhimmels in das Himmelblau übergeht. Der Bishopsche Ring, der sich auf den ersten Blick als eine mit den kleinen Höfen um Sonne und Mond, den sogen. Fraunhoferschen Ringen, verwandte Erscheinung erkennen läßt, ergibt sich als notwendige Folgerung aus der Beugungstheorie. Auf Grund dieser Theorie konnte sogar aus den von Archibald und Riggenbach ausgeführten Messungen seines Radius der Durchmesser jener kleinen Teilchen berechnet werden, welche die oben geschilderten ungewöhnlichen Dämmerungserscheinungen hervorbrachten; Pernter fand diesen Durchmesser =0,00185 mm. Das erste Purpurlicht ist als eine Fortsetzung des Bishopschen Ringes nach Sonnenuntergang, nämlich als der obere Teil des rötlichen Ringes anzusehen. Aus einer großen Zahl genauer Messungen hat in der That Riggenbach gefunden, daß das Purpurlicht an einer Stelle des Himmels aufzutauchen beginnt, an welcher bei dem augenblicklichen Stande der Sonne die hellste Stelle des Bishopschen Ringes sich zeigen würde. Freilich war der Ring nur während der Periode jener