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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Dämmerung (Erklärung der atmosphärisch-optischen Störung 1883-86)

atmosphärisch-optischen Störung von 1883-86 deutlich sichtbar, u. sind unter normalen atmosphärischen Verhältnissen, solange die Sonne über dem Horizont steht, kaum Spuren desselben zu erkennen, während das erste Purpurlicht als eine regelmäßige Erscheinung der normalen D. auftritt. Es ist jedoch zu erwägen, daß das Licht der Beugungsringe im Vergleich mit dem direkten der Lichtquelle außerordentlich schwach ist und daher von dem Auge, das durch den Glanz der Sonne selbst oder der noch tageshell erleuchteten Atmosphäre geblendet ist, nur schwer oder gar nicht wahrgenommen wird. War ja doch auch während jener Störungsperiode die Abblendung der Sonne durch Wolken für die Wahrnehmbarkeit des Bishopschen Ringes von Vorteil. Auch die Fraunhoferschen Ringe oder Höfe werden bei dem verhältnismäßig lichtschwachen Monde sehr leicht, bei der Sonne aber nur schwierig wahrgenommen, treten jedoch auch bei dieser deutlich hervor, wenn man das Spiegelbild der Sonne und ihrer Umgebung in einer stehenden Wasserfläche betrachtet, weil jetzt das reflektierte Sonnenbild seines blendenden Glanzes entkleidet ist. Man begreift hiernach leicht, daß der vor Sonnenuntergang nicht sichtbare Bishopsche Beugungsring als Purpurlicht sichtbar werden kann, sobald die Sonne genügend tief unter den Horizont hinabgesunken und der Abendhimmel düsterer geworden ist, insbesondere wenn man noch berücksichtigt, daß die Strahlen der Sonne, je tiefer dieselbe sinkt, einen um so längern Weg durch die mit beugenden Körperchen erfüllten untern Schichten der Atmosphäre zu durchlaufen haben und deshalb die Lichtstärke des gebeugten Lichtes auf Kosten des direkten Lichtes, wie oben gezeigt worden ist, zunehmen muß. Für das Zustandekommen des zweiten Purpurlichtes scheint das erste Purpurlicht dieselbe Rolle zu übernehmen, welche die Sonne selbst bei der Entstehung des ersten Purpurlichtes gespielt hat. Dasselbe erklärt sich nämlich vollkommen befriedigend aus der Annahme, daß zarte, unter dem Horizont lagernde Wolkengebilde, welche von dem bereits hinabgesunkenen ersten Purpurlicht erleuchtet sind, als neue Lichtquelle an Stelle der bereits tiefer gesunkenen Sonne getreten sind.

Schwieriger als die Erklärung der normalen Dämmerungserscheinungen ist diejenige der außergewöhnlichen Färbungen der Sonne, welche während der Periode der atmosphärisch-optischen Störung öfter beobachtet wurden. Vielleicht lassen sich dieselben auf die Beugungsringe behauchter Platten zurückführen. Betrachtet man nämlich durch eine behauchte Glasplatte, auf der sich aus dem Hauche zahllose kleine Wassertröpfchen niedergeschlagen haben, einen Lichtpunkt, so erscheint derselbe zunächst von einem völlig dunkeln Raum umgeben, der von einem blaugrünen, dann gelben und roten Ring eingeschlossen wird. Wenn sich die Behauchung durch Verdunsten allmählich verliert, so verblassen die Farben; dabei ändern aber die Farben ihre Entfernung vom Mittelpunkt nicht, sondern jede Farbe verschwindet an ihrer Stelle. Daraus geht hervor, daß diese Farbenringe nicht wie die Fraunhoferschen Ringe von der Größe der beugenden Teilchen, sondern von deren gegenseitiger Gruppierung abhängig sind; denn beim Verdunsten bleibt jedes Tröpfchen, indem es nach und nach kleiner wird, an seiner Stelle, wie man unter dem Mikroskop leicht beobachten kann. Donle (1886) hat diese vergängliche Erscheinung dadurch dauernd nachgeahmt, daß er Glasplatten durch Salmiakdämpfe beschlagen ließ, wodurch sich auf den Platten

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ein äußerst zarter, weißlichgrauer Niederschlag bildete. Solche Platten zeigten, wenn man eine punktförmige Lichtquelle durch sie betrachtete, schöne und regelmäßige Höfe, welche in allen Einzelheiten mit der Ringerscheinung behauchter Platten übereinstimmten. Eine solche Platte zeigte unter dem Mikroskop eine sehr große Anzahl wie Federhärte aussehende Kristallanhäufungen in ganz unregelmäßiger Verteilung. Aber alle diese Federchen bildeten Gitter mit gleichgroßen Zwischenräumen, von welchen jedes senkrecht zu den Gitterstäben zu beiden Seiten des Lichtpunktes Beugungsspektren hervorrufen mußte. Da nun auf sehr kleinem Raum äußerst viele solche kleine Gitter und in allen möglichen Richtungen verteilt sind, so müssen Beugungsspektren nach allen Richtungen hin entstehen, von welchen die ersten und lichtstärksten Spektren sich zu einem glänzenden Ring aneinander reihen, der durch einen völlig dunkeln Zwischenraum von dem Lichtpunkt getrennt ist und am innern Rande blau, am äußern rot gefärbt erscheint. Auch bei der wirklichen Behauchung entspricht die Anordnung der beugenden Teilchen einer Anhäufung von nach allen Richtungen orientierten Gittern, weil die Abstände der Wassertröpfchen voneinander überall nahezu gleich sind und während der Verdunstung auch gleichbleiben. Betrachtet man nun durch die Platte eine Lichtfläche, so wird jeder Lichtpunkt der Fläche seine eigne farbige Aureole erzeugen; indem sich die unzähligen Aureolen übereinander lagern und ihr farbiges Licht dem direkten weißen Lichte der Lichtquelle hinzufügen, muß diese gefärbt erscheinen. Diese Färbungen können je nach dem Verhältnis der scheinbaren Größe der Lichtfläche zu dem scheinbaren Durchmesser der Ringe sehr mannigfaltige und an verschiedenen Stellen der Fläche verschiedene sein, z. B. in der Mitte der Fläche kann eine andre Färbung stattfinden als gegen den Rand hin.

Man kann in der That, wenn man jenes Verhältnis richtig wählt, eine nicht zu schmale Lichtquelle, z. B. eine Gasflamme, durch eine behauchte Glasplatte farbig sehen.

Es fragt sich nun, ob Bedingungen ähnlich wie bei diesen Versuchen auch in unsrer Atmosphäre eintreten können. Die feingefiederten Eisnadeln, aus welchen, wie man annimmt, die hochschwebenden Federwolken bestehen, und die man als Strahlen der Schneesternchen leicht beobachten kann, gleichen vollkommen den oben erwähnten Salmiakkriställchen und müssen daher auch ähnliche Wirkungen hervorbringen. Auch die Wassertröpfchen eines sehr gleichmäßigen Nebels, dessen Teilchen gleiche Abstände unter sich bewahren, werden ähnlich wie die Tröpfchen einer behauchten Glasplatte wirken müssen. Man begreift also, daß unter gewissen, selten eintretenden Umständen in der Nähe des Horizontes auch eine blaue oder grüne Sonne gesehen werden kann, besonders wenn man noch bedenkt, daß die Strahlen nicht nur eine einzige Schirmchengruppe, welche für sich vielleicht nur eine unmerkliche Färbung hervorbringen würde, zu durchlaufen haben, sondern eine große Anzahl von Schirmchengruppen hintereinander, wobei, wie oben gezeigt worden ist, das direkte weiße Licht geschwächt, das gebeugte farbige Licht aber verstärkt wird.

Angeregt durch die glänzenden Farbenbilder der ungewöhnlichen Dämmerungserscheinungen hat Kießling 1884 Versuche angestellt über Beugung des Lichtes in künstlich erzeugtem Dunst, indem er die Wirkung untersuchte, welche mechanisch erzeugte feste Staubwolken, auf chemischem Wege entstandener Rauch u. feuchter Nebel auf das durchgehende Sonnen-