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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Epilepsie; Erblichkeit

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Epilepsie - Erblichkeit

eines Tieres, und dies ist besonders von Herbert Spencer beleuchtet worden. Wir sehen in den meisten Fällen, daß eine Tierfamilie in der Zeit, in welcher sie den Höhepunkt ihrer Entwickelung erreicht hat, auch die größten Körpergestalten erzeugt, denn die Größenvermehrung erlaubt schon an sich eine größere Feinheit und Ausbildung der Gewebe und Organe. Daher sind die Anfangsglieder jeder Gruppe gewöhnlich klein, die Equiden sind seit ihrem ersten Auftreten in fuchsgroßen Vertretern zur Eocänzeit ständig gewachsen, ebenso die Dinosaurier der Sekundärzeit, und Fürbringer meint, daß die ersten Vögel wahrscheinlich noch viel kleiner waren als Archaeopteryx, der nur eine mäßige Größe erreichte. Eben darum findet man bei kleinern Tieren in der Regel primitivere, einfachere und leichter verständliche Verhältnisse, und deshalb empfiehlt Fürbringer gerade diese zu phylogenetischen Studien. Freilich kann die Kleinheit auch Degeneration bedeuten, so daß wir dann bei ihnen durchaus nicht mit primitiven Bildungen zu thun haben, vielmehr mit solchen, die von einem schon erreichten Höhepunkt wieder herabgestiegen sind. So zeigt eine kleine, nur ein paar Linien lange Nacktschnecke (Limapontia) keine Spur von den oft sehr ausgedehnten und schmuckvollen äußern Kiemen ihrer nähern Verwandten; sie hat sich auf bloße Hautatmung eingeschränkt, obwohl sie durch die große, spiralig gewundene Schale ihrer Jugend anzeigt, daß sie, wie jene, von Schnecken mit entwickelten Atmungswerkzeugen abstammt. Die Einfachheit ihrer Organisation beruht demnach auf Ökonomie und ist kein primitives Merkmal.

In der Regel wird man schließen dürfen, daß jeder nicht physiologisch für ein lebendes Wesen unmögliche Durchgangszustand der Embryonen, wenn er in bestimmten Gruppen regelmäßig auftritt, in gewisser Weise auf früher wirklich endgültig bestehende Zustände zurückdeutet. Lehrreich ist dafür beispielsweise die Bildung des Cephalopoden-Auges. Es bildet sich eine kleine Grube, deren Rand sich allmählich erhebt, sich zur Bildung einer Höhle verengert, dann durch ein Häutchen schließt, welches sich zur Linse erweitert, während sich die Rückwand der Höhle zur Netzhaut ausbildet. Jede Stufe in dieser Entwickelungsreihe bietet physiologisch einen Vorteil und Fortschritt gegen die vorige, aber auch die einfachsten sind als endgültige Bildungen noch bei heute lebenden Mollusken erhalten: die bloße Anfangsvertiefung bei Solen, die Grube mit weiter Öffnung bei den Napfschnecken, diejenige mit verengerter Öffnung, aber noch ohne Linse, bei Nautilus. Endlich kommt die Linse hinzu, ein Zustand, wie er lebenslang bei den Schnecken und andern Gastropoden besteht. Aber bei den Cephalopoden geht die Bildung noch darüber hinaus: die Bildung von Hautfalten, die als Iris und Augenlider bekannt sind, sorgt für den bessern Schutz des Auges und erweist sich als ein deutlicher Fortschritt gegen die etwas plumpe Methode des bloßen Zurückziehens bei den Schnecken.

Es fragt sich nun, ob die ohne Zweifel am meisten veränderten, aber mit großer Regelmäßigkeit sich wiederholenden Anfangszustände der höhern und niedern Tiere ebenfalls Anspruch auf die Deutung als Nachbilder der ersten Schritte der tierischen Organisation haben, namentlich die unter den verschiedensten Formen wiederkehrende Bildung jenes aus doppelter Zellenwand aufgebauten Becherkeims, auf welche Häckel seine Gasträa-Theorie begründete. Marshall, der sich sein lebenlang mit einschlägigen Studien beschäftigt hat, tritt mit großer Wärme für eine derartige Deutung ein, und so scheint sich denn nach so vielen Jahren von Kampf und Streit die Überzeugung der Zoologen dieser vor allem prinzipiell wichtigen Theorie zuzuwenden. Sogar eine spätere Larvenform, die von Balfour studierte Pilidium-Larve, von der er die etwas spätere Echinodermenlarve und die viel weiter verbreitete Trochosphärenlarve herleitete, beginnt in dieser Richtung die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Dieser Pilidium-Larve, von der Balfour alle höhern Tierformen, mit Ausnahme der Krustaceen und Vertebraten, ableiten wollte, würde ungefähr ein Organismus »wie eine Meduse mit radialer Symmetrie« entsprechen. Das Bestreben der jüngsten phylogenetischen Spekulation geht nun dahin, dies voll anzunehmen und als Ahnen der Turbellarien und aller höhern Tiere eine Rippenqualle oder einen Ktenophoren zu bezeichnen, der, anstatt frei zu schwimmen, begonnen hat, am Meeresboden umherzukriechen und dadurch die allen höhern Tieren gemeinsame zweiseitige Symmetrie zu erwerben. So hat das vor einem Vierteljahrhundert geschlossene Bündnis des ontogenetischen mit dem phylogenetischen Studium schon jetzt die reichsten Früchte getragen, und man darf bei aller Schwierigkeit der Deutung von dieser Seite auch in Zukunft die wertvollsten Aufschlüsse erwarten.

Epilepsie, traumatische, s. Chirurgenkongreß, S. 151.

Erblichkeit. Für die Frage, an welchen Teil der Zeugungsstoffe die in dem Kinde zur Erscheinung kommenden Vererbungstendenzen der Eltern gebunden seien und wie dieselben in dem Gesamtorganismus des Kindes gleichmäßig zur Wirkung kommen, haben die neuern Untersuchungen der Befruchtungsvorgänge und der Zellteilung wichtige Aufschlüsse gebracht. Daß, wie man schon seit langem vermutet hatte, die Kerne der Geschlechtszellen die Träger der Vererbungskräfte seien, ist durch die experimentellen Versuche, nach denen aus entkernten befruchteten Eiern Organismen mit lediglich väterlichen Qualitäten hervorgehen, bewiesen worden. An diesem Punkte nun setzen die obenerwähnten Untersuchungen ein, um das Zusammentreffen der väterlichen und mütterlichen Vererbungssubstanzen, ihr gegenseitiges Verhalten im Ei und ihr Schicksal in dem sich entwickelnden neuen Organismus kennen zu lehren. Bei der Befruchtung dringt in das Ei ein Samenkörperchen oder Spermatozoon ein, dessen vordere Anschwellung (Kopf) einen kleinen homogenen Kern (Spermakern a, Fig. 1) in sich birgt, der von dem ursprünglichen Kern des Eies (Eikern b, Fig. 1) sehr verschieden zu sein scheint. Denn dieser ist viel größer und besitzt als Bläschen mit chroma-^[folgende Seite]

^[Abb.: Fig. 1. Befruchtung des Eies. a Spermakern; b Eikern]

^[Abb.: Fig. 2. Schwellung des Spermakerns a.