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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Fleischhandel (Einfuhr lebenden Schlachtviehes)

I. Die Einfuhr lebenden Schlachtviehes hat den großen und unbestrittenen Vorteil, daß das Fleisch nach dem Schlachten völlig frisch in die Hände der Konsumenten gelangt, und daß es möglich ist, die Schlachttiere vor und nach dem Schlachten einer gründlichen sanitätspolizeilichen Untersuchung zu unterziehen. Die Schattenseiten der Einfuhr lebenden Schlachtviehes liegen in den hohen Transportkosten sowie in der steten Gefahr der Einschleppung von Tierseuchen. Mit Recht wird jetzt die Forderung allgemein erhoben, daß alles zur Nahrung für Menschen bestimmte Fleisch nur nach vorgängiger sachverständiger Untersuchung und nach erfolgter Ausmerzung aller kranken Tiere und Teile in den Verkehr gelange. Dieses ist im südlichen Deutschland (Bayern, Württemberg, Baden und Hessen) schon seit Jahrzehnten der Fall. Im Königreich Sachsen wird in kurzem dieselbe Einrichtung getroffen werden, und in Preußen ist in den letzten 10 Jahren durch die Errichtung von öffentlichen Schlachthäusern in den größern Städten ein bedeutsamer Anfang hierzu gemacht worden. So wird es nicht mehr allzu lange Zeit währen, daß in Deutschland kein Fleisch mehr genossen werden wird, welches nicht von gründlich auf ihren Gesundheitszustand untersuchten Tieren herstammt. Und dieses ist mit Hinsicht auf die zahlreichen kleinen und großen Gefahren, welche mit dem Genuß kranken Fleisches verbunden sein können, kategorisch zu verlangen. Die Staaten und Städte nun, welche mit großen finanziellen Opfern und nach Überwindung großer Schwierigkeiten seitens der Schlächter und eines Teiles des Publikums öffentliche Schlachthäuser errichtet und Schlachtzwang in diesen nebst sachverständiger Untersuchung aller Schlachttiere eingeführt und somit das Möglichste gethan haben, um dem Publikum nur tadellose Ware zu bieten, diese Staaten und Städte richten ihr ganzes Streben dahin, daß nur lebendes Vieh zum Schlachten eingeführt werde. Denn an ausgeschlachtetem Fleisch ist eine sichere sanitätspolizeiliche Kontrolle nicht durchführbar. Genügende Sicherheit ist nur durch die Besichtigung der Tiere vor dem Schlachten und durch eine genaue Untersuchung aller Teile, namentlich sämtlicher Eingeweide, gegeben. Diese beiden gewichtigen Momente kommen bei der Untersuchung ausgeschlachteten Fleisches in Wegfall. Es wurde schon versucht, der Inspektion des ausgeschlachteten importierten Fleisches eine größere Sicherheit dadurch zu verleihen, daß die Einfuhr des Fleisches nur gestattet wurde, wenn die dazu gehörigen Organe gleichzeitig beigebracht wurden. Diese Forderung hat jedoch nur dann einen Sinn, wenn ein Nachdruck darauf gelegt wird, daß die Organe in natürlichem Zusammenhang mit dem eingeführten Fleisch sich befinden. Dieses durchzuführen ist aber praktisch ein Ding der Unmöglichkeit. Der Magen und die Gedärme z. B. können gar nicht, andre für die Untersuchung wichtige Eingeweide aber, wie Leber, Milz und Lunge, nur mit großer Gefahr für die Haltbarkeit der benachbarten Teile des Fleisches eingeführt werden. Denn alle Eingeweide sind blutreicher als das Fleisch und fallen infolgedessen viel rascher der Fäulnis anheim als das letztere. Die Bestimmung der Behörden, daß das im ausgeschlachteten Zustande importierte Fleisch am Orte des Verkaufs noch einer sachverständigen Untersuchung unterzogen werde, bedeutet nur einen halben Schutz in hygienischer Hinsicht. Eminent gesundheitsschädliches Fleisch kann nämlich das Aussehen, die Farbe, den Geruch und die

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Konsistenz ganz normalen Fleisches besitzen. Namentlich ist dies der Fall bei sehr rasch verlaufenden Krankheiten, bei welchen die Tiere aber noch vor dem natürlichen Tode geschlachtet werden (Notschlachtungen bei Milzbrand, Blutvergiftungen 2c.). Vollen Schutz in hygienischer Hinsicht gewährt, wie bereits erwähnt, einzig und allein die sachverständige Untersuchung der Tiere vor und nach dein Schlachten.

Lebende Schlachttiere werden nunmehr eingeführt nach Deutschland aus Österreich-Ungarn, Italien, Dänemark, Schweden, Rußland und Amerika, und zwar versorgen uns die erstgenannten Staaten mit Rindern und Schweinen, Rußland dagegen nur mit Schweinen und Amerika endlich nur mit lebenden Rindern. Früher hatte Deutschland selbst, bevor die Grenzen gegen Österreich-Ungarn gesperrt worden waren, einen ziemlich beträchtlichen Export an Rindern und Schweinen nach England. Heute liefert es nur noch Schafe nach Frankreich. Bekanntlich ist die letzte allgemeine Grenzsperre verfügt worden, weil die Maul- und Klauenseuche unter dem Wiederkäuer- und Schweinebestande Deutschlands in einem geradezu erschreckenden Maße um sich gegriffen hatte und die amtlichen Nachforschungen ergeben hatten, daß ein Teil der Seuchenfälle auf Viehimporte österreichisch-ungarischer Herkunft zurückzuführen war. Die Grenzsperre richtete sich thatsächlich fast nur gegen die Einfuhr von Schweinen aus Österreich-Ungarn, weil die Einfuhr von Rindern aus demselben Lande wegen der die Einfuhr erschwerenden Maßregeln, namentlich der Erhöhung des Eingangszolles, ganz bedeutend zurückgegangen war. Es wurden aus Österreich-Ungarn importirt:

1878 1879 1889

Ochsen und Stiere 57911 26121 9881

Kühe 25738 10145 19080

Jungvieh und Kälber 22069 12222 11171

Österreich-Ungarn war überhaupt das einzige Land gewesen, welches noch Schlachtvieh nach Deutschland einführen durfte, nachdem bereits 1887 Dänemark nebst Schweden und Norwegen wegen der dort grassierenden Schweinepest von dem deutschen Schweinemarkt ausgeschlossen worden waren. Rußland war seit längerer Zeit schon wegen der Gefahr der mittelbaren und unmittelbaren Rinderpesteinschleppung in Bezug auf alle Schlachttiere ohne Unterschied deutscherseits abgesperrt worden. Die Zufuhr von Rindern und Schweinen aus Dänemark und Österreich-Ungarn hatte nicht nur genügt, daß Deutschland stets hinreichend und billiges Schweinefleisch besaß, sondern sogar noch Deutschland in den Stand gesetzt, einen schwunghaften Export von Rindern sowohl als von Schweinefleischwaren, und zwar von Hamburg aus, nach England zu betreiben. Dadurch, daß die dänische Zufuhr, welche fast ausschließlich den Hamburger Markt mit Schweinen versorgte, abgeschnitten wurde, ist zunächst der deutsche Export vollkommen unmöglich gemacht worden. Die Exporteure verlegten ihre Schlachthäuser, in welchen sie täglich viele Hunderte Schweine schlachteten und zu Exportware herrichteten, nach Dänemark. Die Schließung der österreichisch-ungarischen Grenze aber führte in kurzem durch die immense Steigerung der Schweinefleisch- und rückwirkend auch der übrigen Fleischpreise zu einem solchen Notstand in Deutschland, daß die Regierung nach Jahresfrist sich veranlaßt sah, die Grenzen wieder bedingungsweise zu öffnen.

Zuerst wurden unter Kautelen, welche die Einschleppung der so gefürchteten Maul- und Klauenseuche zu verhindern geeignet waren, Schweine aus