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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Fleischhandel (Einfuhr lebenden Schlachtviehes)

Österreich-Ungarn wieder nach Deutschland zugelassen. Der wesentliche Inhalt der hierauf bezüglichen Verordnung ist folgender: Die Einfuhr von Schweinen aus Österreich-Ungarn ist nur in öffentliche Schlachthäuser, welche besonders um die Einfuhrerlaubnis nachzusuchen haben, gestattet. Der Ursprung der einzuführenden Schweine muß durch Polizeiliche Ursprungsatteste nachgewiesen werden, in welchen die einzuführenden Schweine nach Stückzahl, Gattung (Rasse), Farbe sowie nach etwanigen besondern äußern Kennzeichen tierärztlich genau bezeichnet werden, und in denen ferner bescheinigt ist, daß die Tiere in Österreich-Ungarn aufgezogen sind, innerhalb der letzten 30 Tage vor ihrer Absendung nach Deutschland in einem zum Bezirk der attestierenden Amtsstelle gehörigen, bestimmt zu bezeichnenden Orte gestanden haben und mit ansteckenden Krankheiten nicht belastet sind. Weitere Bedingung ist, daß die Schweine an den Grenzeingangsstellen Oderberg, Szczakowa und Dzieditz durch einen preußischen beamteten Tierarzt untersucht und kranke und verdächtige Tiere sowie die mit denselben in Berührung gekommenen Tiere von der Weiterbeförderung ausgeschlossen werden, und schließlich, daß die Schweine nach dem Passieren der Grenze in geschlossenen Eisenbahnwagen, unter Vermeidung einer Umladung oder einer durch den Eisenbahnbetrieb nicht bedingten Transportverzögerung sowie jeder Berührung mit anderm Vieh direkt an den Bestimmungsort gebracht und in dem öffentlichen Schlachthause alsbald unter polizeilicher Kontrolle abgeschlachtet werden. Sofern das Schlachthaus nicht in unmittelbarer Verbindung mit dem Entladegeleise steht, hat die Überführung in dasselbe mittels gut schließender Wagen zu erfolgen. Die Schweine, welche nunmehr wieder nach Deutschland gelangten, stammten zumeist aus den großen Mastanstalten zu Bielitz-Biala in Galizien und Steinbruch in Ungarn. Nur nach Schlesien durften gemäß einem zwischen Deutschland und Österreich getroffenen Abkommen Schweine aus andern Orten Galiziens und der Bukowina eingeführt werden.

Bielitz-Biala und Steinbruch sind große, rationell eingerichtete Mastanstalten und Märkte für Borstenvieh, welche unter ständiger veterinärpolizeilicher Kontrolle stehen. Die aus den genannten Orten stammenden Schweine dürfen nur nach Ablauf einer vorgeschriebenen fünftägigen Konfinierung (Absperrung und Beobachtung) verladen und versendet werden. Die Herkunft aus Bielitz-Biala und Steinbruch bietet daher eine ziemlich große Gewähr für seuchenfreie Schweinetransporte; beide Orte sind gleichsam als Kontumazanstalten für den Export zu betrachten. Bezüglich der innern Einrichtung der galizischen und ungarischen Mastanstalten ist noch zu erwähnen, daß dieselben aus einer großen Anzahl von Abteilungen bestehen, in welchen die mit Eicheln vorgemästeten Schweine von möglichst gleichlnäßigem Mastzustand untergebracht werden. Die definitive Mast geschieht mittels Mais und Gerstenschrot. Die Sauberkeit der Mastanstalten wird sehr gerühmt: zu jedem Kober gehört ein Schwimmbassin, und die Fußböden sind stets mit reinem Sand bestreut.

Die besondern Bedingungen, weiche an die wieder erlaubte Einfuhrvon Schweinen österreichisch-ungarischer Herkunft geknüpft wurden, brachten es mit sich, daß der Handel mit diesen Schweinen nicht mehr den Ausschwung nahm wie zuvor. Die meisten öffentlichen, unter geordneter sanitätspolizeilicher Kontrolle stehenden Schlachthäuser des Deutschen Reiches hatten

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zwar die Erlaubnis erhalten, Schweine österreichisch ungarischer Herkunft, bez. aus den Mastanstalten Bielitz-Biala und Steinbruch, einzuführen, allein die Importeure waren wegen der Erschwerung des Handels durch Beibringung von Ursprungsattesten und durch die Vorschrift der Route, welche es ihnen unmöglich machte, die günstigen Konjunkturen der verschiedenen Märkte auszunutzen, sowie durch das Risiko, im Falle eines Seuchenausbruchs den ganzen Transport an der Grenze abschlachten zu müssen, nicht mehr in der Lage, die Schweine zu den frühern billigen Preisen zu liefern. Hierzu kam, daß die Mastanstalten Bielitz-Biala und Steinbruch nur fette Schweine (Bakonyer, Mangalicza- und Szalontaer Schweine) lieferten mit einer großen Ausbeute an Fett, einer geringen dagegen an Fleisch. Das letztere ist außerdem von einer Qualität, welche in Deutschland nicht gern genossen wird. Es ist nämlich weich, stark mit öligem Fette durchsetzt und nicht von dem angenehmen Geschmack, durch welchen sich das Fleisch der übrigen, insbesondere der deutschen veredelten Schweinerassen auszeichnet. Aus diesen Gründen ist es daher auch ganz natürlich, daß die Gewerbtreibenden und das große Publikum sich mit der bedingten Zulassung der ungarischen und galizischen Fettschweine nicht begnügten, sondern in zahlreichen Bittschriften an den Reichskanzler nachdrücklichst die Gestattung der Einfuhr magerer, sogen. Fleischschweine verlangten. Hierbei wurde namentlich auf die dänische Ware, welche früher einen erklecklichen Teil des deutschen Bedarfs gedeckt hatte, sowie auf die russischen und italienischen Schweine hingewiesen. Gleichzeitig wurde betont, daß infolge des allgemeinen Schweinemangels in Deutschland in höherm Grade als zuvor die Rinderbestände des Landes angegriffen worden seien und sich nunmehr auch ein Mangel an schlachtbarem Rindvieh besonders fühlbar gemacht habe. Wir haben bereits erwähnt, daß der Import von Rindvieh infolge der Zollerhöhung bereits sehr stark zurückgegangen war. Infolge der thatsächlichen Fleischnot wurde nun in kurzer Reihenfolge nacheinander die Einfuhr von Schweinen aus Rußland und Italien unter Vorschrift ähnlicher Vorsichtsmaßregeln wie für die Schweine österreichischer und ungarischer Provenienz gestattet. Die Russen durften aber nur nach oberschlesischen Schlachthäusern verbracht werden. Ferner wurde das 29. Nov. 1887 erlassene Verbot, betreffend die Einfuhr von Schweinen, Schweinefleisch und Würsten dänischen, schwedischen und norwegischen Ursprunges, wieder aufgehoben, und zwar ohne weitere Einschränkung. Schließlich wurde für Österreich-Ungarn und Italien nicht bloß die Einfuhr von Schweinen, sondern auch von Rindern in die öffentlichen Schlachthäuser des Deutschen Reiches gestattet.

Alle diese Maßnahmen reichten aber nicht hin, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, obwohl die bedingte Erlaubnis zur Einfuhr von Schlachtvieh nunmehr in größerm Umfange gegeben worden war, als sie vor Erlaß des letzten Einfuhrverbots bestanden hatte. Namentlich erfuhr der Rindermarkt keinen nennenswerten Zufluß aus Österreich-Ungarn, Italien und Dänemark. Von Rußland mußte wegen der Gefahr der Einschleppung der Rinderpest betreffs der Einfuhr von Rindern abgesehen werden. Dem ausgiebigern Import von Rindvieh aus den erstangeführten Ländern standen namentlich die hohen Transportkosten und die hohen Eingangszölle (30 Mk. für das Stück Schlachtvieh, 9 Mk. für ein Zuchtrind) entgegen. Außerdem besaßen diese Länder