Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

327

Fortbildungsschulen (neueste Entwickelung in Preußen)

nunmehr § 120 dieses Gesetzes, wie folgt: Die Gewerbeunternehmer sind verpflichtet, ihren Arbeitern unter 18 Jahren, welche eine von der Gemeindebehörde oder vom Staat als Fortbildungsschule anerkannte Unterrichtsanstalt besuchen, hierzu die erforderlichen Falls von der zuständigen Behörde festzusetzende Zeit zu gewähren. Am Sonntag darf der Unterricht nur stattfinden, wenn die Unterrichtsstunden so gelegt werden, daß die Schüler nicht gehindert sind, den Hauptgottesdienst oder einen für sie eingerichteten besondern Gottesdienst ihrer Konfession zu besuchen. Ausnahmen von dieser Bestimmung kann die Zentralbehörde für bestehende F., zu deren Besuch keine Verpflichtung besteht, bis zum 1. Okt. 1894 gestatten. Durch statutarische Bestimmung einer Gemeinde oder eines weitern Kommunalverbandes kann für männliche Arbeiter unter 18 Jahren die Verpflichtung zum Besuch einer Fortbildungsschule, soweit diese Verpflichtung nicht landesgesetzlich besteht, begründet werden. Auf demselben Wege können die zur Durchführung dieser Verpflichtung erforderlichen Bestimmungen getroffen werden. Insbesondere können durch statutarische Bestimmung die zur Sicherung eines regelmäßigen Schulbesuchs den Schulpflichtigen sowie deren Eltern, Vormündern und Arbeitgebern obliegenden Verpflichtungen bestimmt und diejenigen Vorschriften erlassen werden, durch welche die Ordnung in der Fortbildungsschule und ein gebührliches Verhalten der Schüler gesichert wird. Von der durch statutarische Bestimmung begründeten Pflicht zum Besuch einer Fortbildungsschule sind diejenigen befreit, welche eine Innungs- oder andre Fortbildungs- oder Fachschule besuchen, sofern der Unterricht dieser Schule von der höhern Verwaltungsbehörde als ein ausreichender Ersatz des allgemeinen Fortbildungsschulunterrichts anerkannt wird.« Man darf hoffen, daß auf dieser Grundlage die schädlichen Folgen der eingetretenen Rechtsunsicherheit bald wieder ausgeglichen sein werden und zugleich ein neuer Aufschwung des Fortbildungsschulwesens überhaupt in Preußen eintreten wird.

Diese Hoffnung gilt besonders auch für die bereits genannten Provinzen Posen und Westpreußen, deren eigenartige Verhältnisse hier noch kurz berührt werden müssen. Durch das Gesetz vom 4. Mai 1886 (eins der sogen. Polengesetze) ist der Minister für Handel und Gewerbe ermächtigt, in beiden Provinzen F. aus Staatsmitteln zu errichten und zu unterhalten und an denjenigen Orten, in denen die Verpflichtung zum Besuch der Anstalten nicht durch Ortsstatut begründet wird, diese Verpflichtung den Arbeitern unter 18 Jahren aufzuerlegen; jedoch darf auch nach diesem Gesetz schon Sonntags während der Stunden des Hauptgottesdienstes nicht unterrichtet werden. Auf Grund dieses Gesetzes wurden die Magistrate aller Städte von 1000 Einw. und darüber, mit Ausnahme von Posen und Danzig, aufgefordert, Ortsstatute zu erlassen, durch die den noch nicht 18 Jahre alten Lehrlingen, Gesellen, Gehilfen und gewerblichen Arbeitern die Verpflichtung zum Besuch der zu errichtenden staatlichen F. auferlegt wurde. Dieser Aufforderung haben alle Magistrate bis auf drei in kleinen Orten entsprochen, und für diese hat der Handelsminister von der ihm erteilten Befugnis Gebrauch gemacht und die Verpflichtung ausgesprochen. Auch die nach damaliger Sachlage notwendigen Polizeiverordnungen ergingen für alle Städte, und das Werk nahm noch bis 1890 einen im wesentlichen erfreulichen Fortgang. Über die dann eingetretenen Schwierigkeiten

^[Spaltenwechsel]

wie über die gesetzliche Gegenmaßregel ist bereits berichtet worden.

Der Bestand der F. in der preußischen Monarchie war im J. 1890: 573 obligatorische gewerbliche Schulen mit 61,338 Schülern (davon in Posen und Westpreußen 159 Schulen mit 12,013 Schülern), 367 fakultative gewerbliche F. mit 43,704 Schülern, 727 ländliche F. mit 11,144 Schülern. Den gewerblichen F. müssen aber, um das Bild nicht unvollständig zu lassen, noch 289 Innungsschulen mit 12,118 Schülern und 35 andre von gewerblichen Verbänden begründete niedere Fachschulen, die hierher gehören, mit 2408 Schülern zugerechnet werden, so daß im ganzen herauskommen: 1264 gewerbliche F. mit 119,568 Schülern und (die ländlichen eingerechnet) 1991 F. überhaupt mit 130,712 Schülern. Diese Zahlen zeigen gegen 1882 einen erheblichen Fortschritt. Allein der Fortschritt ist wahrscheinlich größer, als die Zahlen an sich annehmen lassen, da die oben angegebene Summe von 1882 (1261 Schulen und 68,712 Schüler), wie nachträglich erkannt worden, eine Anzahl von Anstalten einschließt, die nicht unter den Begriff der F. gehören. Entsprechend hat auch der Aufwand des Staates für die F. zugenommen. Er betrug noch 1885 nur 177,000 Mr., 1886 wurden daraus 197,000 Mk., denen damals für Posen und Westpreußen 200,000 (zusammen 397,000) Mk. hinzutraten. Im Staatshaushalt für 1890/91 betrug der Ansatz für Posen und Westpreußen 350,000 Ml. und für die übrige Monarchie 440,000 Mk., zusammen 790,000 Mk.

Der Fortschritt auf diesem Gebiet während der letzten Jahre war bedeutend und gereicht dessen berufenen Pflegern zur hohen Ehre. Allein das Ergebnis für sich genommen ist noch lange kein genügendes. Darüber täuscht der Verfasser der Denkschrift sich am allerwenigsten. Vielmehr deutet er zum Schlüsse seiner lehrreichen Arbeit noch in kurzer Übersicht die überreiche Fülle gewichtiger Aufgaben an, welche in nächster Zukunft der Verwaltung des preußischen Fortbildungsschulwesens noch warten. Sie gelten nur teilweise der dringend nötigen Vermehrung der Schulen, deren Notwendigkeit jeder vergleichende Blick auf die außerpreußischen Staaten des Deutschen Reiches unwidersprechlich einleuchten läßt. Ebenso wesentlich ist eine Reihe von Punkten, deren Wert auf dem innern Gebiet liegt. Freilich ist auch die Abhilfe in diesen Punkten wesentlich eine Geldfrage. »Es erhellt dies schon daraus, daß bei weitem der größere Teil der Summe von 203,000 Mk., um die der zu Zuschüssen für F. bestimmte Fonds vor zwei Jahren erhöht worden ist, zur Verbesserung schon vorhandener Anstaltenverwendetwerden mußte. Mit reichlichen Mitteln ließe sich noch die Teilung vieler überfüllter Klassen, die Vermehrung des Unterrichts, die Verbesserung der Schullokale, der Beleuchtung und des Inventars, die Vermehrung und Beschaffung besserer Lehrimttel, die unentgeltliche Abgabe oder das Darleihen von Zeichemnaterialien oder Zeichengeräten an unbemittelte Schüler, die Vermehrung der Prämien für fleißige Schüler und die Einrichtung von Schülerbibliotheken sowie die Beschaffung von einigen zum Selbststudium für die Lehrer nötigen Werken möglich machen.« Allgemein empfunden wird der Mangel an recht geeigneten Lesebüchern für F., wiewohl in dieser Hinsicht ganz beachtenswerte Versuche bereits gemacht worden. Fast schwerer noch wiegt der Mangel eigentlicher Fachbildung bei der Mehrzahl der Lehrer, der wenigstens an den gewerblichen F. nachteilig wirkt. Der