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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Geometrie (Definition der Grundbegriffe; nichteuklidische G.)

stößt auf der einen Seite der Gneis, auf der andern Seite der Phyllit an.

Bei der Exkursion am folgenden Tage besuchte man in der Nähe des Dorfes Rehefeld ein linsenförmiges Kalkflöz von 140 m Länge in Phyllit. Der Kalkstein ist zum Teil rein weiß, hochkristallinisch, marmorartig, an andern Stellen grau und etwas dichter; bisweilen kommen auch durch Eisenoxyd rotgefärbte Partien vor. Gegen den Phyllit hin nimmt der Kalkstein viel Glimmer auf und geht schließlich durch Kalkphyllit in echten Phyllit über. Auch in dem Austreten reiner Phyllitpartien im Kalk oder von Kalkschmitzen im Phyllit offenbart sich der innige Zusammenhang beider Gesteine. Bei der weitern Fahrt nach der alten Bergstadt Altenberg wurde der 5-8 km breite Streifen von Eruptivgestein erreicht, der sich von SSO. nach NNW. von Teplitz her quer durch das Erzgebirge erstreckt. Das Hauptgestein, ein Quarzporphyr, ist auf einer gewaltigen Spalte emporgedrungen, hat dieselbe ausgefüllt und sich auf der Oberfläche beckenartig ausgebreitet, wobei er auch Ablagerungen der Steinkohlenformation bedeckt hat. Seinem östlichen Rande folgt ein mächtiger, weithin sich erstreckender, dieselbe Richtung einhaltender Gang von Granitporphyr, welcher Ausläufer in den Quarzporphyr entsendet und mithin noch jünger als dieser sein muß. In einer die beiden Porphyre spitz kreuzenden Richtung setzt sich nun weiterhin eine Reihe von Granitstöcken auf, die das jüngste Glied der obererzgebirgischm Eruptivformation darstellen und als stockförmige, nachträglich in die Porphyrgesteine eingedrungene Massen aufzufassen sind. Diese Granitstöcke sind Träger eines Zinnerzgehaltes, auf welchem bei Altenberg, Zinnwald und Graupen seit alten Zeiten ein höchst eigentümlicher Bergbau umgeht. Die Exkursion ging weiterhin durch das Gebiet der böhmischen Mineralquellen und durch das Braunkohlengebiet und endete bei Bodenbach.

Geometrie. Die allgemeinen Grundbegriffe: Körper, Fläche, Linie, Punkt, wie die besondern: Punkt, Gerade, Ebene (Abstand, Richtung, Winkel), sind Grenzbegriffe (s. d.), welche sich im Laufe der Jahrtausende aus der sinnlichen Erfahrung entwickelt haben. Die Fläche ist das zweien materiellen Körpern Gemeinsame, welches sie gegeneinander abgrenzt; an der Ausbildung dieses Begriffes hat der Tastsinn hervorragenden Anteil, insofern das tastende Organ den einen der beiden aneinander grenzenden Körper ausmacht. Die Linie, als das mehreren Flächen Gemeinsame, verdanken wir zumeist dem Auge. Punkt als Körperecke ist das mehreren Linien Gemeinsame. Der geometrische Körper geht aus dem natürlichen durch Absehen von allem Materiellen hervor; er ist der von den Grenzflächen des materiellen Körpers eingeschlossene Raum. Oft werden Fläche, Linie, Punkt als Grenzbegriffe erklärt, indem man eine Reihe bildet von Körpern, deren Tiefe, von Flächen, deren Breite, von Linien, deren Länge mehr und mehr schwindet. Diese Erzeugungsart der Grundbegriffe schließt indes einen Zirkelschluß ein; um z. B. vom Schwinden einer Fläche reden zu können, muß die Fläche als Begrenztes vorgestellt werden, und diese Vorstellung setzt den Begriff der Linie bereits voraus. Der genannte Grenzprozeß führt vielmehr zu den Begriffen: Körper-, Flächen-, Linienelement. Ebenso fehlerhaft ist es, den Körper aus der Fläche, die Fläche aus der Linie, die Linie aus dem Punkte durch Bewegung zu erzeugen. Der Raum selbst ist starr und unbeweglich; Bewegung eines Punktes im geometrischen Sinne bedeutet die Möglichkeit einer ununterbrochenen (stetigen) Zusammenfassung von Punkten, und der Begriff einer solchen Stetigkeit geht erst aus dem der Linie hervor. Allerdings hat der Punkt auch unabhängig von der Linie eine begriffliche Existenz; als Ort, als Stelle, als Einzelnes im Raume gehört er zu den besondern Grundbegriffen. Diese alle werden, obwohl es keine befriedigende Definition gibt, mit Leichtigkeit in dem Bewußtsein eines jeden hervorgerufen, da sie auf unsrer eignen körperlichen Verfassung beruhen. Der idealistischen Erklärung des Punktes (als Grenzabschluß der Ortsbestimmung) von Fresenius: »Der mathematische Punkt ist im Raume das objektive Abbild der im Subjekt empfundenen Unteilbarkeit des Bewußtseins«, steht realistisch gegenüber: »Punkt ist die Raumempfindung des Zellkerns«. Zahllos sind die vergeblichen Versuche, die gerade Linie und die Ebene zu definieren. Die Gerade hangt eng mit den Grundbegriffen Abstand und Richtung zusammen. Den Abstand oder die Strecke zwischen zwei Punkten verdanken wir wohl zumeist der innern Empfindung, äußerlich dem gespannten Seile, der Richtschnur. Geht man vom Linienelement als einer bestimmten Länge aus, so läßt sich der Abstand zweier Punkte definieren als diejenige Verbindung derselben, welche die geringste Anzahl Linienelemente enthält. Richtung, fast gleichbedeutend mit Strahl, der über den einen Endpunkt unbegrenzt verlängerten Strecke, danken wir zumeist dem Lichte, dann auch der Schwere, die uns aufrecht zu gehen zwingt, aber auch der innern Empfindung des Überganges von einer Raumvorstellung auf die andre. Der Übergang von der Strecke zur Geraden geschieht durch die reihenbildende Kraft der Beziehungen: rechts und links. Die Gerade ist ihrer Entstehung nach unbegrenzt; daß sie unermeßlich sei, d. h. also nicht in sich zurückkehre, ist eine willkürliche Annahme (s. Parallelenaxiom). Am häufigsten dient als Erklärung der Geraden ihre Eigenschaft, durch zwei ihrer Punkte bestimmt zu sein, namentlich in der Form: eine Gerade ändert ihre Lage bei keiner Bewegung, bei welcher zwei ihrer Punkte fest bleiben. Auch für die Ebene, welche wir als Symmetrieebene der beiden Körperhälften in uns empfinden, lassen sich nur Eigenschaften angeben, von denen jede einzelne mehr oder weniger häufig als Definition benutzt worden ist, aus der mittels Fehlschlüssen die andern abgeleitet wurden. Erwähnenswert sind die Erklärungen von Bolzano: »Die gerade Linie ist diejenige Linie, welche außer der Länge keine zweite Dimension, also keine Breite, und die Ebene diejenige Fläche, welche keine dritte Dimension, also keine Tiefe voraussetzt.« Der Grundbegriff Winkel endlich wird am einwandfreiesten erklärt als Stück der Ebene, zwischen zwei Strahlen, die von demselben Punkte ausgehen, d. h. also Grenze des Kreissektors bei über jedes Maß wachsendem Radius.

Die nichteuklidische G., auch imaginäre (Lobatschewsky) oder absolute (Bolyai) genannt, rührt von Gauß her, der etwa um 1792 zu der Einsicht kam, daß unser Parallelenaxiom keine Denknotwendigkeit sei. Gauß hat nicht nur Bolyai, sondern durch Vermittelung von Bartels auch Lobatschewsky beeinflußt. Letzterer hat in einem Vortrag vor der physikalisch-mathematischen Fakultät zu Kasan 26. Febr. 1826 die erste Geometrie veröffentlicht, welche unser Parallelenaxiom fallen läßt. Die nichteuklidische G. nimmt an, daß es durch jeden Punkt A zu jeder Geraden g zwei verschiedene Geraden QAP und Q'AP' gibt (Fig. 1), welche die