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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Gesundheitspflege (Selbstreinigung der Flüsse)

Frankfurt a. M. eine nach Zonen abgestufte Bauordnung, und Hamburg wolle etwas Ähnliches einführen. Schließlich wurde von der Versammlung folgende Resolution angenommen: »Der Verein erklärt eine gesetzgeberische oder polizeiliche Regelung der Wohnungsbenutzung als sanitäre Notwendigkeit und empfiehlt zur Handhabung der sanitären Wohnungspolizei örtliche Wohnungsämter mit näher abzugrenzenden Kompetenzen.«

In der letzten Sitzung sprach Meyer-Hamburg über die Selbstreinigung der Flüsse. Die einzig richtige Art der Befreiung der Städte von Tages- und Schmutzwässern, einschließlich der Fäkalien, besteht in der systematischen unterirdischen Abschwemmung. Demgemäß kommen jetzt alle Städte nach der Reihe, wenn die Bewohner ihren landwirtschaftlichen Hausbetrieb nach und nach aufgeben, mit Notwendigkeit dazu, Schwemmkanäle zu bauen, und diejenigen Städte, welche in räumlichem Wachstum begriffen sind, müssen sogar von vornherein ihre Erweiterung so projektieren, daß das Straßennetz nach Gefalle und Richtung für die Aufnahme der unterirdischen Siele vollkommen geeignet ist. Nun entsteht aber die Frage, wie die städtischen Abwässer zu beseitigen sind. Solange diese nach alter Weise ungeregelt in die Flüsse liefen, mußten letztere wohl oder übel damit fertig werden, und sie thaten es in vielen Fällen zu allgemeiner Zufriedenheit. Als aber einige größere Städte in Preußen die Ableitung zu regeln begannen, da erfolgte ein Verbot der Landesregierung, von welchem die Ströme keinen Vorteil, die Städte aber schwere Nachteile hatten. Sie mußten in ihrer frühern Unreinlichkeit verharren oder mit großen Kosten Reinigungseinrichtungen für die Abwässer treffen. Ob aber die gereinigten Abwässer in den Flüssen weniger oder mehr Schaden anrichteten als die ungereinigten, das ist heute noch nicht erwiesen. Fische gedeihen entschieden besser ohne den zur Reinigung benutzten Kalk, und die mächtigen Wiesen an unsern untern Flußläufen und Ästuarien gedeihen vorzüglich durch die bei Überschwemmungen ihnen zugeführten Sedimente der ungereinigten städtischen Abwässer. Damit soll aber der Verunreinigung der Gewässer nicht das Wort geredet werden. Man wird die Verunreinigung von Bächen mit allzu geringem Wassergehalt durch städtische Ansiedelungen immer verwerfen müssen, und man wird sich über jede Stadt freuen, die im stände ist, gute Berieselungsanlagen einzurichten, wie Danzig und Berlin. Aber nicht alle Städte sind gleich günstig situiert und können es verantworten, Millionen für Experimente mit Klärverfahren auszugeben, deren Nutzen noch nicht nach allen Richtungen hin erprobt ist. Der Schwerpunkt der Frage der direkten Ableitung der Abwässer in die fließenden Gewässer muß immer auf die vorgängige systematische Flußuntersuchung gelegt werden. Immer muß ein bestimmtes Verhältnis der unreinen Wässer zur Wassermenge des Flusses gefordert werden, und weiter spielt die Stromgeschwindigkeit, schon weil die Wassermenge des Flusses mit dieser zusammenhängt, eine Rolle. Pettenkofer fordert, daß die Strömung im Fluß nicht wesentlich geringer sei als diejenige in den städtischen Schwemmkanälen, und daß der Fluß mindestens 15mal so viel Wasser enthalte, als ihm die Siele zuführen. Man bemerkt, daß der verunreinigte Wasserlauf bald wieder klarer wird, daß er endlich wieder denselben Reinheitsgrad gewinnt, den er vor der Verunreinigungsstelle besaß, und zwar nicht nur für das Auge, sondern auch bei der chemischen und bakteriologischen Untersuchung. Ursache dieses Vorganges ist die Zersetzung der Verunreinigungen, vermutlich infolge bakterieller Thätigkeit, Bedingung reichlicher Luftzutritt. Ein Seitenstück hierzu bilden die Verhältnisse der Seewasserbecken in unsern Aquarien. Das Wasser derselben wird oft in vielen Monaten nicht erneuert, und es bleibt doch klar, und die Fische befinden sich wohl darin, obwohl nicht nur regelmäßig Futter hineingeworfen wird, sondern auch die Exkremente nicht herausgenommen werden. Das Einblasen von Luft, welches hier unaufhörlich erfolgt, ermöglicht die Selbstreinigung des Wassers, bez. die Zersetzung der in demselben enthaltenen Verunreinigungen. Bei der Selbstreinigung werden die organischen Stoffe in unorganische verwandelt, und letztere gehen teils als Gase in die Luft, teils bleiben sie als Salze bei nicht zu großer Anhäufung unschädlich im Wasser. Ein völlig durchgeführtes Beispiel einer nach neuern Prinzipien ausgeführtem systematischen Flußuntersuchung in Deutschland liegt für die in starkem Gefalle fließende Isar bei München vor. Dort haben Pettenkofer und seine Schüler auf Grund von Untersuchungen, welche sich auf den Flußlauf oberhalb und unterhalb Münchens erstrecken, ihre Überzeugung dahin ausgesprochen, daß eine völlig durchgeführte unterirdische Kanalisation der Stadt München ohne hygienische Nachteile für die Anwohner der Isar ausgeführt werden kann. Ähnliche Untersuchungen, bei denen freilich die heutigen bakteriologischen Methoden noch nicht zur Verfügung standen, sind schon früher von Hulwa für die Oder bei Breslau und für einige kleinere sächsische Flüsse von Fleck ausgeführt worden, und in neuester Zeit ist das kaiserliche Gesundheitsamt unter anderm in eine umfassende Untersuchung der ziemlich träge fließenden mecklenburgischen Flußläufe der Nebel und Warnow im Interesse der Städte Güstrow und Rostock eingetreten. Das Gutachten vom Jahr 1890, betreffend die Entwässerung von Güstrow, kommt durch die bereits vorliegenden günstigen Ergebnisse der Selbstreinigung des Flußlaufes zu dem Resultat, die Einleitung der städtischen Abwässer Güstrows in die Nebel, einen Nebenfluß der Warnow, unter bestimmten Vorsichtsmaßregeln für zulässig zu erklären. Auch findet sich am Schluß dieses Gutachtens ein interessanter Ausblick auf die große selbstreinigende Kraft des wesentlich nur unter der Herrschaft des Windes stehenden Mündungsgebietes der Warnow, welches die Abwässer von Rostock aufnimmt. Nach diesen Vorgängen liegt ohne Zweifel die Frage nahe, ob es nicht außer den genannten, so sehr verschieden gearteten Flüssen in Deutschland noch manche andre Wasserläufe gibt, welche die Aufnahme der städtischen Abwässer vertragen können. In anbetracht der außerordentlich weittragenden hygienischen und finanziellen Bedeutung dieser Frage für die Anwohner der Flüsse und besonders für die Städte stellt der Ausschuß des deutschen Vereins für öffentliche G. den Antrag: »Der Verein möge beschließen, bei dem Herrn Reichskanzler unter Bezugnahme auf die Eingaben des Vereins vom 15. Okt. 1876 und 3. April 1878 und in anbetracht der neuern von Pettenkofer und vom Reichsgesundheitsamt angestellten Untersuchungen über die Selbstreinigung der Flüsse nunmehr in dringlicher Weise vorstellig zu werden, daß die systematischen Untersuchungen auf alle diejenigen Flüsse und öffentlichen Wässer des Deutschen Reiches ausgedehnt werden, welche für die Aufnahme städtischer Abwässer in Betracht kommen, um möglichst bald exakte Normen